Durch den Einsatz erneuerbarer Energien und von Elektromobilität will Deutschland einen substantiellen Beitrag zur Erreichung der Klimaneutralität leisten. Auch die meisten anderen EU-Staaten sowie die USA und Kanada verfolgen ähnliche Strategien. Bei aller Dringlichkeit und allem Enthusiasmus gerät dabei schnell in den Hintergrund, dass für die Energiewende große Mengen an Metallen und Mineralen wie Lithium, Kupfer oder seltene Erden benötigt werden.

Nach Berechnungen der Internationalen Energieagentur IEA von 2021 wird sich der Verbrauch von Mineralen und Erzen vervielfachen, wenn die im Pariser Klimaabkommen gesetzten Ziele erreicht werden sollen: Ein durchschnittliches E-Auto benötigt sechs Mal mehr Minerale als ein Wagen mit Verbrennungsmotor; verglichen mit einem leistungsähnlichen Gaskraftwerk muss für eine Windkraftanlage der neunfache Bedarf an Mineralen eingeplant werden. Für die Elektromobilität wird bei Lithium ein Anstieg um das 40-fache des Bedarfs bis 2040 berechnet; der Einsatz von Kupfer, vor allem für Elektrokabel, wird sich verdoppeln. Und für die Erzeugung von erneuerbaren Energien aus Windkraft und Sonnenenergie wird sich der Einsatz von Mineralen verdreifachen. Die aktuell erschlossenen Ressourcen bzw. derzeit geplanten Minen decken dabei nur 50 Prozent des Lithium- und 80 Prozent des Kupferbedarfs ab. Ohne die Erschließung neuer Bodenschätze wird die angestrebte Energiewende also nicht möglich sein.

Ohne die Erschließung neuer Bodenschätze wird die angestrebte Energiewende nicht möglich sein.

Ein Großteil der in Deutschland und Europa eingesetzten Minerale und Metalle kommt aus Lateinamerika. Die Region zieht mittlerweile weltweit die höchsten Investitionen im Bergbau an, liegen doch hier große Vorkommen an den Metallen, die für Energiewende und Elektromobilität von besonderer Bedeutung sind. Insbesondere die Lithium-Vorkommen im sogenannten „Lithium-Dreieck“ in Bolivien, Chile und Argentinien, wo nach Schätzungen 55 Prozent der Weltreserven liegen, werden zurzeit erschlossen. Das Lithium wird dort in Salzseen auf über 5000 Meter Höhe in einzigartigen Ökosystemen gefunden. Die drei Länder hoffen mit steigenden Einnahmen aus dem Lithium-Abbau die durch die Corona-Pandemie verschärfte Wirtschaftskrise zu überwinden. Allerdings birgt die steigende Ausbeutung der Rohstoffvorkommen auch die Gefahr gesellschaftlicher Konflikte und erheblicher Umweltzerstörung.

Für die Extraktion im Lithium-Dreieck werden nach aktuellen Studien gravierende negative Umweltfolgen erwartet. Neben dem Absinken des Grundwasserspiegels durch den hohen Wasserbedarf ist vor allem die Verwehung der getrockneten Reste der verwendeten Chemikalien durch den Wind ein Problem. Beides gefährdet neben der Umwelt auch die Lebensgrundlage der im Dreieck wohnenden, oft indigenen Bevölkerungsgruppen, die überwiegend von der Landwirtschaft leben. Zwar existieren in allen Ländern Umweltgesetze, doch scheitert deren Einhaltung oft an schwachen staatlichen Institutionen und dem großen Interesse der Regierungen an der Rohstoffausbeutung. Sie machen den meist ausländischen Bergbaufirmen weitreichende Zugeständnisse. Auch die Beteiligungsmechanismen für Konsultationen mit indigenen Gruppen werden oft nur unzureichend angewendet, obwohl die meisten Länder entsprechende internationale Vereinbarungen wie die ILO-Konvention 169 ratifiziert haben. Die fehlende Beteiligung der betroffenen Anwohner ist in vielen Ländern Lateinamerikas Ausgangspunkt für heftige Proteste bis hin zu gewalttätigen Ausschreitungen.

Es besteht die Gefahr, dass der notwendige Umbau des Energiesektors im globalen Norden zur Ausweitung neokolonialer Ungleichheiten im globalen Süden beiträgt und dort die ökologische und soziale Nachhaltigkeit bedroht.

Insgesamt profitiert die lokale Bevölkerung meist nicht von den materiellen Gewinnen der Rohstoffausbeutung, ist aber den negativen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen weitgehend ungeschützt ausgesetzt. Zwar werden in der Bauphase der Minen auch lokale Arbeiter unter Vertrag genommen, die spätere Ausbeutung liegt aber in den Händen hochqualifizierter Beschäftigter aus anderen Regionen. Die Erschließung der oft abgelegenen Regionen gefährdet durch den Zuzug von Dienstleistern aus anderen Landesteilen und die damit einhergehenden steigenden Preise die traditionelle Lebensweise der Anwohner.

Es besteht also die Gefahr, dass der notwendige Umbau des Energiesektors im globalen Norden zur Ausweitung neokolonialer Ungleichheiten im globalen Süden beiträgt und dort die ökologische und soziale Nachhaltigkeit bedroht. Gerade die Bevölkerungsgruppen, die am wenigsten zur Klimakrise beitragen, könnten so am meisten unter den Folgen des wirtschaftlichen Wandels leiden. Alle Beteiligten sollten daher zusammenarbeiten, um die negativen Auswirkungen möglichst gering zu halten und einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen zu erzielen.

In den Förderländern müssen dafür die geltenden Umweltauflagen eingehalten werden. Um eine breite Beteiligung der Anwohner zu garantieren, sollten beispielsweise die Umweltverträglichkeitsstudien, die jedem neuen Bergbauprojekt vorangehen, objektiv erstellt und der Bevölkerung frühzeitig und wenn nötig in den lokalen Sprachen zur Verfügung gestellt werden. Entscheidungen z.B. über Projektbewilligungen oder Produktionsbedingungen sollten nicht nur von der lokalen Verwaltung oder den Investoren getroffen werden, sondern mit den Betroffenen diskutiert werden. Die Einhaltung der umweltrechtlichen Bestimmungen, mögliche Entschädigungen der lokalen Bevölkerung oder Ausgleichszahlungen müssen von Beginn an in die Gesamtkosten solcher Projekte einkalkuliert werden.

Im internationalen Rohstoffhandel sollten Zertifikate, die einen umweltverträglichen und sozial ausgewogenen Abbau der Rohstoffe garantieren, eine wichtigere Rolle spielen. Dabei sollten internationale Arbeitsstandards wie Arbeits- und Gesundheitsschutz und das Verbot von Kinderarbeit berücksichtigt werden. Weitere internationale Abkommen und Übereinkünfte wie die Nachhaltigen Entwicklungsziele der UN, in denen beispielsweise das Recht auf eine saubere Umwelt festgelegt ist, oder das Escazú-Abkommen über den Zugang zur Information, politische Beteiligung und Justizzugang in Umweltangelegenheiten in Lateinamerika und der Karibik sollten Bestandteil bi- und multilateraler Handelsabkommen werden. Darüber hinaus kann das in Deutschland bereits verabschiedete – und in der EU noch diskutierte – Lieferkettengesetz neue Impulse geben.

In erster Linie stehen die Länder in der Pflicht, in denen die Rohstoffe veredelt werden.

Auch die Verbraucher spielen eine wichtige Rolle: durch Kaufentscheidungen z.B. bei neuen Autos und technischen Geräten oder durch den individuellen Energieverbrauch. In erster Linie stehen aber die Länder in der Pflicht, in denen die Rohstoffe veredelt werden. Recycling und geschlossene Rohstoffkreisläufe werden durch die Knappheit von Rohstoffen und die Klimabelastungen bei ihrer Förderung in den nächsten Jahrzehnten an Bedeutung gewinnen müssen. Nur so kann verhindert werden, dass der Klimaschutz der westlichen Industriestaaten auf dem Rücken benachteiligter Gruppen und Ökosysteme in Lateinamerika und anderen Teilen der Welt stattfindet.