Die Debatte um das Ausmaß des menschgemachten Klimawandels ist nicht neu. Seit Ende der 1980er Jahre wird das Problem international verhandelt, und die Klimaforschung hatte schon Jahre zuvor vor drohender Erderwärmung und steigendem Meeresspiegel gewarnt. In den letzten Monaten aber ist das Interesse an diesem Thema nochmals gestiegen. Die eigenen Erfahrungen der Hitzesommer haben die Menschen ebenso aufgerüttelt wie jüngste Studien, so zum beschleunigten Rückgang des Meereises in der Arktis. Viele Menschen haben inzwischen einen Eindruck davon bekommen, was der Klimawandel konkret bedeuten könnte. Durch die Fridays for Future-Bewegung ist in vielen Ländern politischer Druck auf die Regierungen entstanden, Klimaschutz ernsthaft anzugehen. Doch welche gesellschaftlichen Voraussetzungen müssten eigentlich erfüllt sein, damit wir uns dieser Aufgabe wirklich widmen können?
Um darauf eine Antwort geben zu können, muss man sich zunächst die Größe und die Langfristigkeit des Problems klarmachen. Wer die Dimensionen des Problems unterschätzt, wird schwerlich angemessen reagieren. Das Abkommen von Paris aus dem Jahr 2015 formuliert als Ziel, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad, höchstens aber zwei Grad zu begrenzen. Dafür müsste die Menschheit in diesem Jahrhundert ihren CO2-Ausstoß auf Null reduzieren. Da das dominante Wirtschaftsmodell auf der Verbrennung fossiler Energieträger und fortgesetztem Wachstum beruht, würde das eine gesellschaftliche Transformation bisher nicht gekannten Ausmaßes erfordern.
Die Umsetzung der Pariser Klimaziele erfordert langfristige Infrastrukturentscheidungen für Industrie, Landwirtschaft und Verkehr. Regierungen und Verwaltungen müssen schwierige Abwägungen treffen. Es geht nicht nur um technologischen Wandel, sondern auch um gravierende Umstellungen der gesellschaftlichen Institutionen und um weitgehende Veränderungen unserer Lebensweisen. Unsere derzeitige politische Verfasstheit erschwert das. So ist die demokratische Grundordnung in Deutschland stärker darauf ausgerichtet, individuelle Freiheitsrechte (inklusive Konsum) zu schützen als darauf, die Durchführung von Gemeinschaftsaufgaben zu ermöglichen. Außerdem handelt es sich beim Klimaschutz um eine globale Aufgabe, der keine durchsetzungsfähige Legislative oder Exekutive auf globaler Ebene gegenübersteht – wir haben keine Weltregierung.
Vielen Menschen machen die immer neuen Hinweise auf die Folgen der Erwärmung Angst. Sie fühlen sich dem Problem hilflos ausgeliefert.
Es gibt für diese Transformation zudem keine Vorbilder. Zwar kam es in der Geschichte der Menschheit immer wieder zu gewaltigen gesellschaftlichen Umwälzungen wie der industriellen Revolution. Aber diese Umwälzungen sind nicht intentional und zielgerichtet erfolgt und sie haben gerade zu den „Nebenfolgen“ geführt, denen wir heute das Klimaproblem verdanken. Am nächsten kommen der erforderlichen Transformation vermutlich die Erfolge der Arbeiterbewegung. Über viele Jahrzehnte hat sie Mindeststandards bei Bezahlung, Arbeitssicherheit und sozialer Absicherung erkämpft. Doch auch dabei handelte es sich um einen langfristigen Prozess, der immer wieder von Rückschlägen begleitet wurde. Zudem waren diese Fortschritte weitgehend auf die Industrieländer beschränkt. Das Klimaproblem ist darüber hinaus noch einmal um Größenordnungen anspruchsvoller.
In dieser Ausgangslage stellt sich die Frage, welche Voraussetzungen für den Kampf gegen die Erderwärmung förderlich sind und welche nicht.
Vielen Menschen machen die immer neuen Hinweise auf die Folgen der Erwärmung Angst. Sie fühlen sich dem Problem hilflos ausgeliefert. Angst ist vielleicht im ersten Moment ein gutes Mittel, um ernsthaft auf ein Problem aufmerksam zu machen. Aber ein Problem wie der globale Klimawandel erfordert eine unaufgeregte Analyse, in der wir unsere Fähigkeit des Denkens unbeeinträchtigt einsetzen können. Viele meinen zwar, es sei schon genug analysiert worden und wir sollten nun zum Handeln übergehen – übersehen dabei aber, dass wir gerade beim Verständnis der gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine gelingende Umsetzung noch ganz am Anfang sind.
Moralisierung vermindert die Fähigkeit, Konflikte friedlich auszutragen und tragfähige Kompromisse zu finden.
Es gibt nicht die eine Lösung, weder technologisch noch finanztechnisch, auf die wir uns schnell einigen könnten. Konflikte über die Auswahl bestimmter Lösungen und über die Art der Umsetzung sind der Normalfall. Die gleiche Lösung wird zum Beispiel nicht in an jedem Ort gleich gut funktionieren. Und vor allem: Lösungen schaffen immer auch neue Probleme, die oft nicht von vornherein abzusehen sind. Jede größere Maßnahme zum Klimaschutz bringt auch nicht-intendierte Folgen mit sich. Klar ist aber: Wir brauchen auf jeden Fall weniger Hysterie. Angst führt zu Kurzschlusshandlungen, wir aber brauchen langfristig wirksame Orientierungen. Angst führt außerdem zu Moralisierung und Schwarz-Weiß-Denken. Dadurch wird die eigene Strategiefähigkeit deutlich verringert. Moralisierung vermindert zudem die Fähigkeit, Konflikte friedlich auszutragen und tragfähige Kompromisse zu finden.
Es ist wichtig, zwischen Aktivismus und Aktionismus zu unterscheiden. Aktivismus bedeutet, sich für bestimmte Ziele aktiv einzusetzen. Aktionismus hingegen hält uns beschäftigt, ohne dass wir bei der Bewältigung von Problemen tatsächlich vorankommen. Aktionismus ersetzt strategische Handlungen, das Tun wird zum Selbstzweck. Das Potential für strategisches Handeln gerät aus dem Blick. Nichts ist dagegen einzuwenden, dass viele Menschen jeden Tag im Kleinen Klimaschutz betreiben. Die Dimensionen des Klimaproblems erfordern aber größere strukturelle Veränderungen.
Es zeigt sich immer wieder, dass kaum jemand allein aus Klimaschutzgründen zu einem grundlegenden Wandel bereit ist.
Um den Klimaschutz insgesamt voranzubringen, müssen wir drei Dinge beherzigen:
Erstens müssen wir anerkennen, dass es sich nicht einfach um ein technologisch zu lösendes Problem handelt. Klimaschutz bedeutet letztlich gesellschaftliche Veränderungen, die notwendigerweise konflikthaft sind, weil wir in einer pluralistischen Gesellschaft leben. Konflikte sollten daher als etwas Normales und Produktives angesehen werden. Was wir brauchen, sind gute Formen des Konfliktaustragens.
Zweitens sollten wir viel stärker mit verschiedenen Lösungen experimentieren, um in der Praxis herauszufinden, was wo wirklich gut funktioniert. Diese Experimente sollten ergebnisoffen ausgewertet und im positiven Fall ausgeweitet werden. Klimaschutz sollte bei solchen Experimenten mit möglichst vielen anderen Zielen verbunden werden, die für die Menschen wichtig sind. In der Forschung zeigt sich immer wieder, dass kaum jemand allein aus Klimaschutzgründen zu einem grundlegenden Wandel bereit ist.
Drittens müssen wir Klimaschutz so gestalten, dass eine breite gesellschaftliche Trägerschaft dafür entstehen kann. Es reicht nicht aus, auf die passive Akzeptanz der Bevölkerung zu setzen. Das wäre zudem auch nicht mit einem lebendigen Demokratieverständnis in Einklang zu bringen. Breite gesellschaftliche Trägerschaft bedeutet, dass möglichst viele Menschen von den Veränderungen profitieren können – durch neue Genossenschaftsformen, neue Geschäftsmöglichkeiten, Gemeinschaftsaktivitäten, Gewinnbeteiligungen und ähnliches.
Dies ist kein Plädoyer dafür, das Handeln auf die lange Bank zu schieben und auf Strukturwandel zu hoffen, statt selber etwas zu tun. Es ist ein Plädoyer dafür, die Möglichkeiten für strategisches Handeln permanent auszuweiten und zu verbessern. Keiner hindert uns daran, sofort damit anzufangen.