Die vielen Möglichkeiten, wie Reiche und global agierende Unternehmen Steuern vermeiden können, sind seit geraumer Zeit weithin bekannt. In regelmäßigen Abständen sorgen Informationen aus Datenlecks wie die Panama Papers für öffentliche Empörung und für einige – wenn auch oft halbherzige – Versuche der Steuerbehörden, den Enthüllungen zumindest teilweise nachzugehen. Da Steuervermeidung eine heimtückische Angelegenheit ist, lassen sich mangels Daten das volle Ausmaß und ihre globale Ausbreitung nur schwer einschätzen.

Allerdings hat sich die Lage in letzter Zeit verbessert: Inzwischen stehen mehr Daten zur Verfügung, und auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind stärker daran interessiert, diese Daten eingehend unter die Lupe zu nehmen. In den wegweisenden neuen Bericht der EU-Steuerbeobachtungsstelle über die weltweite Steuervermeidung ist die Arbeit von mehr als 100 Forscherinnen und Forschern aus der ganzen Welt eingeflossen, von denen viele mit den Steuerbehörden zusammengearbeitet haben.

Der Bericht behandelt einige eindeutig illegale Methoden wie die Verschleierung von Einkünften auf Offshore-Konten oder Steuersparpraktiken, die sich in der Grauzone bewegen, die Verlagerung von Gewinnen zu Briefkastenfirmen im Ausland oder die Gründung von Holdinggesellschaften oder Trusts mit dem Ziel, persönliches Vermögen zu verwalten und individuelle Einkommenssteuern zu umgehen. Auch liefert der Bericht einen umfassenden Einblick in Ausmaß und Ausgestaltung von illegalen Finanzströmen und Steuervermeidung und ist eine unverzichtbare Lektüre für besorgte Bürgerinnen und Bürger in allen Ländern.

Der länderübergreifende Austausch von Finanzinformationen ist ein Durchbruch.

Es gibt durchaus einiges Positives zu vermelden. Allein schon der länderübergreifende Austausch von Finanzinformationen ist ein Durchbruch. Zurückzuführen ist er auf zwei Maßnahmen: den 2014 in Kraft getretenen Foreign Account Tax Compliance Act der Vereinigten Staaten (FATCA-Gesetz), der unter Androhung von Geldbußen weltweit alle Banken zur Angabe der Kontostände von US-Steuerzahlern verpflichtet, und den seit 2017/18 geltenden gemeinsamen Meldestandard der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der mehr als 110 Länder umfasst und den automatischen Austausch von Bankinformationen regelt.

Die Folge: Für sehr vermögende Personen ist es deutlich schwieriger geworden, die Meldung von Offshore-Finanzvermögen zu umgehen. Dadurch ist diese Form der Steuerhinterziehung stark rückläufig. Allein 2022 wurden den ausländischen Steuerbehörden rund 12,6 Billionen Dollar an Offshore-Vermögen gemeldet. Natürlich liegt es im nächsten Schritt an den nationalen Steuerbehörden, dieses Wissen auch zu nutzen – und das wiederum hängt von der politischen Ökonomie in dem betreffenden Land ab.

Die naheliegendste Lösung ist die Einführung einer Vermögenssteuer speziell für Dollarmilliardäre.

Dennoch ist die Offshore-Steuerhinterziehung nicht aus der Welt geschafft. Nach Schätzungen des Berichts werden etwa 25 Prozent des weltweiten Offshore-Finanzvermögens nach wie vor nicht versteuert. Nicht alle Offshore-Finanzinstitute halten sich an die Meldepflichten – und die USA, in denen sich mehrere Steueroasen befinden, nehmen nicht am OECD-Austausch teil. Außerdem können die Superreichen ihr Geld in nichtfinanzielle Vermögenswerte wie Immobilien stecken. In Dubai zum Beispiel besitzen ausländische Eigentümer 27 Prozent aller Immobilien. Dennoch zeigt sich, dass durch internationale Zusammenarbeit in relativ kurzer Zeit erreicht werden kann, was man früher nicht für möglich gehalten hätte.

Die Schlupflöcher für Steuerhinterziehung innerhalb der Länder sind jedoch nach wie vor groß. Aus dem Bericht geht hervor, dass die Milliardäre weltweit einen effektiven Steuersatz zahlen, der gerade einmal 0 bis 0,5 Prozent ihres Vermögens ausmacht. Vor allem, weil sie die Einkommensbesteuerung durch die Nutzung von Briefkastenfirmen umgehen. Eine naheliegende Lösung für dieses Problem ist die Einführung einer Vermögenssteuer speziell für Dollar-Milliardäre. Schon ein relativ niedriger Steuersatz von zwei Prozent (der diejenigen, die ein solch enormes Vermögen besitzen, kaum tangiert) würde erhebliche Steuereinnahmen generieren – fast 250 Milliarden Dollar jährlich von weniger als 3 000 Personen.

Eine weitere OECD-Initiative war indessen nicht so erfolgreich: die sogenannte Base Erosion and Profit Shifting-Initiative (BEPS, Kampf gegen Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung), mit der die Steuervermeidung durch multinationale Unternehmen bekämpft werden soll, die ihre Gewinne in Niedrig- oder Nichtsteuerländer verlagern. Ein wichtiges Ergebnis der siebenjährigen Verhandlungen war 2021 die Einigung auf die Durchsetzung eines Mindestsatzes für die Körperschaftssteuer. Am Ende einigte man sich auf einen Steuersatz von nur 15 Prozentweit unter dem Mittelwert der weltweiten Steuersätze von 25 Prozent und nahe an den Steuersätzen, die in einigen Steuerparadiesen gelten. Dennoch war das Grundprinzip richtig.

Selbst dieser Mindestsatz zeigte allerdings nicht die erwartete Wirkung. Der Grund dafür waren die im Nachhinein eingeführten Ausnahmeregelungen wie zum Beispiel der Nachweis der „wirtschaftlichen Substanz“, der es multinationalen Unternehmen ermöglicht, weiterhin von der vorteilhaften Besteuerung in Steuerparadiesen zu profitieren, indem sie dort Kapital investieren und ein paar Arbeitskräfte anstellen.

Dementsprechend waren die Mehreinnahmen aus der Einführung des Mindestkörperschaftssteuersatzes sehr begrenzt, da sie das weltweite Körperschaftssteueraufkommen nur um drei Prozent statt der prognostizierten neun Prozent erhöht haben. Und die Gewinnverlagerung geht unvermindert weiter: Die länderspezifische Berichterstattung über die Gewinne multinationaler Unternehmen belegt, dass 2022 etwa 35 Prozent der Auslandsgewinne in Höhe von einer Billion Dollar in Steueroasen verschoben wurden – etwa so viel wie schon vorher.

Diese bisherigen Strategien der Steuerhinterziehung müssen unterbunden werden, doch schon entstehen neue Formen des Steuerwettbewerbs.

Offensichtlich hatte die Lobbyarbeit der Konzerne in dem einigermaßen undurchsichtigen Verhandlungsprozess bei der OECD den gewünschten Effekt. Dennoch bietet sich eine große Chance: Eine ordnungsgemäße Umsetzung eines Mindestkörperschaftssteuersatzes von 20 Prozent – ohne Schlupflöcher – würde jährlich schätzungsweise 250 MilliardenUS-Dollar einbringen.

Die bisherigen Strategien der Steuerhinterziehung müssen unterbunden werden, doch schon entstehen neue Formen des Steuerwettbewerbs. Immer mehr Länder versuchen, Bürgerinnen und Bürger mit niedrigeren Steuersätzen auf Auslandseinkommen zu locken. Remote-Arbeitskräfte und digitale Nomaden sorgen nur für einen Teil der Mindereinnahmen, da viele der Regelungen auf Wohlhabende abzielen, die ihren Hauptwohnsitz in ein Niedrigsteuerland verlegen können. Dies vermindert das globale Steueraufkommen und verschärft die Ungleichheit. Fortgeschrittene Volkswirtschaften bieten im Rahmen einer Industriepolitik den Unternehmen Subventionen (vor allem Negativsteuern) für „grüne“ Investitionen, die die begrenzten Mehreinnahmen aus dem Mindeststeuersatz mehr als wettmachen dürften.

Natürlich gibt es noch viel zu tun, um unsere Steuersysteme zu reformieren. Aber immerhin wissen wir jetzt genauer, was vor sich geht – und können somit auch konkretere Vorstellungen entwickeln, wie wir etwas ändern können.

Dies ist eine gemeinsame Veröffentlichung von Social Europe und dem IPG-Journal.

Aus dem Englischen von Christine Hardung­­