Als Anfang Juni 2023 Vertreter der Vereinten Nationen in Bagdad vor die Mikrofone traten, um Stellung zur aktuellen Dürre im Irak zu beziehen, verblieb kaum noch Grund für Optimismus. Denn während Deutschland und Zentraleuropa mit seinen 30 bis 34°C unter einer der ersten Hitzewellen des Jahres ächzen, sorgen im Südirak Temperaturen von über 50°C und ausbleibender Niederschlag für den Kollaps der irakischen Marschlandschaften – eines jahrhundertealten Ökosystems, welches den Kern des einstmaligen „fruchtbaren Halbmondes“ bildete. Auch andere Regionen entlang des Euphrat und Tigris stehen vor massiven Herausforderungen: Sollte sich der Klimawandel in der Region weiter wie bisher entwickeln, würde es bis zum Jahr 2050 an mehr als 300 Tagen im Jahr Sandstürme geben. Gleichzeitig würden Verdunstung, ein geringerer Wasserdurchfluss und ausbleibende Regenfälle dafür sorgen, dass die Wasserkapazitäten im gesamten Land auf ein Minimum sinken würden – mit Folgen für die Land- und Stadtbevölkerungen. Was der irakische Umweltminister Jassim al-Falahi bereits vor über einem Jahr andeutete und Wissenschaftler schon vor Jahren für die Region prognostizierten, wird nunmehr zu einem Szenario, welches bereits jetzt Formen annimmt und dabei auch die umliegenden Staaten und die europäische Staatengemeinschaft innerhalb der kommenden Jahrzehnte betreffen wird.

Wie auch in anderen Staaten im Nahen und Mittleren Osten beeinflussen die sich zuspitzenden klimatischen Rahmenbedingungen das alltägliche Leben weiter Teile der Bevölkerung. Essenziell ist dabei der geordnete Zugang zu Süßwasser, welcher ursprünglich die Grundlage für die Entwicklungen der ersten Hochkulturen im sogenannten „fruchtbaren Halbmond“ bildete. Doch gerade dieser Zugang zum Wasser wird für Millionen von Menschen stetig schwieriger. Grund dafür sind gleich mehrere Faktoren, auf welche der Irak nur bedingt Einfluss nehmen kann.

Betrug der Durchfluss an Süßwasser im Land zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch 1 350 Kubikmeter pro Sekunde, so sind es heute gerade einmal 149. Besonders die Zuflüsse zu den großen Strömen Euphrat, Tigris und Diyala versiegen zunehmend. Verantwortlich sind neben den ausbleibenden Regenfällen in den gebirgigen Regionen des Landes die Staaten Iran und Türkei, welche das Wasser durch Staudämme und andere Rückhaltebecken zunehmend für eigene Bedürfnisse nutzen. Vor allem die Türkei – aus der der Irak nahezu 70 Prozent seines Süßwassers bezieht – setzt hier auf eine repressive Politik gegenüber Bagdad, um eigene Interessen im Norden des Landes unter Druck durchzusetzen. Und das obwohl Ankara und Bagdad bereits 2021 ein Übereinkommen zu einem stärkeren Wasserdurchfluss geschlossen haben.

Die traditionell fruchtbaren Kornfelder entlang der Flussläufe und in den südlichen Marschen ähneln inzwischen eher einer Wüste.

Verschlimmert wird die Lage des ohnehin geringen Wasserdurchflusses durch die massive Verdunstung im Land. So geht im Irak jährlich 14,7 Prozent des Oberflächenwassers durch Verdunstung verloren. Die traditionell fruchtbaren Kornfelder entlang der Flussläufe und in den südlichen Marschen ähneln inzwischen eher einer Wüste. Einige Seen wie der Hamrim oder die Umm Al-Bini haben bereits mehr als 50 Prozent ihres Volumens verloren und dürften in den kommenden Jahren komplett austrocknen. Als Folge verlieren die örtlichen, oft auf Landwirtschaft fußenden Gesellschaften zunächst ihr Nutzvieh und schließlich die eigene Lebensgrundlage. Oftmals bleibt den teilweise seit mehreren Jahrhunderten auf dem Land lebenden Menschen dann nur noch die Abwanderung in die größeren Städte des Landes, wo sie unter prekären Bedingungen leben müssen.

Doch auch diese Landflucht hat Folgen. So nimmt der im Irak ohnehin hohe Verstädterungsgrad in den großen Ballungszentren des Irak klimabedingt wieder zu: Im Jahr 2021 lebten bereits 71,2 Prozent der irakischen Bevölkerung in Städten wie Bagdad, Basra, Nadjaf oder Mosul. Somit wächst der Druck auf die städtischen Verwaltungen vielerorts massiv, die marode Infrastruktur für Wasser und Strom aufrechtzuerhalten, während gleichzeitig eine politische Krise der nächsten folgt. Alleine im Laufe des letzten Jahres haben laut dem irakischen Ministerium für Migration mehr als 7 000 Farmer mitsamt ihren Familien die ländlichen Gebiete verlassen.

Auf größerer, staatlicher Ebene sorgen diese Entwicklungen zunächst für eine deutlich höhere Belastung der Staatshaushalte. Denn die subventionierten Lebensmittel- und Düngemittelpreise können für die Bevölkerung nur dann aufrechterhalten werden, wenn der Staat diese Preise stützt und stetig für neue Importe sorgt. In Zeiten von Inflation, des massiven Anstiegs der Lebensmittelpreise auf den Weltmärkten und von anfälligen Lieferketten können die staatlichen Haushalte hierdurch stark in Schieflage geraten und neue finanzielle Abhängigkeiten entstehen.

Doch selbst wenn der Irak es schaffen sollte, den eigenen Haushalt aufgrund hoher Ölpreise zu stabilisieren, wird er in Zukunft deutlich stärker gezwungen sein, massive Investitionen aufzubringen, um die, wenn auch teilweise niedrige, Lebensqualität der eigenen Bevölkerung zu erhalten. Die Sandstürme in der Region legen nicht nur den öffentlichen Verkehr lahm, sondern sorgen zudem für einen massiven Anstieg an Atemwegserkrankungen. Durch die immer neuen Hitzerekorde, die mit wochenlang anhaltenden Hitzewellen mit teilweise über 50°C einhergehen, steigt außerdem die Sterblichkeitsrate unter vulnerablen und älteren Bevölkerungsgruppen.

Ein kollabierender Irak kann weder im Interesse der regionalen Nachbarn noch der internationalen Gemeinschaft sein.

Aufgrund der beschriebenen Rahmenbedingungen steht dem Irak eine Zukunft bevor, die dieser aus eigener Kraft heraus kaum wird meistern können. Es ist daher unabdinglich, die zivilen sowie die staatlichen Akteure im Irak beim Aufbau von Resilienz gegenüber den neuen klimatischen Veränderungen zu unterstützen, schließlich kann ein kollabierender Irak weder im Interesse der regionalen Nachbarn noch der internationalen Gemeinschaft sein. Dazu gehört neben dem Austausch von Wissen über den nachhaltigen Umgang mit Wasser auch die Unterstützung mit technischem Know-how für neue Klärwerke oder Wasserwiederaufbereitungsanlagen. Gleichzeitig muss auf politischer Ebene dafür gesorgt werden, dass der Wasserdurchfluss im Land deutlich erhöht wird, was nur durch politische Initiativen im Rahmen der Mediation und Wasserdiplomatie erreicht werden kann. Hierfür müssen auch bei europäischen Akteuren neue Kapazitäten geschaffen und gestärkt werden, die in der Lage sind, bei Foresight-Szenarien im Zuge der Krisen-Präventation, bei Klima- und Wettervorhersage sowie bei der Katastrophenhilfe vor Ort zu unterstützen. Zuletzt muss die Sanierung der irakischen Wasserinfrastruktur vorangetrieben werden, welche aufgrund jahrzehntelanger Vernachlässigung und erheblicher Misswirtschaft durch die politischen und wirtschaftlichen Akteure in einem äußerst schlechten Zustand ist. Auch hier können europäische Akteure unterstützen; sie sollten jedoch stets zielgerichtete und projektgebundene Investitionen tätigen, um die jeweilige Effizienz zu steigern und einem möglichen Missbrauch der Gelder durch andere Akteure im Staat zuvorzukommen.

Werden diese Maßnahmen für den Irak nicht ergriffen, steht der regionalen und überregionalen Sicherheitsarchitektur ein deutlich düsteres Szenario bevor. Zum einen bietet der Wegfall der Lebensgrundlage für Millionen von Menschen den Nährboden für fundamentalistische und extremistische Strömungen, weshalb Organisationen wie Daesh (der „Islamische Staat“) oder auch al-Qaida neue Rekrutierungsräume vorfinden würden. Zum anderen würde der Urbanisierungsdruck für die Zivilgesellschaften neue Herausforderungen hinsichtlich der Binnenmigration bedeuten. Sollten die zivilgesellschaftlichen Systeme diesem Druck nicht mehr Stand halten können, was wir bereits jetzt mancherorts beobachten können, dürften neue Migrationstendenzen entstehen – auch mit Folgen für die europäische Staatengemeinschaft.

Es sollte daher im Interesse aller nationaler und internationaler Akteure sein, die schon jetzt einsetzenden Folgen des Klimawandels effektiv einzugrenzen, um die Entwicklungen in den kommenden Jahrzehnten beherrschbar halten zu können.