Die neue schwedische Regierung ist noch kein Jahr im Amt. Aber schon jetzt ist die Bilanz von Ulf Kristerssons Koalition aus Konservativen, Liberalen und Christdemokraten, die von der Gnade der rechtsradikalen Schwedendemokraten abhängig ist, verheerend. Es hat wohl noch keine Regierung gegeben, unter welcher die Treibhausgasemissionen so schnell und massiv in die Höhe gegangen sind.
Schon vor ihrem Amtsantritt im Oktober 2022 kündigten die vier Parteien an, dass sie die seit Jahrzehnten verfolgten Pläne, die 150 Jahre alte schwedische Eisenbahninfrastruktur für den Einsatz von Hochgeschwindigkeitszügen zu modernisieren, ad acta legen werden. Die neuen Gleise wären für das überbeanspruchte und zunehmend unfallanfällige schwedische Schienennetz eine begrüßenswerte Entlastung gewesen. Auch hätten die Reisezeiten in einem der flächengrößten Länder Europas durch Hochgeschwindigkeitszüge drastisch verkürzt werden können: Die Fahrt von Stockholm nach Göteborg hätte dann statt bislang drei nur noch zwei Stunden gedauert. Stattdessen versprachen die Koalitionsparteien Investitionen in die Instandhaltung der bestehenden Eisenbahnstrecken. Im ersten Haushalt der neuen Regierung wurden die dafür vorgesehenen 750 Millionen Schwedischen Kronen (rund 70 Millionen Euro) dann allerdings für die Instandhaltung von Autobahnen verwendet. Schweden macht keine Anstalten, ein „KlimaTicket“ nach österreichischem Vorbild oder ein Ticket wie das „Deutschland-Ticket“ einzuführen. Statt den öffentlichen Verkehr zu subventionieren, senkt die rechte Regierung die Steuern auf fossile Brennstoffe.
Schwedens Plan zur Einhaltung des Pariser Abkommens von 2015 hätte ein Meilenstein für das schwedische Klimaziel werden sollen, bis 2030 die Kohlendioxidemissionen des Inlandsverkehrs um mindestens 70 Prozent gegenüber 2010 zu reduzieren. Um dieses Ziel bis 2030 erreichen zu können, sollten die Kraftstoffhändler – und das wäre der wichtigste Schritt gewesen – verpflichtet werden, fossilem Diesel und Benzin nach und nach immer mehr Biokraftstoff beizumischen. Die neue Regierung hat jedoch beschlossen, den vorgeschriebenen Biokraftstoffanteil drastisch zu senken: von 30,5 Prozent bei Diesel und 7,8 Prozent bei Benzin auf nur noch sechs Prozent im kommenden Jahr.
Dies ist eine schlechte Nachricht für die schwedische Biokraftstoffindustrie, die für das Erreichen des 2030-Ziels ebenfalls eine Schlüsselrolle spielt. Zum Beispiel hat das Mineralölunternehmen ST1 gerade erst drei Milliarden Schwedische Kronen in eine neue Biokraftstoffproduktionsanlage investiert. Nach Angaben seines Geschäftsführers wird es den in Göteborg hergestellten erneuerbaren Kraftstoff nun exportieren müssen, während Schweden fossile Kraftstoffe aus dem Ausland importiert.
Bisher war Schweden auf seinen grünen Wandel stolz.
Auch eine vor nicht allzu langer Zeit verabschiedete Reform der Steuerbefreiungen für Pendler hat die Regierung wieder zurückgenommen. Die Reform sollte Anreize schaffen, zum Pendeln den Personennahverkehr zu nutzen, und zugleich den Autofahrern in ländlichen Gebieten mit schlechter Nahverkehrsinfrastruktur unter die Arme greifen. Die neue Steuerregelung begünstigt jetzt stattdessen den großstädtischen Pkw-Verkehr.
Autofahrer in den Großstädten werden zeitnah auch nicht auf Elektroautos umsteigen, denn den Klimabonus für Elektrofahrzeuge hat die neue Regierung ebenfalls gestrichen. Die Batterien, die in der brandneuen Batteriefabrik von Northvolt in Skellefteå hergestellt werden – auch sie ein Symbol für Schwedens grünen Industrieboom –, werden in geringeren Mengen im Inland zum Einsatz kommen. Eine noch größere Gefahr für Northvolt ist allerdings ein anderer Aspekt der neuen Regierungspolitik: die krampfhafte Fixierung auf die Atomkraft.
Die Batterieproduktion erfordert ebenso wie die Herstellung von Stahl ohne fossile Brennstoffe große Mengen an erneuerbaren Energien. Bisher war Schweden auf seinen grünen Wandel stolz, doch die amtierende Regierung setzt vollkommen einseitig auf den Ausbau der Kernkraft und kürzt die Subventionen für Offshore-Windparks. Doch während Wasserkraftwerke und Windparks schnell ausgebaut werden können, dauert es mindestens ein Jahrzehnt, bis ein neues Kernkraftwerk in Betrieb genommen werden kann. In den rasch expandierenden klimafreundlichen Industrien macht sich Panik breit: Woher soll in der Zwischenzeit der Strom kommen?
Außerdem werden die Kernkraftwerke vielleicht überhaupt nicht gebaut – jedenfalls nicht die zehn Reaktoren, die der Umweltminister bis 2040 versprochen hat. Dieses Versprechen wurde von der Website der Regierung gelöscht, was weltweit für Verwunderung sorgte. Bevor Kristersson sein Amt antrat, hätten die schwedischen Klimaziele laut dem Schwedischen Rat für Klimapolitik (Klimatpolitiska Rådet) – einer unabhängigen Stelle, die der Regierung klimapolitisch auf die Finger schaut – durchaus erreicht werden können. Laut Beatrice Rindevall, der Vorsitzenden der Schwedischen Gesellschaft für Naturschutz, entwickelt sich Schwedens Politik jedoch inzwischen von „Ungenügend in Richtung katastrophal“.
Ein Jahr nach Beginn der neuen Legislaturperiode mehren sich die Anzeichen, dass sich die Regierung vom 2030-Ziel womöglich komplett verabschiedet und stattdessen die Hände in den Schoß legt, bis die Europäische Union die Ziele festlegt. Kürzlich wurde John Hasseler beauftragt, zu prüfen, wie Schweden die ehrgeizige EU-Agenda „Fit for 55“ zur Emissionsreduzierung erfüllen könnte. Dieser erklärte prompt und öffentlich, Schwedens Klimaziele für 2030 seien „obsolet“.
Deshalb ist es eine echte Katastrophe, dass Schweden die Investitionen in Biokraftstoffe, Batterien und fossilfreien Stahl zurückfährt.
Die Liste der klimapolitischen Rückzieher Schwedens ist in jüngster Zeit unvorstellbar lang geworden und wird immer länger. Sie ist ein unheilvolles Warnsignal an die Adresse anderer europäischer Länder, in denen rechtsradikale Populisten an die Macht drängen. Diese Parteien – von der AfD bis zur spanischen Vox – leben in zunehmendem Maße von jener toxischen Mischung aus Klimaleugnung, Rassismus und Frauenfeindlichkeit, für die die amerikanische Politikwissenschaftlerin Cara Daggett den Begriff „Petro-Maskulinität“ geprägt hat. Kristerssons Regierung ist auf die Schwedendemokraten angewiesen – eine Partei mit überwiegend männlicher Wählerschaft, die bekanntermaßen Klimaleugner anzieht und nicht nur die schwedische Klimaagenda, sondern auch europäische und andere international vereinbarte Ziele offen in Frage stellt.
Bei der Wahl 2022 haben die Schwedendemokraten den Unmut über die infolge der Sanktionen gegen Russland steigenden Benzinpreise schamlos für den Stimmenfang ausgenutzt. Jetzt bedienen sie ihre Wählerschaft mit niedrigeren Steuern auf fossile Brennstoffe, Steuerbefreiungen für Autofahrer und mit Investitionen in Autobahnen – und sie kürzen die Mittel für den ökologischen Wandel.
Rebecca Solnit hat Recht, wenn sie sagt: Wir können es uns nicht leisten, Klimaleugner zu sein – und zwar schon deswegen nicht, weil Weltuntergangsszenarien Menschen, die den Klimawandel leugnen, nicht überzeugen werden, grüne Arbeitsplätze hingegen schon. Deshalb ist es eine echte Katastrophe, dass Schweden die Investitionen in Biokraftstoffe, Batterien und fossilfreien Stahl zurückfährt.
Damit wandelt sich Schweden vom Hoffnungsträger der Energiewende zu einem Land, das ungläubiges Staunen darüber hervorruft, wie schnell ökologische Politik rückgängig gemacht werden kann. Die zuständige Ministerin posierte kürzlich für ein Foto auf dem Stockholmer Innenstadtflughafen, den die neue Regierung vor der Schließung retten will, und stieg gleich darauf in den Flieger nach Göteborg ein.
Dieser Artikel ist eine gemeinsame Veröffentlichung von Social Europe und dem IPG-Journal.
Aus dem Englischen von Christine Hardung