Seit gut vier Monaten, seit dem 27. Oktober 2023, sieht sich der Elektroautohersteller Tesla erstmals mit einem Streik konfrontiert. Die schwedische Gewerkschaft IF Metall rief zum Streik auf, nachdem Tesla sich fünf Jahre lang geweigert hatte, einen Tarifvertrag für seine Werkstattbeschäftigten im ganzen Land auszuhandeln – Tesla betreibt in Schweden keine Fabriken, sondern bietet nur Fahrzeugwartung, Reparaturen und Ladeinfrastruktur an. Dass gerade die schwedische Gewerkschaftsbewegung sich als erste mit dem konsequent gewerkschaftsfeindlichen Unternehmen anlegt, ist nicht überraschend. Schweden ist eines der am stärksten gewerkschaftlich organisierten Länder der Welt, rund 70 Prozent der Arbeiterinnen und Arbeiter sind Gewerkschaftsmitglieder. Dementsprechend unterstützt die große Mehrheit der Schwedinnen und Schweden den Streik und ist der Ansicht, dass der Konflikt der Marke Tesla schadet.

Schwedische Gewerkschaften haben Machtressourcen, die in vielen anderen Ländern nicht zur Verfügung stehen. Sie können beispielsweise Unternehmen bestreiken, die keine Tarifverträge anbieten, und sie damit unter Druck setzen, einen Tarifvertrag abzuschließen – der Tesla-Konflikt ist hierfür ein Paradebeispiel. Außerdem dürfen sie zu Sympathiestreiks aufrufen, die manchmal auch Solidaritätsstreiks genannt werden. Das sind Kollektivaktionen zur Unterstützung eines Hauptarbeitskampfes, mit denen Gewerkschaften beispielsweise sich selbst oder eine andere Gewerkschaft stärken können, wenn sie in einen Konflikt involviert ist. In der Auseinandersetzung mit Tesla werden beide Aktionsformen genutzt.

Dass gerade die schwedische Gewerkschaftsbewegung sich als erste mit dem konsequent gewerkschaftsfeindlichen Unternehmen anlegt, ist nicht überraschend.

Die erste Variante praktiziert die Gewerkschaft IF Metall. Zunächst weitete sie ihren Streik auf Reparaturwerkstätten anderer Unternehmen aus, die Tesla-Fahrzeuge warten. Im zweiten Schritt verhängte IF Metall kürzlich eine Blockade gegen das Unternehmen Hydro Extrusion, das ein für die Produktion des Model Y von Tesla in Deutschland benötigtes Bauteil herstellt. Auf diese Weise will die Gewerkschaft die Produktion von Neufahrzeugen behindern. Weitaus die meisten Solidaritätsstreiks gegen Tesla wurden jedoch von neun anderen schwedischen Gewerkschaften ausgerufen. Diese Arbeitskampfmaßnahmen sind streng genommen keine Streiks, weil die Belegschaft die Arbeit nicht gänzlich niederlegt. Stattdessen führen die Beschäftigten keine Tätigkeiten mehr aus, die mit Tesla in Verbindung stehen.

Die Gewerkschaft der Elektriker weigert sich zum Beispiel, Elektroarbeiten wie die Wartung oder Reparatur von Teslas Ladestationen und Werkstätten durchzuführen; die Gewerkschaft der Gebäudeinstandhalter hat die Reinigung der Werkstätten und Büros von Tesla eingestellt; die Gewerkschaft der Postangestellten blockiert Lieferungen an alle Tesla-Einrichtungen (auch die Lieferung von Nummernschildern für Neufahrzeuge); und die Transportgewerkschaft hat die Entsorgung von Industrieabfällen in den Werkstätten gestoppt und verhindert außerdem das Entladen von Tesla-Autos in den rund 50 schwedischen Häfen, sodass praktisch keine Tesla-Autos mehr nach Schweden geliefert werden.

Um die Blockade der Hafenbeschäftigten zu umgehen, leitete Tesla die Schiffe zunächst in andere nordeuropäische Häfen um. Dadurch weitete der Konflikt sich international aus, denn Gewerkschaften in Dänemark, Norwegen und Finnland beschlossen, IF Metall mit Solidaritätsaktionen zu unterstützen und dafür zu sorgen, dass in nordeuropäischen Häfen keine Tesla-Fahrzeuge mehr entladen werden. Als Reaktion auf die Blockade der nordeuropäischen Häfen verlegte Tesla den Transport auf den Landweg direkt von seinem Werk in Deutschland – Teslas einzige Fabrik in Europa und die zweitgrößte außerhalb der USA. Das ist natürlich aufwändiger und vermutlich teurer als die übliche Verschiffung.

Der Tesla-Streik ist der längste schwedische Arbeitskampf seit mehr als 30 Jahren.

Der Tesla-Streik ist sowohl vom Ausmaß als auch von der Dauer her eine Besonderheit, denn es handelt sich um den längsten schwedischen Arbeitskampf seit mehr als 30 Jahren. In Schweden, einem der einträchtigsten Arbeitsmärkte in Europa, wird äußerst selten gestreikt. Gerade dieser Konflikt ist aber für die schwedischen Gewerkschaften von zentraler Bedeutung. In ihren Augen ist er zwingend notwendig, um das vielgepriesene schwedische Arbeitsmarktmodell zu schützen. Eine der institutionellen Säulen dieses Modells sind die sektoralen Tarifverträge, die für 90 Prozent aller Beschäftigten gelten. Die Tarifbindung wird teilweise dadurch gewährleistet, dass die Unternehmen streng verpflichtet sind, solche Verträge abzuschließen.

Arbeitskosten dadurch zu senken, dass man sich der Aushandlung von Tarifverträgen verweigert, wird von Gewerkschaften und Unternehmen gleichermaßen als unlauterer Wettbewerb erachtet. Die Gewerkschaften fürchten zudem einen Abwärtsdruck auf Löhne und Arbeitsbedingungen, wenn ein großes Unternehmen wie Tesla aus dem schwedischen Modell aussteigen darf, denn das könnte andere dazu veranlassen nachzuziehen. Dieser Dominoeffekt wäre nicht nur für die Beschäftigten von Tesla von Nachteil, sondern auch für die Arbeiterinnen und Arbeiter in anderen Unternehmen, und könnte am Ende das schwedische Modell insgesamt untergraben. Die Alternative zu einem hohen tarifvertraglichen Organisationsgrad bestünde darin, mehr Vorschriften über Löhne und Arbeitsbedingungen auf nationaler und EU-Ebene zu erlassen – ein Szenario, das die Gewerkschaften und Unternehmen vermeiden wollen.

Dieser Konflikt spielt für die Gewerkschaften auch deshalb eine so große Rolle, weil Tesla beispielhaft für den schnell wachsenden Markt für Elektrofahrzeuge steht.

Der Konflikt spielt für die Gewerkschaften auch deshalb eine so große Rolle, weil Tesla beispielhaft für den schnell wachsenden Markt für Elektrofahrzeuge steht. Tarifverträge für die im Zuge des industriellen Wandels geschaffenen Arbeitsplätze zu sichern, ist eine der zuverlässigsten Möglichkeiten, um sicherzustellen, dass grüne Arbeitsplätze auch wirklich gute Arbeitsplätze sind – ein wichtiges Anliegen der Gewerkschaften.

Doch auch für Tesla hat der Konflikt symbolische Bedeutung. Der Grund sind nicht die Kosten eines Vertrags mit den schwedischen Gewerkschaften, die unerheblich wären in Anbetracht der Tatsache, dass ein solcher Vertrag nur für 130 der weltweit fast 130 000 Tesla-Beschäftigten gelten würde. Doch Zugeständnisse an die Gewerkschaft in Schweden könnten den Gewerkschaftsforderungen in Ländern wie den USA und Deutschland, in denen ein Großteil der Tesla-Beschäftigten arbeitet, Auftrieb geben.

Die schwedischen Gewerkschaften sind nicht die einzigen, die Druck auf Tesla ausüben. In den USA will die Gewerkschaft United American Autoworkers mindestens eine der riesigen amerikanischen Tesla-Fabriken gewerkschaftlich organisieren. Eine Woche vor dem Streik in Schweden richtete zudem die neugewählte Vorsitzende der mächtigen deutschen IG Metall, Christiane Benner, eine deutliche Botschaft an Elon Musk: „Sie müssen aufpassen. Hier gelten andere Spielregeln“, sagte sie mit Blick auf die Versuche von Tesla, die gewerkschaftliche Organisierung in seinem Werk in Grünheide mit fast 12 000 Beschäftigten zu behindern.

Bislang hat sich jedoch noch keine deutsche Gewerkschaft ihren nordeuropäischen Partnergewerkschaften mit Solidaritätsaktionen zur Unterstützung von IF Metall angeschlossen.

Nach Angaben der IG Metall steigt die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder in dem Werk „schneller als erwartet“. Die Mitgliederzahlen sind entscheidend, um die anstehenden Betriebsratswahlen im Werk zu gewinnen und Tesla durch entsprechenden Druck zu Verhandlungen mit der Gewerkschaft zu bewegen oder möglicherweise auch zu einem Streik aufzurufen. Bislang hat sich jedoch noch keine deutsche Gewerkschaft ihren nordeuropäischen Partnergewerkschaften mit Solidaritätsaktionen zur Unterstützung von IF Metall angeschlossen. Denkbare Möglichkeiten wären die Blockade von Lkw, die Tesla-Neuwagen von Deutschland nach Schweden liefern sollen, oder die Einstellung der Werksproduktion von Fahrzeugen für den schwedischen Markt. Mit solchen Aktionen könnte der internationalen Mobilität des Kapitals etwas Gewichtiges entgegengesetzt und die nordeuropäische Gewerkschaftsbewegung könnte wirkungsvoll gestärkt werden. Auch würden sie die Chancen der IG Metall auf einen Tarifvertrag für die Tesla-Beschäftigten in Deutschland erhöhen. Und das, während Tesla am deutschen Standort nach einem Nein bei einer nichtbindenden Bürgerbefragung über eine Erweiterung der Fabrik unter Druck steht. 

Bleibt die Frage, ob solche Solidaritätsstreiks nach deutschem Arbeitsrecht zulässig sind oder nicht. Das Recht auf Solidaritätsaktionen wurde zwar in Deutschland 2007 in einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts bestätigt, aber ein Fall wie der schwedische Tesla-Konflikt ist bislang noch nicht vor Gericht verhandelt worden. Daher sollten die IG Metall und andere deutsche Gewerkschaften dringend juristisch genau prüfen, ob sie zu Solidaritätsstreiks aufrufen können, um die IF Metall in ihrem Kampf für einen Tarifvertrag für die Tesla-Beschäftigten zu unterstützen. Sollte sich dabei herausstellen, dass der Rechtsstatus solcher Solidaritätsstreiks unklar ist, bestünde die Möglichkeit, vor dem Bundesarbeitsgericht einen Präzedenzfall zu schaffen, der enorm wichtig werden könnte. Dass die IG Metall den schwedischen Streik rhetorisch unterstützt, ist erfreulich und auch geboten, reicht aber leider nicht aus. Nicht, wenn man es mit einem Elon Musk zu tun hat.

Aus dem Englischen von Christine Hardung