Oberflächlich betrachtet, sind Abkommen, die eine doppelte Besteuerung verhindern, natürlich eine faire Idee: Warum sollte eine Einzelperson oder ein Unternehmen auf ein und dieselben Einkünfte zweimal Steuern zahlen? Ertragssteuern werden in der Regel von lokalen oder nationalen Behörden auf Einkünfte erhoben, die innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs erwirtschaftet werden.

Kompliziert wird es, wenn diese Einkünfte mit dem grenzüberschreitenden Handel von Waren und Dienstleistungen erzielt werden oder im Rahmen von grenzüberschreitenden Transaktionen anfallen. Das ist insbesondere bei ausländischen Investitionen der Fall. Bei diesen könnten sowohl das Heimat- als auch das Zielland das Recht auf die Besteuerung der Erträge für sich beanspruchen. Das Problem dieser konkurrierenden Ansprüche wird vermeintlich von den meist bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen gelöst.

Diese Abkommen genießen bei Regierungen und in der Allgemeinheit eine breite Akzeptanz und werden wenig hinterfragt. Doch wie bei vielen anderen internationalen Wirtschaftsverträgen verbergen sich auch hinter den Doppelbesteuerungsabkommen erhebliche Ungleichheiten, die den Interessen der einkommensschwächeren Länder schaden. Diese Ungleichheiten legt Martin Hearson in seinem Buch Imposing Standards ausführlich und in schonungsloser Deutlichkeit offen. Er zeigt auf, dass das Geflecht der bilateralen Steuerabkommen inzwischen zu einem weiteren Instrument geworden ist, mit dem dringend benötigte Ressourcen aus einkommensschwächeren Ländern abgezogen und in reichere Kapitalexportländer umgelenkt werden.

Gegenwärtig gibt es weltweit mehr als 3 000 dieser Abkommen, durch die 82 Prozent der weltweiten ausländischen Direktinvestitionen geregelt werden. Sie haben beinahe unausweichlich Vorrang vor dem innerstaatlichen Recht, obwohl sie von Verwaltungsorganen ohne Gesetzgebungsbefugnis ausgehandelt werden – häufig hinter verschlossenen Türen.

In Wahrheit gibt es kaum Belege für den positiven Effekt von Besteuerungsabkommen.

Gemeinhin gelten Steuerabkommen als ein Instrument, das einkommensschwache Länder im Wettbewerb um ausländische Investitionen stärkt, indem diese Länder ihre Attraktivität für Investoren erhöhen und dafür auf einen Teil der Steuereinnahmen verzichten, die sie aus diesen Investitionen erzielen könnten. In Wahrheit gibt es kaum Belege für den positiven Effekt von Besteuerungsabkommen auf die Investitionstätigkeit in einkommensschwächeren Ländern. Empirisch fällt die Bilanz durchwachsen aus und deutet darauf hin, dass der Effekt minimal oder bedeutungslos ist im Vergleich zu anderen Faktoren, die wirklich eine Schubwirkung für den Zustrom von Investitionen aus dem Ausland haben.

Viele Abkommen werden erfolgreich so gestaltet, dass sie die Besteuerungsrechte des Ziellandes gegenüber ausländischen Investoren einschränken. Erreicht wird das zum Beispiel durch „Betriebsstättenregelungen“: Sie legen fest, wie intensiv ein ausländisches Unternehmen im Zielland geschäftlich tätig sein muss, um dort überhaupt besteuert werden zu können, und setzen diese Grenze relativ hoch an. Die Mongolei zum Beispiel darf chinesische Bauunternehmen erst besteuern, wenn sie 18 Monate im Land sind. Diese Regelung führt dazu, dass viele dieser Firmen in der Mongolei gar keine Steuern zahlen.

In vielen Fällen werden Einkünfte wie Lizenzgebühren, Pensionszahlungen und bestimmte Formen von Kapitalgewinnen nur im Heimatland des betreffenden multinationalen Unternehmens besteuert. Wenn beispielsweise ein in Uganda ansässiger Niederländer dort eine Beteiligungsgesellschaft verkauft, kann der ugandische Staat darauf keine Kapitalertragssteuer erheben.

Die Steuersätze für grenzüberschreitende Geschäfte – etwa die Quellensteuer auf Dividenden, Zinserträge, Lizenz- und Dienstleistungsgebühren – werden häufig gedeckelt. Die Philippinen erheben auf Dividendenausschüttungen im Ausland pauschal 30 Prozent und auf Zinseinkünfte ebenso pauschal 20 Prozent Quellensteuer, doch einige Doppelbesteuerungsabkommen, die das Land abgeschlossen hat, drücken diese Steuersätze auf fünf oder sogar null Prozent.

Mit jedem weiteren Doppelbesteuerungs-Abkommen, das ein afrikanisches Land abschließt, schrumpft das Körperschaftssteuer-Aufkommen um drei Prozent.

Zudem wird oft genau geregelt, wie Unternehmensgewinne steuerlich berechnet werden dürfen. Dadurch verringert sich die Bemessungsgrundlage im Vergleich zu einheimischen Unternehmen. Besonders große Sorgen bereitet das Machtgefälle bei der Steueraufteilung zwischen Quellenstaat und Ansässigkeitsstaat vielen Rohstoff exportierenden Ländern. Hinzu kommt: Wenn ein Staat ein solches Doppelbesteuerungsabkommen unterzeichnet, hat er bei der Berechnung der Steuerschuld jede sonstige Doppelbesteuerung der im eigenen Land Ansässigen zu beseitigen.

Hearsons Fazit aus all dem: Die „tatsächliche Wirkung“ von Steuerabkommen bestehe oft nicht darin, die doppelte steuerliche Belastung zu vermindern, sondern einen Teil der Kosten aus dem Kapitalexportland in das Kapitalimportland zu verlagern oder den effektiven Steuersatz für Investoren, die länderübergreifend operieren, zu verringern. Untersuchungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) ergaben: Mit jedem weiteren Doppelbesteuerungsabkommen, das ein afrikanisches Land abschließt, schrumpft das Körperschaftssteueraufkommen um drei Prozent. Der IWF rät daher Ländern, die solche Abkommen in Erwägung ziehen, zu „großer Vorsicht“.

Man könnte vermuten, die Initiative zu bilateralen Steuerabkommen würde naheliegenderweise von beiden Seiten ausgehen, doch bei den Verhandlungen sind meistens die Kapitalexportländer die treibende Kraft. Die Heimatländer multinationaler Konzerne machen sich untereinander regelrecht Konkurrenz, wenn es darum geht, den eigenen Unternehmen durch vorteilhafte Besteuerungsabkommen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.

Die Folge: Die einkommensschwächeren Länder sind häufig die „Rule-Taker“ und nicht die „Rule-Maker“, und die Kosten der Doppelbesteuerungsentlastung werden durch solche steuerlichen „Kooperationen“ zum Teil oder sogar zum größten Teil vom Kapitalexportland auf den Kapitalimporteur abgewälzt. Politisch und technisch funktionieren Doppelbesteuerungsabkommen so, dass die Besteuerung in den Kapital importierenden Staaten limitiert wird und diese somit den Löwenanteil der fiskalischen Belastung zu schultern haben.

Auch die Drohung, den Steuerbehörden wesentliche Informationen vorzuenthalten, ist ein wirksames Druckmittel.

Verbrämt wird das Ganze in technokratischen Konstrukten und Standards, die wiederum in Musterabkommen verpackt werden. Doch Hearson warnt: „Das Expertenwissen im internationalen Steuerwesen ist alles andere als neutral.“ Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Warum unterzeichnet ein Land überhaupt ein solches Abkommen, wenn es eine solche Einengung bedeutet, wenn es erhebliche fiskalische Kosten mit sich bringt und wenn es ihm nur ungewisse, relativ geringe und oftmals fragwürdige Einkünfte beschert? Die Antwort lautet: Die Motivation besteht aus einer Mischung aus Unwissenheit, Konkurrenzdenken, Überredung und Zwang.

Viele Regierungen einkommensschwächerer Länder – vor allem solcher Länder, die schlechtere technische Voraussetzungen mitbringen und wenig Erfahrung mit solchen Abkommen haben – lassen sich aus Unwissenheit auf Doppelbesteuerungsabkommen ein, ohne sie genau unter die Lupe zu nehmen, weil sie hoffen, sich als „marktfreundlich“ präsentieren und ein positives Signal an weltweit agierende Investoren aussenden zu können. Das Konkurrenzdenken geht mit dieser Unwissenheit oft unmittelbar Hand in Hand: Viele einkommensschwächere Länder unterschreiben einfach deswegen, weil andere Länder in ihrer Region oder Länder auf einem ähnlichen Entwicklungsstand es genauso machen.

Die Überredung geschieht oft indirekt. Bei der Ausarbeitung der Musterabkommen spielen seit den 1920er Jahren einkommensstärkere Länder die dominierende Rolle – zuerst im Rahmen des Völkerbundes und später in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) – und verschaffen sich damit einen massiven „Erstanbietervorteil“. Das Musterabkommen der OECD ist mittlerweile Standard. Trotz der Schieflage zuungunsten der einkommensschwächeren Länder gilt es allgemein als „annehmbarer“ Weg zur Besteuerung multinationaler Unternehmen und hat sich gegen das Musterabkommen der Vereinten Nationen durchgesetzt, das etwas weniger Schlagseite hat.

Der Druck kann vielerlei Formen annehmen. Berichten zufolge drohen manche Kapitalexportländer bei Verhandlungen über Doppelbesteuerungsabkommen damit, das Anlageland in Steuerfragen technisch nicht mehr zu unterstützen – oder sogar Hilfsfonds einzustellen. Auch die Drohung, den Steuerbehörden wesentliche Informationen vorzuenthalten, ist ein wirksames Druckmittel. Laut Hearson sehen manche Länder sich offenbar gezwungen, Doppelbesteuerungsabkommen mit sogenannten „secrecy jurisdictions“ zu unterzeichnen – also mit Ländern, die das Steuergeheimnis ganz besonders hochhalten – und damit ihre eigenen Besteuerungsrechte zu beschneiden, nur damit sie von diesen weniger kooperativen Ländern überhaupt Informationen bekommen. Damit steht dem „Treaty Shopping“ nichts mehr im Wege – also der missbräuchlichen Ausnutzung der durch Doppelbesteuerungsabkommen ermöglichten Steuervorteile. So verhält es sich bei Abkommen mit den Niederlanden, den USA (wo es etliche Bundesstaaten gibt, die als Steueroasen zu bezeichnen sind), mit Singapur und den Seychellen.

Es gibt jedoch Anzeichen, dass die Dinge sich ändern könnten. Einige Länder – Indonesien, Senegal, Südafrika, Ruanda, Argentinien, die Mongolei, Sambia und Malawi – kündigen ihre Doppelbesteuerungsabkommen oder handeln sie neu aus, und Uganda ist offenbar gerade dabei, seine Abkommen auf den Prüfstand zu stellen. Es ist höchste Zeit, dass viel mehr einkommensschwächere Länder erkennen: Mit dem wirtschaftspolitischen Konstrukt dieser Abkommen wurden und werden sie (einmal mehr) übers Ohr gehauen.

Dieser Artikel ist eine gemeinsame Publikation von Social Europe und dem IPG-Journal.

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld