Infrastruktur, öffentliche Dienstleistungen und nachhaltige Entwicklung – angesichts der großen Investitionsstaus wird derzeit gerne auf die knappen öffentlichen Kassen verwiesen. Dabei sind wir gar nicht so klamm, wie es scheint, das Geld ist nur nicht gerade optimal verteilt. Die Organisation Oxfam legt alljährlich Zahlen darüber vor, wie sich das globale Vermögen immer stärker in den Händen einer kleinen Gruppe Superreicher konzentriert. Schon 2017 besaßen acht Männer alleine so viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit. Seit 2020 haben die fünf reichsten Männer der Welt ihr Vermögen noch einmal verdoppelt, während im gleichen Zeitraum fünf Milliarden Menschen ärmer wurden. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit hat in seinem jüngsten Jahrbuch vorgerechnet, dass die vier reichsten Familien in Deutschland über ein größeres Vermögen verfügen als die ärmere Hälfte der Bevölkerung zusammen – und dafür müssen sie vergleichsweise wenig Steuern zahlen. Kaum ein Land besteuert Arbeit so hoch und Kapital so niedrig wie die Bundesrepublik. Gleichzeitig werden Hochvermögende und multinational agierende Konzerne bei der Besteuerung immer noch mit Samthandschuhen angefasst. Dazu kommen viele Möglichkeiten, Steuern zu vermeiden und Gewinne und Vermögenswerte an Niedrigsteuerstandorte zu verlagern. Da ist es nur konsequent, wenn jetzt in sozialen Netzwerken eine Bezahlkarte für Milliardäre gefordert wird, damit sie ihr Geld nicht ins Ausland verschieben.

Weil vermögensbezogene Steuerinitiativen im nationalen Rahmen immer die Gefahr der Abwanderung und Verlagerung an andere Standorte bergen, hat der brasilianische Finanzminister Fernando Haddad im Rahmen der brasilianischen G20-Präsidentschaft ein international abgestimmtes Vorgehen auf die Agenda gesetzt. Er greift damit den Vorschlag des französischen Ökonomen Gabriel Zucman auf, der vorsieht, die Reichsten der Reichen mit einer globalen Mindeststeuer von zwei Prozent zu belegen. Wenn das alle Länder gemeinsam tun, wird es schwer, sich der Besteuerung zu entziehen. Prominente Unterstützung erhält der Vorstoß von Finanz- und Wirtschaftsministern aus Südafrika und Spanien und der deutschen Entwicklungsministerin Svenja Schulze. In einem gemeinsamen Beitrag, der in mehreren Zeitungen gleichzeitig erschien, rufen sie unter der Überschrift „Besteuert die Superreichen!“ zu einer globalen Milliardärsbesteuerung auf. Progressive Politik tut gut daran, sich an die Spitze der Bewegung für mehr Verteilungsgerechtigkeit zu setzen. Die gesellschaftlichen Mehrheiten dafür sind längst vorhanden. Wenig verwunderlich kommt das Projekt bei Neoliberalen nicht gut an. Sie halten an der Erzählung fest, dass niedrige Steuern für Hochvermögende Wirtschaftswachstum befördern, sodass am Ende alle etwas davon haben. Empirische Untersuchungen zeigen aber das Gegenteil.

Steuerpolitik ist eine der zentralen Stellschrauben, um Ungleichheit entgegenzuwirken.

Steuerpolitik ist eine der zentralen Stellschrauben, um Ungleichheit entgegenzuwirken. Allerdings gehörte es lange zu den etablierten Mythen, dass sich mit Steuerthemen politisch kein Blumentopf gewinnen lässt. Über Geld will eigentlich keiner reden und der Gedanke an die eigene Steuererklärung lässt ungute Gefühle aufkommen. Die Fragestellungen sind zu komplex, um sie auf griffige politische Slogans herunterzubrechen, und irgendwie denken doch immer alle, dass es ihnen selbst an den Kragen gehen soll – Omas Häuschen lässt grüßen. Steuerpolitik wird oft als politisches Verliererthema gesehen. Dazu kommt die verbreitete Resignation darüber, dass in der Vergangenheit auch progressive politische Akteure entweder nicht Willens oder nicht in der Lage waren, in diesen Fragen grundsätzlich neue Weichen zu stellen. Trotz eklatant wachsender sozialer Ungleichheit polarisiert die Trennungslinie zwischen Arm und Reich, zwischen Arbeit und Kapital, immer noch weniger als die von Konservativen und Rechten konstruierten Bruchlinien im Bereich der Kulturkämpfe. Spätestens seit Steffen Maus Triggerpunkte wissen wir, dass das Lastenfahrrad mehr empört als die Luxusjacht oder der Privatjet. Die Vorstellung, dass finanzieller Reichtum etwas mit persönlicher Leistung zu tun hat, hält sich hartnäckig, obwohl 60 Prozent des Vermögens aus leistungslosen Erbschaften und Schenkungen in einem eng beschränkten Personenkreis resultieren. Die globale Vermögenskonzentration wächst derweil weiter.

Doch in den vergangenen Jahren hat sich etwas verändert. Seit internationale Recherchenetzwerke mit zuverlässiger Regelmäßigkeit in Enthüllungen wie den Panama oder Paradise Papers und den Swiss Leaks Steuervermeidung und -hinterziehung im großen Stil von multinationalen Konzernen und reichen Privatpersonen offenlegen, wächst die Wahrnehmung, dass etwas im Argen liegt. Verteilungskonflikte werden repolitisiert. Steuergerechtigkeit ist zum Gegenstand von sozialen Bewegungen geworden. Weltumspannende zivilgesellschaftliche Netzwerke, wie die Global Alliance for Tax Justice (GATJ) und das Tax Justice Network (TJN), sowie Akteure der internationalen Gewerkschaftsbewegung wie Public Services International (PSI) werden nicht müde, Missstände aufzuzeigen und alternative politische Handlungsoptionen zu formulieren. Den übermächtigen Lobbyakteuren zum Trotz gelingt es unabhängigen Stimmen, sich mit ihren Positionen zur Besteuerung multinationaler Konzerne im internationalen Reformprozess Gehör zu verschaffen, etwa der mit hochrangigen Ökonominnen und Ökonomen besetzten Kommission ICRICT und der BEPS Monitoring Group. Ein erster Erfolg war die Einigung auf eine globale Mindeststeuer, die in Zukunft der Nutzung von Steuervergünstigungen als Vorteil im internationalen Standortwettbewerb einen Riegel vorschieben soll. Mit 15 Prozent ist sie deutlich zu niedrig angesetzt, aber trotzdem ein Schritt in die richtige Richtung. Weitere Schritte müssen folgen. Dazu gehören eine gerechtere internationale Verteilung von Besteuerungsrechten, die da ansetzen, wo Wertschöpfung tatsächlich stattfindet, sowie eine breite Legitimation von internationalen Steuerregeln durch eine Steuerkonvention bei den Vereinten Nationen.

Die Covid-19-Pandemie hat den Trend der Vermögensungleichheit verschärft.

Es ist ein Kampf zwischen David und Goliath. Ihnen gegenüber steht eine hochbezahlte Armee aus Beraterinnen und Beratern, die für jeden Versuch, Schlupflöcher zu schließen, ein neues Steueroptimierungskonzept aus der Schublade zieht, um die Abgabenlast ihrer gut betuchten Klientel zu reduzieren. Die Covid-19-Pandemie hat den Trend der Vermögensungleichheit verschärft. In Argentinien wurde deshalb unter der Regierung von Alberto Fernandez eine einmalige Vermögensabgabe beschlossen, wie sie in Deutschland ab Ende der 1940er Jahre für den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg erhoben wurde. 2023 hat sich auch der Bundesparteitag der SPD für eine Krisenabgabe ausgesprochen. Durch den globalen Anstieg der Energie- und Lebenshaltungskosten infolge des Krieges in der Ukraine hat sich die Lage weiter zugespitzt. Doch nicht alle stehen auf der Verliererseite. Während weltweit Menschen ums Überleben kämpften, profitierten multinationale Konzerne unterschiedlicher Sektoren von der Krise und fuhren Zufallsgewinne in Rekordhöhe ein, die UN-Generalsekretär António Guterres als „unmoralisch“ brandmarkte. Allein im ersten Quartal des Jahres 2022 beliefen sich die Gewinne großer Energiekonzerne Schätzungen zufolge auf über 100 MilliardenUS-Dollar. Forderungen nach einer Übergewinnsteuer wurden laut, um die Unternehmen an den Krisenkosten zu beteiligen. Letztendlich brachte die Europäische Union mit einer Notfallverordnung einen Energiekrisenbeitrag auf den Weg. Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit schlägt vor, Übergewinne auch langfristig zu besteuern, um der wachsenden Konzentration von Marktmacht entgegenzuwirken.

Die Steuerkampagne mit dem bisher größten zivilgesellschaftlichen Mobilisierungspotenzial ist heute fast in Vergessenheit geraten. Kurz vor der Jahrtausendwende brachte der spanische Journalist Ignacio Ramonet mit einem Leitartikel in der Le Monde diplomatique eine internationale Massenbewegung ins Rollen. Zur Umsetzung der bereits in den 1970er Jahren vom US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler James Tobin geforderten Abgabe auf spekulative internationale Devisentransaktionen schlug er die Gründung einer Nichtregierungsorganisation vor, die sich schnell großen Zulaufs erfreute. Die Besteuerung von Finanztransaktionen zielt auf eine zweifache Wirkung: Zum einen generiert sie Einnahmen, die öffentliche Investitionen in nachhaltige Entwicklung ermöglichen. Zum anderen kann sie eine Lenkungswirkung auf die internationalen Finanzmärkte entfalten und kurzfristige Spekulationen und Währungsschwankungen eindämmen. Was zunächst als Utopie globalisierungskritischer Linker abgetan wurde, bekam durch die internationale Finanzkrise 2007/2008 politischen Rückenwind. Banken, die mit dem Geld der Steuerzahlenden gerettet wurden, sollten zukünftige Krisenkosten selbst tragen. In Großbritannien warb ein breites Bündnis für eine sogenannte Robin Hood Tax, die in Deutschland als „Steuer gegen Armut“ bekannt wurde. Mehr als 55 000 Menschen unterschrieben in Deutschland innerhalb von nur wenigen Wochen eine Petition für ihre Einführung. Dass sie bis heute nicht beschlossen wurde, liegt vor allem am massiven Druck der Finanzlobby. 50 Jahre nach ihrer Erfindung firmiert die Tobin-Steuer heute unter der Überschrift „Totgesagte leben länger“. Eine politische Einigung ist nicht in Sicht, aber spätestens im Zuge der nächsten Finanzkrise wird sie eine neue Konjunktur erfahren.

Die Forderung nach einer stärkeren Besteuerung von Hochvermögenden ist heute wieder von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen.

Die Forderung nach einer stärkeren Besteuerung von Hochvermögenden ist heute wieder von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen. In Deutschland wurde die Vermögenssteuer 1997 abgeschafft. 2022 sprach sich in einer repräsentativen Umfrage mit 73 Prozent eine deutliche Mehrheit für eine Wiedereinführung aus. Eine neue Studie rechnet vor, dass Deutschland 73 Milliarden einnehmen könnte, wenn es Vermögen in gleichem Maße besteuern würde wie die Schweiz. Seit der internationalen Finanzkrise konzentrierte sich das globale Vermögen immer stärker in den Händen einiger weniger Superreicher. Im Herbst 2023 hat sich in der EU eine Bürgerinitiative formiert, die innerhalb eines Jahres eine Million Unterschriften in mindestens sieben Mitgliedstaaten für die Einführung einer europäischen Vermögenssteuer sammeln will. Damit soll der ökologische und soziale Wandel finanziert werden. In den USA ist das Thema gar in der Popkultur angekommen. Kontrovers, aber unvergessen bleibt der Auftritt der demokratischen Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez bei der New YorkerMet-Gala 2021, als auf der Rückseite ihres weißen Abendkleids groß in Rot „Tax the rich“ stand.

Dass Milliardäre relativ gesehen nicht weniger Steuern zahlen sollten als die arbeitende Mittelschicht, ist ein No-Brainer, ein politisches Kopfnickerthema par exellence. Steuergerechtigkeit ist ein politisches Gewinnerthema, das von gesellschaftlichen Mehrheiten getragen wird und breites Mobilisierungspotenzial bietet. Das veranschaulichen die genannten Kampagnen. Dass es trotzdem so schwer ist, entsprechende Veränderungen politisch auf den Weg zu bringen, zeigt, wie groß die Macht und Einflussnahme von Vermögenden auf die politische Entscheidungsfindung ist. Ein Rechercheteam ist der Frage nachgegangen, warum es so schwer ist, Reiche zu besteuern, und hat nachgezeichnet, wie Lobbyakteure den Kampf für ein gerechteres Steuersystem torpedieren. Der technische Charakter steuerpolitischer Fragestellungen lässt progressive Initiativen schnell ins Hintertreffen geraten, wenn finanzstärkere Gegnerinnen und Gegner umfangreiche Expertisen beauftragen, um ihren Positionen Nachdruck zu verleihen. Doch durch eine immer stärkere internationale Vernetzung von Zivilgesellschaft, Gewerkschaften, Wissenschaftlerinnen und Journalisten ist es über die Jahre gelungen, eine Gegenmacht aufzubauen, die gemeinsam an einer neuen Erzählung gerechter Steuerpolitik strickt, Konzepte erarbeitet und Argumente liefert. Progressive Politik darf nicht im vorauseilenden Gehorsam vor der Übermacht der Gegenseite kapitulieren. Stattdessen muss sie sich zum Sprachrohr der Bewegung machen und die Forderungen nach mehr Steuergerechtigkeit selbstbewusst in der politischen Arena vertreten. Der gemeinsame Vorstoß für eine international koordinierte Milliardärssteuer kommt genau im richtigen Moment. Die Zeit ist reif.