Spanien

Spätestens beim Nachtisch ist die Schmerzgrenze erreicht: Im Frühsommer 2022 kosten Wassermelonen in Spanien fast 200 Prozent mehr als im Vorjahr. Laut Statistikamt INE verteuerten sich die Grundnahrungsmittel im Durchschnitt um 30 Prozent, die Energiepreise stiegen schon vor dem Angriff auf die Ukraine exorbitant. Im Juni 2022 lag die Inflation bei 10,2 Prozent, Höchstwert seit 37 Jahren. Ohne die Maßnahmen der Regierung zur Stabilisierung und Abfederung läge sie womöglich noch viel höher.

Am 19. Juli stellte Ministerpräsident Pedro Sánchez sein zweites Anti-Krisenpaket zur Bekämpfung der Folgen der Inflation und zur Unterstützung der Bedürftigsten vor. Die wichtigste Maßnahmen des Pakets sind die Einführung außerordentlicher Steuern für Elektrizitätsunternehmen und Banken, die Förderung des sozialen Wohnungsbaus, eine befristete Subventionierung des öffentlichen Nahverkehrs sowie Zuzahlungen zu Stipendien.

Bei den Stromkonzernen und Banken geht es darum, sogenannte Übergewinne, die im Zuge der Preissteigerungen eingenommen wurden, steuerlich abzuschöpfen. Über die Besteuerung der Stromkonzerne erwartet der spanische Staat, 2 Milliarden Euro pro Jahr einnehmen zu können. Mit der avisierten Steuer für Finanzinstitute sollen weitere Einnahmen von 1,5 Milliarden Euro pro Jahr in die Staatskasse fließen. Die betroffenen Konzerne und Banken haben mit Kritik auf die Ankündigung reagiert und behalten sich vor, gerichtlich dagegen vorzugehen. Zum Hintergrund: Spanische Banken haben im ersten Quartal dieses Jahres Dividenden in Höhe von mehr als 3,5 Milliarden Euro, im vergangenen Jahr insgesamt mehr als 13,4 Milliarden Euro ausgeschüttet.

„Wir werden nicht zulassen, dass das Leid der vielen zum Vorteil der wenigen wird“, bekräftigte Regierungschef Pedro Sánchez und verwies dabei auf die Empfehlungen von OECD und IWF sowie Regelungen im Vereinigten Königreich, Italien, Belgien und Schweden. Der Regierungschef erinnerte auch daran, dass die Banken in früheren Krisen mit öffentlichen Geldern unterstützt wurden. Mit diesen beiden Steuern sollen die Einnahmen des Staates in den kommenden zwei Jahren auf 7 Milliarden Euro steigen. Banken und Energieunternehmen sollen gesetzlich daran gehindert werden, die neue Steuer an ihre Kunden weitergeben zu können.

Das zweite Krisenpaket, das weitere Maßnahmen im Bereich Gesundheit, regionale Kohäsion und Landwirtschaft enthält, ergänzt schon zuvor in Kraft getretene Regelungen: die als „iberische Ausnahme“ bekannte Preisobergrenze für Gas, die Senkung der Mehrwertsteuer bei Strom (von 21 auf 5 Prozent), die Subventionierung des Benzinpreises für Verbraucher (20 Cent pro Liter Diesel oder Benzin bis Jahresende), den Mietpreisdeckel (maximal 2 Prozent Erhöhung), die Einmalzahlung von 200 Euro für alle Personen, Familien und Selbständigen mit einem Haushaltseinkommen von unter 14 000 Euro im Jahr, die Anhebung nicht beitragspflichtiger Renten (Witwen, Waisen, Invaliden, Sozialrenten etc.) um 15 Prozent, das Einfrieren des Preises für Gasflaschen, die Anhebung des Grundeinkommens für die Ärmsten um 15 Prozent sowie die Subventionierung der Wohnnebenkosten für bestimmte Gruppen. Auch die Erhöhung des Mindestlohns, der derzeit bei 1 000 Euro (14 Monatszahlungen) liegt, ist anvisiert.

Die spanische Wirtschaft, die sich von der Finanzkrise noch nicht vollständig erholt hatte, wurde durch die Pandemie und nun durch die globale Inflation besonders hart getroffen.

Mit den Sozialpartnern wird gegenwärtig über eine Art konzertierte Aktion verhandelt. Man hofft, sich auf einen Einkommenspakt einigen zu können. Außerdem ist die Erarbeitung eines Notfallplans zur Energiesicherheit ebenfalls in einer Art konzertierten Aktion mit Vertretern der Energie- und Kraftstoffunternehmen, der Gewerkschaften sowie der Konsumentinnen und Konsumenten unter der Ägide der Ministerin für ökologische Transformation und demografischen Wandel, Teresa Ribera, vorgesehen. 

Die spanische Wirtschaft, die sich von der Finanzkrise noch nicht vollständig erholt hatte, wurde durch die Pandemie und nun durch die globale Inflation besonders hart getroffen. Die ungewöhnlich frühe und lange Hitzewelle 2022 – die Brände, die Desertifikation und der Wassermangel – verdeutlichen einmal mehr die drastische Dimension der Klimakrise, die sich auch auf die Preise von Energie, Treibstoff und anderen Gütern in Spanien auswirkt.

Die Sozialbilanz der Regierung Sánchez kann sich eigentlich wirklich sehen lassen: In den gut drei Jahren ihrer Amtszeit wurde unter anderem der gesetzliche Mindestlohn um 60 Prozent angehoben, es wurde erstmals ein Grundeinkommen eingeführt, das auch Menschen zusteht, die sonst vom Sozialsystem gar nicht erfasst werden, und etliche Firmen überlebten mit Hilfe von staatlichen Krediten und der Auslagerung der Lohnkosten. Dennoch ist die Unzufriedenheit in der Bevölkerung hoch. Die Lkw-Fahrer beispielweise drohen wegen der gestiegenen Benzinpreise erneut mit Streiks – die schon im Frühjahr zu erheblichen Versorgungsengpässen geführt hatten. Auch die Gewerkschaften kündigen an, Arbeitskampfmittel für die von der Inflation gebeutelten Beschäftigten anwenden zu wollen.

Die PSOE-geführte Regierung wiederum macht sehr deutlich, dass es ihr bei der Inflationsbekämpfung und Folgenabmilderung auch um übergeordnete politische Ziele geht. „Regieren heißt Entscheiden. Und wir entscheiden uns für die Seite der Arbeiterklasse“, so Pedro Sánchez. Mit ihrer antizyklischen Krisenpolitik grenzen sich die spanischen Sozialistinnen und Sozialisten zum einen deutlich vom Krisenmanagement der rechtskonservativen Volkspartei in der Vergangenheit ab. Zum anderen priorisieren sie das sozialdemokratische Projekt der Just Transition. Klima- und Wirtschaftskrise müssen mit aller Kraft gleichzeitig bekämpft werden. Für Sánchez geht es darum, den ökologischen Wandel als eine große Chance für die Wirtschaftskraft, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die soziale Kohäsion zu begreifen. Er will die grüne industrielle Revolution in Europa anführen.

Bettina Luise Rürup, FES Madrid

 

Tschechien

Seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine gibt es in Tschechien eine große Solidarität und Hilfsbereitschaft gegenüber den ukrainischen Flüchtlingen. Zwischenzeitlich haben deutlich mehr als 400 000 Ukrainerinnen und Ukrainer Zuflucht in der Tschechischen Republik gefunden – und das bei einer Gesamtbevölkerung von weniger als 11 Millionen Menschen. Bemerkenswert ist dieser Umstand vor allem vor dem Hintergrund, dass sich die Lebensbedingungen für viele Tschechen bereits vor dem Beginn des Kriegs spürbar verschlechtert hatten.

Die Inflation hatte schon Ende des vergangenen Jahres stark zugenommen und liegt inzwischen bei 17,2 Prozent. Damit liegt die Inflationsrate den zwölften Monat in Folge im Plus und bleibt die höchste seit Dezember 1993. Dazu haben vor allem die gestiegenen Energiepreise beigetragen, aber auch Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs sind deutlich teurer geworden. Für viele Menschen hat damit das Rechnen an der Supermarktkasse begonnen und ein Besuch im Restaurant ist zu einem Luxus geworden. Viele treibt zudem die Sorge um, ihre Strom- und Gasrechnungen im Herbst und Winter nicht mehr bezahlen zu können. In Tschechien haben zudem viele Energieunternehmen ihre Tarife bereits an die gestiegenen Einkaufspreise angepasst und an ihre Kunden weitergegeben, so dass die tatsächlichen Preiserhöhungen bereits sehr real im Geldbeutel der Menschen spürbar sind.

Die liberal-konservative Fünf-Parteien-Regierung hat gegen die steigenden Preise bislang wenig unternommen, um den Bürgerinnen und Bürgern zu helfen. Lediglich eine Einmalzahlung für Kinder in Höhe von 5 000 Kronen (circa 200 Euro) wurde im Juni beschlossen. Allerdings gilt diese Regelung nur für Familien, deren Brutto-Einkommen unter 40 000 Kronen (circa 1 600 Euro) im Jahr liegt. Die Unzufriedenheit im Land hat daher in den vergangenen Wochen spürbar zugenommen. Politisch profitiert davon insbesondere der ehemalige Premierminister Andrej Babis mit seiner Partei ANO, der die Regierung vor sich hertreibt und schon seit Ausbruch des Kriegs Erleichterungen für die tschechische Bevölkerung fordert.

Nicht zuletzt aufgrund des gestiegenen öffentlichen Drucks hat die Regierung sich nun entschlossen, ab dem 1. Oktober einen sogenannten Energiespartarif einzuführen. Damit sollen Haushalte mit einem festen Betrag unterstützt werden, um ihre Energiekosten bezahlen zu können. Im Haushalt sind dafür insgesamt 30,5 Milliarden Kronen (circa 1,3 Milliarden Euro) eingeplant. Wie hoch die Zuschüsse pro Haushalt sein werden und wer überhaupt anspruchsberechtigt ist, steht allerdings noch nicht fest. Außerdem plant die Regierung eine Modernisierung der Heizkraftwerke, um zusätzlich Energie einzusparen. Dafür stehen weitere 10 Milliarden Kronen zur Verfügung.

Aktuell gehen zudem die Tarifverhandlungen für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst in die entscheidende Phase. Dazu muss man wissen, dass die Gehälter für diese Gruppe der Beschäftigten seit Anfang des Jahres aus Gründen der Haushaltskonsolidierung eingefroren sind. Insbesondere die Gewerkschaften fordern schon seit längerem eine deutliche Erhöhung der Gehälter und Löhne um 10 Prozent. Hier scheint sich eine Einigung mit dem zuständigen Arbeits- und Sozialminister abzuzeichnen. Offen ist derzeit aber noch die Frage, ab wann die Erhöhungen gelten sollen.

Für viele Menschen hat damit das Rechnen an der Supermarktkasse begonnen und ein Besuch im Restaurant ist zu einem Luxus geworden.

Beim Thema Energiesicherheit ist die Regierung eigenen Angaben zufolge recht erfolgreich gewesen: Die Gasspeicher in Tschechien sind derzeit zu 77 Prozent gefüllt. Damit sei man laut Ministerpräsident Petr Fiala gut für den Winter gerüstet. Außerdem habe man sich jüngst mit den Niederlanden über weitere Flüssigerdgaslieferungen ab September verständigt. Auch mit Deutschland gibt es ein sogenanntes Solidaritätsabkommen, in dem sich beide Länder zusichern, dass man sich im Falle einer Energieknappheit gegenseitig unterstützen werde. Der Premierminister hat zudem das Ziel ausgegeben, dass sich Tschechien innerhalb von fünf Jahren unabhängig von russischen fossilen Energien machen werde. Um dieses Ziel zu erreichen, wird Tschechien auf einen Energiemix setzen und auch verstärkt Atomkraft zur Stromproduktion einsetzen. Gleichzeitig sollen aber auch die Erneuerbaren Energien sukzessive weiter ausgebaut werden. Allerdings haben diese bislang nur einen Anteil von 15 Prozent an der Gesamtstromproduktion in Tschechien.

Das Land befindet sich derzeit sicherlich in einer schwierigen Phase. Sollten die Preise weiter steigen und gleichzeitig die Hilfsmaßnahmen der Regierung als unzureichend empfunden werden, könnte es zu mehr Unzufriedenheit bis hin zu sozialen Protesten in der Bevölkerung kommen. Ein weiterer Nachteil besteht für Tschechien in punkto Energiesicherheit aufgrund seiner geografischen Lage. Da das Land keinen eigenen Zugang zum Meer besitzt, wird es auch in Bezug auf die Lieferung von Flüssigerdgas auf die Zusammenarbeit mit anderen Ländern wie zum Beispiel Deutschland angewiesen sein. Die erste Herausforderung zu lösen, ist Aufgabe der tschechischen Regierung, die zweite aber nicht zuletzt eine Frage der europäischen Solidarität.

Urban Überschär, FES Prag

 

Griechenland

Ein Winter „fern der Krisen“ und ohne zu frieren, im ewigen griechischen Frühling – dazu lädt Tourismusminister Vassilis Kikilias Bürgerinnen und Bürger aus Deutschland ein. „Gemeinsam frieren unter griechischer Sonne“ sollte die Einladung aber eher lauten. Denn die meisten Häuser und Wohnungen in Griechenland haben eine schlechte Bausubstanz mit mangelhafter Isolierung und veralteten Heizungen. In vielen Mehrfamilienhäusern wird gar seit Jahren nicht mehr geheizt, weil sich die Haushalte die Kosten seit der Wirtschaftskrise nicht mehr leisten können. Wohlige Raumtemperaturen von 22 Grad dürften sich da kaum einstellen.

Dieser zynische PR-Gag der konservativen Regierung zeigt nicht nur, wie abgehoben diese ist, sondern auch, wie sehr die Inflation die griechische Bevölkerung trifft: Nach mehr als zehn Jahren Wirtschaftskrise, gefolgt von der Pandemie, sind viele griechische Haushalte am Rande ihrer finanziellen Möglichkeiten, 30 Prozent sind von Armut bedroht. Daher trifft die Inflation Griechenland besonders hart. Während das Thema der Energiekosten schon seit Monaten Tagesgespräch war, ist jetzt auch die allgemeine Teuerung hinzugekommen, und viele Familien verkürzen den Sommerurlaub oder können ihn sich gar nicht mehr leisten.

Wie schwer die Inflation sich auswirkt, zeigt auch der Aufruf zum Generalstreik: Die Gewerkschafts-Dachverbände GSEE und ADEDY organisierten am 6. April einen Generalstreik, der den öffentlichen Verkehr in Athen lahmlegte. Gefordert wurden Gehaltserhöhungen in der Höhe des Inflationsausgleichs, die Wiedereinführung des 13. und 14. Monatsgehalts im öffentlichen Dienst, ein steuerfreies Existenzminimum von 12 000 Euro sowie eine Erhöhung des Mindestlohnes auf 751 Euro.

Viele Familien verkürzen den Sommerurlaub oder können ihn sich gar nicht mehr leisten.

Die aktivistischen Maßnahmen der Regierung müssen vor dem Hintergrund der nahenden Wahlen gesehen werden, die irgendwann zwischen September 2022 und dem Frühjahr 2023 stattfinden. Erleichterungen für die Bevölkerung sind direkte Zuschüsse an die Haushalte durch Benzingutscheine („Benzin-Pass“) – so soll die nächste Runde bis zu 100 Euro in die Taschen von 3,1 Millionen Autofahrern spülen. Zuvor hatte die Regierung mit dem „Power-Pass-Programm“ eine Erleichterung bei der Stromrechnung von bis zu 600 Euro für bedürftige Haushalte angekündigt. Die Oppositionspartei SYRIZA beschuldigte die Regierung, die Verbraucher hinters Licht zu führen, weil die durchschnittlichen Auszahlungen viel niedriger ausgefallen sind. Hinzu kommt, dass die Regierung auch einen weiteren „Inflationsscheck“ anbieten dürfte. Dieser könnte – so Medienberichte – bedürftigen Haushalten mit einem Jahreseinkommen von bis zu 7 200 Euro und einem Vermögen von weniger als 200 000 Euro zur Verfügung stehen. Im Haushalt wird das eine weitere Lücke von 250 bis 300 Millionen Euro reißen.

Gestiegenen Preisen kann man so begegnen, aber was, wenn die Versorgung mit russischem Gas unterbrochen wird? Wenn Russland das Gas abdreht, fehlen zwischen 40 und 50 Prozent der Gasversorgung. Neue Gaslieferungen aus dem östlichen Mittelmeer aus Israel und Ägypten sind derzeit noch Zukunftsmusik. Kurzfristig soll die Energieversorgung des Landes über die TAP-Pipeline, die Gas aus Aserbaidschan liefert, und durch Flüssiggas teilweise ersetzt werden. Zusätzlich sind neue Flüssiggasterminals im Bau und alte werden erweitert.

Hauptsäule der Stromversorgung Griechenlands im Krisenmodus ist die Ankurbelung der Braunkohleförderung in den nächsten zwölf Monaten, obwohl bis 2028 aus der Kohleverstromung ausgestiegen werden sollte. Nun ist die Rückkehr der Braunkohle in vollem Gange. Sechs Kraftwerke sind im Juni wieder voll in Betrieb. Der Anteil der Braunkohle am Energiemix der staatlichen Stromgesellschaft DEI lag im Juni bei 34 Prozent, gegenüber 19,9 Prozent im Mai.  

Sparen, sparen, sparen ist ansonsten das Motto für die Bevölkerung. Eine besonders unkonventionelle Maßnahme: Wer jetzt seine alte Klimaanlage gegen ein neues, energieeffizientes Gerät tauscht, bekommt vom Staat die Hälfte des Kaufpreises erstattet – und kann sich in Zukunft auf eine niedrigere Stromrechnung freuen. Auch für den Kauf neuer Kühlschränke und Tiefkühltruhen gibt es Zuschüsse. Etwa 200 000 Haushalte sollen laut Regierung solche Zuschüsse erhalten und pro Familienhaushalt so 150 bis 300 Euro pro Jahr gespart werden.

Arne Schildberg, FES Athen