Die notwendige Abkehr von fossilen Energieträgern wird langfristig dazu führen, dass knapp 600 Millionen Arbeiter, die weltweit in emissionsintensiven Sektoren beschäftigt sind, ihren Arbeitsplatz verlieren. Und auch aus monetärer Sicht stellt die Energiewende für viele Akteure, in erster Linie für die fossile Industrie, ein Verlustgeschäft dar: Für sie bedeutet die Umgestaltung der Energiesysteme ein Verzicht auf Öl-, Kohle- und Gasvorräte im Wert von 120 Trillionen US-Dollar.

Das zentralasiatische Land ist im Besitz von fast drei Prozent der globalen erschließbaren Öl- und drei Prozent der globalen Steinkohlereserven.

Das volkswirtschaftliche Potential erneuerbarer Energien ist da zunächst nur ein schwacher Trost. Denn Verluste und Gewinne einzelner Sektoren können natürlich nicht in einer mathematischen Gleichung gegeneinander aufgerechnet werden. So wird in Deutschland trotz des vergleichsweise geringen Ressourcenreichtums und der Importabhängigkeit von Erdöl, Gas und Steinkohle gerne das Schreckgespenst der De-Industrialisierung bemüht, um ein Festhalten an der heimischen Braunkohleindustrie zu rechtfertigen. Doch wenn schon hierzulande die Energiewende die Kohle-Lobbyisten auf den Plan ruft, wie sieht es dann erst in besonders öl- und gasreichen Staaten aus?

Beispiel Kasachstan: Das zentralasiatische Land ist im Besitz von fast drei Prozent der globalen erschließbaren Öl- und drei Prozent der globalen Steinkohlereserven. Hinzu kommen Mineralien- und Erdgasvorräte. Dennoch ist nachhaltige Entwicklung trotz Ressourcenreichtum hier durchaus ein wichtiges Thema.

Das flächenmäßig neuntgrößte Land der Welt beherbergt nur 17 Millionen Menschen, sodass die vorhandenen Ressourcen mehr als ausreichen, um Haushalte und Industrie mit billiger Energie zu versorgen. Diese wird bislang zu 80 Prozent von Kohlekraftwerken erzeugt. Das schlägt sich auch im Wirtschaftswachstum des Landes wieder, das lange Zeit mit jährlichen Raten von 10 Prozent und mehr zu den höchsten der Welt gehörte. Obwohl das Wachstum seit dem Ausbruch der globalen Wirtschaftskrise und dem Rückgang von Rohstoffexporten 2012 bis auf 5 Prozent zurückgegangen ist, reichen die Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft aus, um vor allem den Boom in der Baubranche weiter zu befeuern.

Wohlstand und Arbeitsplätze sind in Kasachstan folglich eng an den Ressourcenreichtum des Landes gekoppelt. Doch dieses Entwicklungsmodell ignoriert die planetarischen Grenzen.

Wohlstand und Arbeitsplätze sind in Kasachstan folglich eng an den Ressourcenreichtum des Landes gekoppelt. Doch dieses Entwicklungsmodell ignoriert die planetarischen Grenzen, führt zu schwindenden Ressourcen, unaufhaltsam steigenden Treibhausgasemissionen und der Übernutzung frei verfügbarer Ressourcen wie der Atmosphäre oder den immer knapper werdenden Wasservorräten. Auch gravierende Umweltprobleme wie Luftverschmutzung oder eine Häufung extremer Wetterereignisse wie Überschwemmungen nehmen in Kasachstan zu.

Zudem haben die wirtschaftlichen Erfolge nicht zu einer Umverteilung von Wohlstand oder zu neuen Arbeitsplätzen geführt. Im Gegenteil: Das momentane Entwicklungsmodell schafft zwar Wohlstand in einigen wenigen regionalen Zentren und für eine kleine Oberschicht, zerstört jedoch seine eigene Produktionsbasis in Form von billiger fossiler Energie und nur scheinbar unbegrenzt vorhandenen Ressourcen.

Eine ausgewogene soziale Entwicklung ist so nicht möglich. Nicht zuletzt die Anfälligkeit der Wirtschaft gegenüber externen Schocks aufgrund schwankender Preise sowie schlechte Arbeitsbedingungen in der Ölindustrie machen ein Umsteuern schwierig.

Trotz der gravierenden ökologischen und gesellschaftlichen Probleme bestand die strategische Antwort der Regierung deshalb lange Zeit darin, das Maß an Ressourcenausbeutung im Namen des Wachstums immer weiter zu steigern. In der 2012 verabschiedeten Strategie Kasachstan 2050 heißt es beispielsweise: „Unser Land verfügt über eine Reihe von Vorteilen. Wir wurden mit großen natürlichen Reichtümern gesegnet. Wir müssen lernen, sie richtig zu nutzen, den Erlös aus ihrem Verkauf in der Staatskasse zu sammeln, und das Wichtigste: die natürlichen Reichtümer unseres Landes mit größter Effizienz in ein dauerhaftes wirtschaftliches Wachstum umzuwandeln.“

Trotz der gravierenden ökologischen und gesellschaftlichen Probleme bestand die strategische Antwort der Regierung deshalb lange Zeit darin, das Maß an Ressourcenausbeutung im Namen des Wachstums immer weiter zu steigern.

Mittlerweile sieht sich die kasachische Regierung jedoch zunehmendem Handlungsdruck ausgesetzt: Dieser wird zum einen durch immer offensichtlichere Probleme wie zum Beispiel der sich verschärfenden Wasserknappheit erzeugt. Zum anderen aber auch durch das Bedürfnis der Regierung, in internationalen Foren wie den jährlichen Klimaverhandlungen oder der 2017 in Kasachstan stattfindenden Weltausstellung Expo zum Thema „Energie von morgen“ nationale Vorzeigeinitiativen vorweisen zu können.

Deswegen wurde 2013 ein Konzept für den Übergang zu einer Grünen Wirtschaft vorgelegt. Dieses sieht vor, dass durch gezielte Investitionen Ungleichheiten in der Entwicklung verschiedener Regionen des Landes reduziert und deren Potentiale in neuen Wirtschaftssektoren wie erneuerbare Energien, nachhaltige Landwirtschaft, Wassermanagement oder Abfallentsorgung gefördert werden.

Eine der wichtigsten Initiativen besteht in der Ankündigung, bis 2050 ein Prozent des jährlichen BIP in saubere Energiequellen zu investieren und die starke Abhängigkeit von Kohle zu reduzieren. Zudem wurden in den letzten Jahren Gesetze zu Energieeffizienz und erneuerbaren Energien eingeführt und 2013 ein nationales Emissionshandelssystem eingerichtet, das auch 178 Öl-, Gas- und Bergbauunternehmen sowie andere industrielle Hauptemittenten umfasst. Diese Initiativen lassen auf einen neuen nachhaltigen Wachstumspfad hoffen, der Wohlstand und Arbeitsplätze schafft: Das Konzept geht davon aus, dass durch diese Investitionen zusätzlich drei Prozent BIP-Wachstum jährlich erreicht werden sowie bis 2050 600.000 neue Arbeitsplätze entstehen können.

Wenn im Konzept davon gesprochen wird, dass 50 Prozent der Stromversorgung bis 2050 aus erneuerbaren Energien bestehen sollen, ist damit nicht nur Solar- und Wind-, sondern auch die Atomenergie gemeint.

Diese neue Grundtendenz geht in die richtige Richtung. Dennoch stellt sich die Frage, wie nachhaltig das Konzept wirklich ist. Denn bei genauerem Hinsehen finden sich einige kritische Punkte, allen voran die Frage der Atomenergie. Denn wenn im Konzept davon gesprochen wird, dass 50 Prozent der Stromversorgung bis 2050 aus erneuerbaren Energien bestehen sollen, ist damit nicht nur Solar- und Wind-, sondern auch die Atomenergie gemeint. Dabei nimmt das Konzept ausdrücklich Bezug auf „Vorbildländer“ wie die Mongolei, China oder Südkorea, die ambitionierte Pläne für eine grüne Wirtschaft umgesetzt hätten.

Doch gerade diese Länder stellen in weiten Teilen eher Beispiele dafür dar, wie nachhaltige Entwicklung eben gerade nicht aussehen sollte. Dies zum einen, weil sie weiterhin klar auf wirtschaftliches Wachstum setzen, ohne die soziale Dimension nachhaltiger Entwicklung ausreichend zu thematisieren.

Auch für Kasachstan, das sich im oberen Drittel der BIP-Ranglisten befindet, könnte und (sollte) die Frage von Umverteilung eine größere Rolle spielen als zusätzliches Wachstum. Zum anderen erachten sie Kernenergie als saubere Energiequelle, die dementsprechend den wichtigsten Teil der Green-Growth-Strategien darstellt. Südkorea etwa ist mittlerweile der sechstgrößte Exporteur ziviler Kernkraftwerke und fast jede Woche werden neue Verträge bzw. Absichtserklärungen für weitere Exporte unterzeichnet. Die Regierung plant, das Land (geographisch kleiner als Bayern und Baden-Württemberg zusammen) bis 2030 mit insgesamt 34 Atomkraftwerken zu überziehen.

Die Regierung Sürkoreas plant, das Land bis 2030 mit insgesamt 34 Atomkraftwerken zu überziehen.

Grund zur Hoffnung, dass ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit in Kasachstan bald eine stärkere Rolle spielen werden, geben dabei nicht nur Regierungsinitiativen, sondern vor allem eine erstarkende kasachische Zivilgesellschaft im Umweltbereich.

Beispiele sind die Nichtregierungsorganisation Social-Ecological Fund oder das Netzwerk Eco-Forum, in dem über 50 Umweltorganisationen vernetzt sind. Unter anderem hat das Eco-Forum eine Arbeitsgruppe zu erneuerbaren Energien gegründet, die bei der Entwicklung einer Nationalen Strategie und einem Gesetz zu erneuerbaren Energien mitarbeitet.

Zudem hat das Netzwerk eine Anti-Atom-Kampagne ins Leben gerufen, was angesichts der nuklearen Neubauprojekte bei der kasachischen Regierung auf wenig Gegenliebe stoßen dürfte. Doch die Zivilgesellschaft hat bereits gezeigt, dass sie in der Lage ist, ihren Einfluss geltend zu machen. So wurde 2001 ein Gesetz verhindert, dass die Lagerung von ausländischem Atommüll in Kasachstan erlaubt hätte.

Und nicht zuletzt das Beispiel des deutschen Atomausstiegs hat gezeigt, dass zivilgesellschaftliche Arbeit zuweilen einen langen Atem erfordert: Vom Aufkommen der deutschen Anti-Atombewegung in den 1970er Jahren bis zum Beschluss des Atomausstiegs 2011 sind immerhin vier Jahrzehnte vergangen. Das lässt hoffen, dass sich auch in ressourcenreichen Staaten wie Kasachstan die Befürworter eines nachhaltigen Entwicklungspfades durchsetzen werden.