Die Klimaverhandlungen 2019 in Madrid waren konfliktreich und zäh. Bereits in einem Jahr sollen die Unterzeichner des Paris-Abkommens verschärfte nationale Klimaziele verkünden, und Madrid machte deutlich, wie schwierig das werden wird. Einige der zentralen Bausteine des Abkommens wie der internationale Handel von Verschmutzungsrechten oder Fragen zu Entschädigungen von durch den Klimawandel verursachten Schäden und Verlusten konnten in Madrid nicht abgeschlossen werden.

Der von der chilenischen Präsidentschaft gewählte Titel „Time for Action“ zog sich durch nahezu alle Verhandlungen, Reden und Side-events – und doch war die COP25 gerade dadurch gekennzeichnet, kaum substanzielle zusätzliche Anstrengungen hervorzubringen. Die Klimaverhandlungen 2019 lassen sich daher am besten als „Brücken-COP“ beschreiben – zwei Wochen UN-Verhandlungen, geprägt von Durchhalteparolen bis zur COP26 im nächsten Jahr in Glasgow, bei der dann alles besser werden soll. Die hoch aufgetürmten Erwartungen und verhärteten Verhandlungspositionen lassen allerdings schon jetzt vermuten, dass auch die nächste COP nicht alle Konflikte wird lösen können.

Die EU inszenierte sich in Madrid als Lichtblick, wenn es um Ambitionssteigerungen im Klimaschutz geht. Nur 11 Tage nach ihrem offiziellen Amtsantritt und mitten in der spannungsgeladenen zweiten Verhandlungswoche präsentierten Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihr für klimapolitische Fragen verantwortlicher Vizepräsident Frans Timmermans den „EU Green Deal“. Er gilt als „Roadmap“ auf dem Weg zu einer klimaneutralen EU im Jahr 2050. Anschließend reiste Frans Timmermans umgehend nach Madrid, um dieses politische Kernanliegen der neuen Kommission vor der internationalen Klima-Community zu präsentieren. Einen ersten Vorgeschmack auf die neue Initiative der EU hatte Ursula von der Leyen den Delegierten und Beobachtern in Madrid bereits in ihrer Rede zur Eröffnung der Verhandlungen eine Woche zuvor gegeben.

Die proaktive Kommunikation des EU Green Deal zeigt den schmalen Grat zwischen progressiver Klimadiplomatie und professioneller Klima-PR der Regierungen.

Der neue Vorstoß zeigt, dass die Kommission es tatsächlich ernst meint – das Klimathema soll ganz oben auf die politische Agenda. Ursula von der Leyen und Frans Timmermans sind zwei politische Schwergewichte. Mit dem Green Deal und seiner vollmundigen Präsentation als „man on the moon moment“ gehen sie die Verpflichtung ein, politisch etwas zu erreichen. Doch obwohl die Initiative der EU eine der wenigen positiven Nachrichten in Madrid war, bleibt ein bitterer Beigeschmack.

Die proaktive Kommunikation des EU Green Deal zeigt den schmalen Grat zwischen progressiver Klimadiplomatie und professioneller Klima-PR der Regierungen. Einerseits lebt der im Paris-Abkommen vereinbarte hybride Ansatz einer Verknüpfung von „bottom-up“ und „top-down“ Elementen davon, dass Staaten und andere Akteure neue Selbstverpflichtungen vereinbaren und damit ein Umfeld schaffen, in denen andere ihnen auf diesem Weg folgen. Ein Anreiz zur Inszenierung der eigenen politischen Initiativen ist damit schon in der Struktur des multilateralen Abkommens angelegt.

Aus dieser Struktur heraus ergibt sich gleichzeitig aber auch eine grundlegende Herausforderung: Wenn sich Staaten mit aufwendig vorbereiten Kommunikationsstrategien wortreich als Klimavorreiter inszenieren, die Begrenzungen des eigenen Handlungsspielraums jedoch nicht offenlegen und schließlich angekündigten Verpflichtungen nicht nachkommen können, ergibt sich daraus langfristig ein gravierendes Glaubwürdigkeitsproblem – erst für einzelne Akteure, später für das Paris-Abkommen insgesamt.

Dass der EU Green Deal das jüngste Beispiel für diese Spannung ist, zeigt sich in drei – bislang zu wenig beachteten – grundlegenden internen Herausforderungen, vor denen die EU bei der Umsetzung des neuen Plans steht.

Die Implementationskrise auf der Ebene der Mitgliedstaaten macht die Anschärfung und Revision bisheriger EU-Klimaschutzgesetzgebung noch komplizierter.

Schon einen Tag nach der offiziellen Vorstellung des Vorhabens wurde die Kommissionspräsidentin im Rahmen des Europäischen Rates an die begrenzten Kapazitäten der Kommission erinnert. Zwar konnten sich die Staats- und Regierungschefs auf das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 einigen. Polen allerdings verlangt mehr Zeit und trägt das ambitionierte Ziel nicht mit.

Die EU-Mitgliedstaaten sind damit vertraut, dass sich die Staaten zu jeweils unterschiedlichen Ausmaßen bzw. Geschwindigkeiten an Emissionsreduktionen verpflichten. Sollte dieser differenzierte Ansatz auch auf das Klimaneutralitätsziel angewendet werden, könnten einige Länder über 2050 hinaus Emissionen ausstoßen, andere hingegen müssten ab 2050 eine netto-negative Emissionsbilanz vorweisen; also mehr CO2 aus der Atmosphäre entnehmen als ausstoßen. Bislang hat sich keiner der Staaten offen für differenzierte Netto-Null Ziele gezeigt. Der Konflikt besteht weiterhin, und seine Lösung dürfte die tatsächliche Ausgestaltung des Green Deals maßgeblich prägen.

Zweitens geht in der Diskussion häufig unter, wie umstritten die Anhebung der 2030-Ziele weiterhin ist. Die von der Kommission vorgeschlagene Anhebung auf eine Reduktion von 50-55 Prozent geht mit einer Revision und Neuverhandlung der drei zentralen Säulen der EU-Klimapolitik einher: EU-Emissionshandel (ETS), Lastenverteilung (Effort-Sharing) und Landnutzung und Forstwirtschaft (LULUCF). Alle drei Gesetzgebungen wurden noch in 2018 jeweils in zähen Verhandlungen abgeschlossen. Sie bestehen aus komplexen Kompromiss-Paketen zwischen unterschiedlichen Akteuren. Diese Pakete aufzuschnüren, dürfte gerade beigelegte Konflikte zwischen Mitgliedstaaten und Interessengruppen neu entfachen und einen zeitnahen Abschluss der Revision unwahrscheinlich machen.

Hinzu kommt drittens, dass manche der Zielvorgaben in den drei Säulen der EU-Klimapolitik durch Mitgliedstaaten deutlich verfehlt werden. Ein Beispiel ist hier die Lastenteilungsverordnung, die nicht vom ETS abgedeckte Sektoren wie Verkehr und Landwirtschaft umfasst. Emissionsprojektionen sowie die Auswertung der Entwürfe der Nationalen Energie- und Klimapläne zeigen, dass die meisten Mitgliedstaaten ihre Zielvorgaben verpassen werden. Unter diesen Staaten ist auch das häufig als Klimavorreiter beschriebene Deutschland. Erst die intensive politische Auseinandersetzung um das Klimapaket der Bundesregierung dürfte Deutschland mittlerweile auf einen Kurs bringen, die jetzigen 2030-Ziele einzuhalten. Die Einhaltung deutlich ambitionierterer 2030-Ziele würde die Bundesregierung erneut vor Herausforderungen stellen. Diese Implementationskrise auf der Ebene der Mitgliedstaaten macht die Anschärfung und Revision bisheriger EU-Klimaschutzgesetzgebung damit noch komplizierter.

Nach dem bevorstehenden Austritt der USA aus dem Abkommen wird die EU-Initiative von großer Bedeutung sein, um Vereinbarungen mit dem größten Emittenten China treffen zu können.

Dennoch ist es grundsätzlich eine positive Entwicklung, dass die EU-Kommission einen ambitionierten Plan verfolgt. International bietet er den Grundstein für eine diplomatische Initiative im Rahmen der Klimaverhandlungen. Nach dem bevorstehenden Austritt der USA aus dem Abkommen wird diese Initiative von großer Bedeutung sein, um Vereinbarungen mit dem größten Emittenten China treffen zu können. Auf europäischer Ebene hingegen kann die Kommission mit dem progressiven Green Deal der Entwicklung entgegensteuern, dass die Mitgliedstaaten über den Europäischen Rat in den letzten Jahren maßgeblich die Klimapolitik der EU gestaltet haben und so Reformen verhindern oder ausbremsen konnten. Zwar wird diese Kommission die zahlreichen Konfliktlinien zwischen den Mitgliedstaaten nicht alle überwinden können und der Rat wird weiterhin eine entscheidende Rolle spielen. Es ist aber richtig, den langfristigen Gestaltungsanspruch der Kommission neu einzufordern.

Der Green Deal hat das Potential, die Europäische Union zu einem Vorreiter der internationalen Klimapolitik zu machen. Soll das Paris-Abkommen gelingen, braucht es aber glaubwürdige und transparent agierende Vorbilder, die sich politischen Herausforderungen stellen und die Konfliktpotenziale klimapolitischer Maßnahmen anerkennen. Ansonsten drohen die internationalen Verhandlungen zukünftig zu einem Wettbewerb um die beste Klima-PR zu werden. Damit aber würden sie das fragile Paris-Abkommen langfristig untergraben.