Vor fünf Jahren unterzeichneten 196 Länder das Pariser Klimaabkommen und versprachen, die Erderwärmung gegenüber dem vorindustriellen Niveau nicht über zwei Grad Celsius ansteigen zu lassen. Dieses Versprechen erwies sich leider als Lüge. Wenn die Kohlendioxidemissionen sich weiter so entwickeln wie derzeit, steuert die Erde auf eine Temperaturerhöhung von 3,2 Grad Celsius zu.

So weit, so schlecht. Aber was heißt das eigentlich konkret? Eine der erhellenderen Antworten auf diese Frage liefert Kim Stanley Robinsons neuer Roman The Ministry for the Future. Er sollte zur Pflichtlektüre für Politiker und Bürger zugleich werden. 

Die Romanhandlung beginnt in der indischen Provinz Uttar Pradesh. Dort gerät der junge humanitäre Helfer Frank May in eine Hitzewelle – wobei das zu schwach ausgedrückt ist. „Verbrennungsofen“ oder „Inferno“ wären passendere Vokabeln. Unerträglich detailliert beschreibt Robinson, wie zuerst die Alten und die Kinder sterben, wie die Stromversorgung zusammenbricht, die Wasserpumpen den Dienst versagen und das Notstromaggregat gestohlen wird. Er berichtet, dass niemand zur Hilfe kommt und es keinen Ort gibt, an den man sich flüchten könnte. Und wie am Ende 20 Millionen Menschen buchstäblich zu Tode gekocht werden.

Das alles trägt sich im Jahr 2025 zu, also in vier Jahren. In Zeiten des Klimanotstands ein realistisches Szenario. May überlebt als Einziger, schwer traumatisiert. Seine Geschichte wird mit der Geschichte der irischen Bürokratin Mary Murphy verschränkt, die eine neue Organisation leitet: das „Ministerium für Zukunft“, das nach der Katastrophe in Indien von den Unterzeichnerstaaten des Pariser Abkommens ins Leben gerufen wurde. Dieses Ministerium hat die Aufgabe, das Lebensrecht künftiger Menschen zu schützen.

Zunächst läuft es nicht gut. Die Fossilkapitalisten lassen sich nicht abbringen von ihrer Fixierung auf den Profit von heute, auch wenn sie dazu führt, dass die Zivilisation morgen untergeht. Die nötigen Großinvestitionen bleiben aus, weil weder die Finanzmärkte noch die politische Logik sie ermöglichen. Der selbstmörderische Todeskult namens Spätkapitalismus geht munter weiter.

Wenn die Kohlendioxidemissionen sich weiter so entwickeln wie derzeit, steuert die Erde auf eine Temperaturerhöhung von 3,2 Grad Celsius zu.

Wie halten wir eine Entwicklung auf, die schon bald zu einem Massensterben führen dürfte, das Millionen Menschenleben kosten wird – die Menschenleben unserer Kinder und Enkel? Was muss passieren und welche Mittel sind erlaubt?

Robinson ist nicht nur einer der weltweit bedeutendsten Schriftsteller in dem Genre, das bislang als „Science-Fiction“ bekannt ist und dem man vielleicht einen neuen Namen geben sollte – wie wäre es mit „ökologischer Realismus“? Robinson ist auch promovierter Literaturwissenschaftler, und sein Doktorvater war der Literaturkritiker und Marxist Fredric Jameson. Das merkt man.

Während Martin Hägglund die philosophischen Grundlagen für einen neuen demokratischen Sozialismus zu beschreiben versuchte, bleibt Robinson bei der Praxis. Er krempelt die Ärmel hoch und packt die Fragen an, die von Politikern und Experten sorgsam umschifft werden: Vor welchen politischen und moralischen Zwickmühlen stehen wir eigentlich konkret? 

Robinsons Buch handelt von Ökoterrorismus, Geoengineering, asymmetrischer Kriegsführung, Biolandwirtschaft und Geldpolitik. Es setzt sich mit Gewalt, Macht und Geld auseinander und ist ungeheuer befreiend.

In dem Buch ist ein vielstimmiger Chor zu hören: Klimaflüchtlinge, Terroristen, Landwirte und Bürokraten. In den Erzählfluss werden Berichte, Fakten, Memos und Sitzungsprotokolle eingestreut. Auf diese Weise entsteht so etwas wie ein von John Dos Passos’ USA-Trilogie inspirierter Kollektivroman, in dem die konkreten Folgen der Krise aus unterschiedlichen Perspektiven geschildert werden.

Einer der großen Durchbrüche in der Romanhandlung gelingt, als Mary Murphy die Zentralbanken dieser Welt endlich für die Idee einer neuen Währung gewinnen kann, die Unternehmen honoriert, wenn sie ihren CO2-Ausstoß reduzieren. Das mag sich utopisch anhören. Doch wer hätte vor der Finanzkrise von 2008 für möglich gehalten, dass dieselben Banken praktisch unbegrenzte Geldmengen in die Finanzsysteme pumpen würden, um einen weiteren Crash zu verhindern – mit jener schwarzen Magie der Geldpolitik, die wir landläufig „Quantitative Easing“ nennen?

Wer hätte vor der Finanzkrise von 2008 für möglich gehalten, dass Banken praktisch unbegrenzte Geldmengen in die Finanzsysteme pumpen würden, um einen weiteren Crash zu verhindern?

Welche Version der Wirklichkeit ist irrsinniger? Eine Realität, in der unsere Wirtschaftsordnung diejenigen belohnt, die ihre Gewinne mit der Zerstörung der Welt erwirtschaften, oder eine Realität, in der es sich auszahlt, wenn man die Welt zu retten versucht? In Abwandlung von William Gibson schreibt Robinson: „Das Geld ist schon da, es ist nur ungleich verteilt.“

In The Ministry for the Future bilden Terrorgruppen sich aus Leuten, die so wie May durch die Auswirkungen der Klimakatastrophe radikalisiert wurden. Sie feuern Torpedos auf dieselbetriebene Frachtschiffe ab und attackieren Verkehrsflugzeuge mit koordinierten Drohnenangriffen. Dabei sterben unschuldige Menschen. In einer Schlüsselszene führen May und die von ihm gekidnappte Mary Murphy ein Gespräch, in dem Murphys bürokratische Sicht der Dinge mit dem Leid und den traumatischen Geschehnissen kontrastiert wird, die May miterlebt hat.

Schon heute verursacht der Klimawandel Hunger, Migration und Krieg. Die Frage, die Robinson zögernd sich – und uns – stellt, lautet: Sind die Lobbyarbeit der Unternehmen, die ihr Geld mit fossilen Brennstoffen verdienen, und die Investitionen, die sie nach wie vor in CO2-Emissionen stecken, nicht ihrerseits so etwas wie eine langsame Gewalt unter Billigung der Nationalstaaten und der Rechtsordnung?

Und was machen wir, wenn das Instrumentarium der Demokratie nicht ausreicht, um die Menschheit zu retten? Wenn das Leben von 20 Millionen oder vielleicht auch von 100 Millionen Menschen in Gefahr ist? Genau dieses Dilemma thematisiert der Humanökologe Andreas Malm in seinem Buch Wie man eine Pipeline in die Luft jagt, in dem er Sabotageakte gegen die Fossilbrennstoff-Infrastruktur als eine Alternativstrategie für die Klimabewegung ins Gespräch bringt.

Aus Robinsons Sicht ist das Pariser Klimaabkommen das Konstrukt, auf dem sich Schritt für Schritt aufbauen lässt und das die besten Seiten der Menschheit zum Ausdruck bringt, weil es ein gemeinschaftliches, an den Prinzipien der Aufklärung orientiertes Handeln möglich macht. Das Tragische in Robinsons Szenario ist, dass es erst viele Millionen Todesopfer, Terror und irreversible Umweltzerstörung geben muss, bevor sich wirklich etwas ändert.

The Ministry for the Future vermittelt eine enorme Menge an Wissen über Wirtschaft, Politik, Technologie und die Psychologie des Menschen. Es ist ein krasser und an vielen Stellen witziger Roman. Er ist realistisch und malt deshalb ein pechschwarzes Bild der Lage. Er ist hoffnungsvoll und visionär – und das beste Buch, das ich seit Langem gelesen habe.

Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld

Dieser Artikel ist eine gemeinsame Publikation von Social Europe und IPG-Journal. Eine schwedische Fassung erschien in Aftonbladet.