Mit dem Anstieg der Zinsen sind die Sorgen um die Schulden gewachsen. Der Economist befürchtet eine Weltwirtschaftskrise, oder jedenfalls eine große Rezession, wenn die Zinsen länger hoch bleiben und so viele Schuldner (Staaten, Unternehmen, Haushalte) in Schwierigkeiten geraten. Denn diese müssen nun höhere Zinsen zahlen, wenn sie ihre Schulden verlängern wollen. Zinszahlungen werden in der Folge einen wachsenden Anteil der Einnahmen der Schuldner verschlingen und sie zwingen, andere Ausgaben zu kürzen. Umgekehrt sinken die Werte (Kurse) von Anlagen mit festen Erträgen, damit ihre Rendite dem höheren Zinsniveau entspricht. Das hat schon einige Banken in die Insolvenz getrieben, deren Aktiva im Marktwert dramatisch schrumpften. Den Schuldnern nutzen diese Kursverluste allerdings wenig, da sie mit den nominalen Werten in der Pflicht sind.
In Deutschland hat das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts den Versuch unterbunden, wichtige Zukunftsinvestitionen und andere Ausgaben über ein Sondervermögen zu finanzieren, das ursprünglich zur Bekämpfung der Folgen der Corona-Krise vorgesehen war. Kritiker haben zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich bei den diversen Sondervermögen (etwa auch für die Aufrüstung der Bundeswehr) um zusätzliche Staatsschulden handelt, die die Schuldenbremse umgehen sollten.
Tatsächlich sind die Schulden weltweit bis 2020 stark angestiegen. Der Globale Schuldenmonitor des Internationalen Währungsfonds (IWF) zeigt ein Wachstum von einem Niveau von unter 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den 1950er und 1960er Jahren auf 180 Prozent in den 1990ern und 258 Prozent im Jahr 2020. Dieser lange Anstieg war sowohl durch zunehmende Staatsschulden verursacht als auch durch wachsende private Schulden, die etwa drei Fünftel der globalen Schulden ausmachen. Und es waren vor allem die privaten und öffentlichen Schuldner in den reichen Ländern, die für diesen Anstieg verantwortlich waren.
Den gewachsenen Schulden stehen entsprechend gestiegene Vermögen gegenüber.
Seitdem ist ein leichter Rückgang auf 238 Prozent in 2022 zu beobachten, welcher der Zinspolitik geschuldet sein dürfte. Dieser Wert liegt aber immer noch deutlich über dem Vorpandemieniveau von 229 Prozent. Er deutet einen Weg an, Schulden real abzubauen, nämlich sie abzuschreiben beziehungsweise niedriger zu bewerten. Damit verringern sich allerdings gleichzeitig die Vermögen der Gläubiger wie etwa der eingangs erwähnten Banken. Der andere Weg besteht darin, dass die Gläubiger den Schuldnern höhere Einnahmen verschaffen, indem sie mehr von ihnen kaufen, als sie an sie verkaufen. Die so bei den Schuldnern entstehenden Überschüsse können Tilgung und Schuldendienst finanzieren. So läuft es bei erfolgreichen Unternehmen, die mit kreditfinanzierten Investitionen Umsatz und Gewinn erzielen.
Ausgeblendet bleibt bei der Fokussierung auf den Schuldenberg oft die Kehrseite der Schulden- und Zinslast: das Vermögen und die Einkommen der Gläubiger. Denn den gewachsenen Schulden stehen entsprechend gestiegene Vermögen gegenüber. Der Globale Vermögensbericht der Schweizer Bank UBS weist für 2000 ein Weltvermögen von 118 BillionenUS-Dollar auf, das bis 2010 auf 252 Billionen und bis 2021 auf 465 Billionen angewachsen ist. 2022 lag es wieder um zehn Billionen niedriger – im Gleichschritt mit den Schulden. Die höheren Zinsen mögen zu Wertberichtigungen führen, bedeuten aber auch höhere Einnahmen für Vermögensbesitzer.
Sparer, die ihre Ersparnisse zum Zwecke der Alterssicherung oder für diverse Investitionen anhäufen, können nun mit höheren Erträgen rechnen, die inzwischen sogar oft die Wertverluste durch Inflation mehr als kompensieren. Daher ist es auch falsch, bei Schulden von einer Last für die künftigen Generationen zu sprechen. Die entsprechenden Vermögenszuwächse sowie Tilgungszahlungen und Zinsen kommen ebenfalls den künftigen Generationen zu, nur eben den Vermögensbesitzern und Gläubigern unter ihnen.
Wenn allein die Zinsausgaben aus dem deutschen Bundeshaushalt von knapp vier Milliarden im Jahr 2020 auf knapp 40 Milliarden 2023 steigen, bedeutet das, dass sich die diesbezüglichen Einkommen ebenfalls verzehnfachen. Deutschland ist ein Land mit relativ zum BIP geringen Staatsschulden und dank hoher Bonität niedrigem Zinsniveau. In anderen Ländern (USA, Italien und vielleicht demnächst Japan) können Sparer mit üppigeren Einnahmen rechnen. Dieser Geldsegen geht überwiegend auf schon reiche Menschen nieder – denn die Vermögen sind noch deutlich ungleicher als die Einkommen verteilt, deren Verteilung voraussichtlich so auch noch ungleicher wird.
Die großen Herausforderungen wie Klimawandel, Digitalisierung, Demografie und geopolitische Spannungen erfordern massive Investitionen.
Was werden diese Gewinner der Zinswende mit ihren Gewinnen machen? Als mehrheitlich reichere Haushalte haben sie eine hohe Sparquote und die neuen Einkommen tragen nur begrenzt zu einer höheren Nachfrage bei. Damit verstärkt sich der Rezessionstrend, den die Hochzinspolitik – neben anderen Faktoren wie sinkenden Reallöhnen – ausgelöst hat. Staat und Unternehmen müssten diese Ersparnisse nachfragen und ausgeben, um eine Rezession zu vermeiden. Aber gerade in Deutschland tun sie das in zu geringem Umfang: der Staat wegen der Schuldenbremse, die Unternehmen dank hoher Selbstfinanzierung. So fließen die Ersparnisse ins Ausland, wie am deutschen Leistungsbilanzüberschuss in Höhe von circa acht Prozent des BIP sichtbar ist (Ausnahme 2022 mit 4,2 Prozent). Auch hier gilt, dass Überschussländer wenigstens temporär zu Defizitländern werden müssen, um den Schuldnern die Überschüsse zu ermöglichen, mit denen sie ihre Schulden tilgen und bedienen können.
Die großen Herausforderungen wie Klimawandel, Digitalisierung, Demografie und geopolitische Spannungen, vor denen nicht nur Deutschland, sondern die meisten Länder stehen, erfordern massive öffentliche (und private) Investitionen. Wenn die potenziellen Investoren (Staaten oder Unternehmen) ihre Einnahmen mehr und mehr für den Schuldendienst ausgeben müssen, fehlen diese Mittel für die Bewältigung der vielfältigen Krisen. Eine angemessene Wirtschaftspolitik sollte die Zinsen rasch senken – zumal die Inflation nachlässt – und die Vermögen und die aus ihnen resultierenden Einkommen stärker besteuern, soweit sie nicht in die Krisenbekämpfung investiert werden. Kapitalerträge sollten nicht niedriger, sondern höher als Arbeitseinkommen besteuert werden.