Die Fragen stellte Claudia Detsch.
Das Thema Klimapolitik wird in Deutschland und Europa derzeit heiß diskutiert. Dabei gerät zunehmend auch die Steuerpolitik in den Fokus. Warum sind Steuern wichtig, wenn es ums Klima geht?
Mit Steuern lässt sich ökologisch lenken. In Deutschland allerdings ist der Anteil der Steuern, die so wirken, bislang sehr gering. Das liegt vermutlich weniger am politischen Willen, sondern an den engen Vorgaben der Finanzverfassung. Sie kennt schlicht keine Umweltsteuer. Am ehesten kommen bei uns Verbrauchssteuern in Frage. Das prominenteste Beispiel war die sogenannte ökologische Steuerreform vor mehr als zwanzig Jahren. Das waren Verbrauchssteuern auf Strom, Gas und Öl. Es ist allerdings schwer, diese Steuern auszuweiten. Das Verfassungsgericht hat enge Grenzen gesetzt in der Frage, was als Verbrauchssteuer gelten kann.
So wie die Mehrwertsteuer derzeit ausgestaltet ist, schafft sie ökologisch falsche Anreize, kritisieren Sie. Warum?
Die Mehrwertsteuer unterscheidet zwischen unterschiedlichen Sätzen: einem reduzierten Satz von 7 Prozent und einem regulären von 19 Prozent. Auf Fleisch wird derzeit der reduzierte Mehrwertsteuersatz erhoben. Aus Umwelt- und Gesundheitssicht ist diese Subventionierung von Fleisch und Produkten tierischer Herkunft problematisch. Besser wäre eine normale Besteuerung.
Eine solche Erhöhung der Mehrwertsteuer träfe Menschen mit geringem Einkommen vergleichsweise stärker.
Klar, die Mehrwertsteuer wirkt besonders regressiv. Man hat nicht wie bei der Einkommenssteuer Freibeträge oder einen progressiven Satz. Man könnte zum Ausgleich den reduzierten Satz für Produkte pflanzlicher Herkunft wie Hafermilch oder für Biofleisch erheben, für die bislang der volle Steuersatz fällig wird. Oder sogar einen dritten, noch niedrigeren Mehrwertsteuersatz für pflanzliche Produkte einführen.
Läuft man damit nicht Gefahr, dass Wohlhabende weiterhin ungestört ihr Steak essen und Geringverdiener ungewollt zu Vegetariern werden?
Abgesehen von den enormen externen Kosten der Fleischproduktion, die natürlich auch die Allgemeinheit trägt, sind die Auswirkungen eines reduzierten Fleischkonsums auf die Gesundheit ganz erheblich. Das kommt den Verbrauchern zugute.
Sie empfehlen auch niedrigere Steuersätze als Kaufanreiz für sparsame Elektrogeräte. Aber diese Geräte sind bei der Neuanschaffung immer noch relativ teuer. Begünstigt das nicht auch stärker Menschen mit einem soliden Einkommen?
Über die Lebenszeit hinweg verbrauchen diese Geräte weniger Energie und verursachen damit geringere Kosten. Geräte, die zwar in den Investitionskosten höher sind, aber in den Betriebskosten dann lange Zeit niedriger, nutzen also auch Menschen mit geringerem Einkommen. Und der Staat kann unterstützen. In Deutschland gab es z.B. eine Abwrackprämie für Kühlschränke. Einkommensschwache Menschen konnten Zuschüsse bekommen.
Wenn klimaschädliche Produkte höher und klimafreundliche niedriger besteuert werden – wie sieht die Bilanz unterm Strich aus?
Das lässt sich wegen der Vielzahl der Maßnahmen nur schwer beziffern, aber die CO2-Einsparungen wären insgesamt erheblich. Bei Änderungen der Mehrwertsteuer riskiert man allerdings, dass Produkte, die dann hierzulande nicht mehr konsumiert werden, in den Export gehen. Die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland, vor allem die Fleischproduktion, ist ohnehin sehr exportorientiert. Da würde die Reform der Mehrwertsteuer mit Blick auf die Globalbilanz natürlich nicht greifen.
Bei Änderungen der Mehrwertsteuer riskiert man allerdings, dass Produkte, die dann hierzulande nicht mehr konsumiert werden, in den Export gehen.
Bei diesen Vorschlägen steht der Verbraucher im Vordergrund. Wo kommt die Industrie ins Spiel? Müsste sie Wettbewerbsnachteile befürchten? Oder würden Produktionsverlagerungen ins Ausland drohen?
Tendenziell wird diese Gefahr überbewertet. In Dänemark, Schweden, Großbritannien hatte die Besteuerung der Baustoffe nicht den Zusammenbruch der dortigen Baustoffindustrie zur Folge. Da hat sich im Außenhandel überhaupt nichts getan. Wenn man anfinge, den Verbrauch von Stahl zu besteuern, könnte das jedoch als Anreiz wirken, aus Stahl gefertigte Produkte im Ausland zu produzieren. Sollte europaweit versucht werden, die industrielle Produktion stärker nach ökologischen Gesichtspunkten zu besteuern, wären mögliche Wettbewerbsnachteile gegenüber nichteuropäischen Konkurrenten nicht ganz von der Hand zu weisen. Dann braucht man eben den CO2-Grenzausgleich.
Darüber wird im Moment kontrovers debattiert.
Der Teufel steckt beim CO2-Grenzausgleich tatsächlich im Detail. Derzeit wird darüber gedacht, ob Umweltlabel hier hilfreich sein könnten. Umweltlabel gibt es auch für Stahl, Alu und andere Grundstoffe auf globaler Ebene. Aber ihnen fehlt es an Autorität. Es sind private Label. Es ist heikel, einen reduzierten Steuersatz an ein privates Label zu knüpfen.
Warum sehen Sie die Besteuerung von Baumaterialien in England, Schweden und Dänemark als ein positives Beispiel?
Rund 50 Prozent der Treibhausgasemissionen werden durch die Herstellung und die Verarbeitung von Materialien verursacht. Energie und Verkehr, wo fossile Treibstoffe verbrannt werden, damit man Strom, Wärme oder Fortbewegung erhält, sind wichtig, ganz klar. Aber man muss auch auf Materialien und Produkte achten. Daran sind enorm viele Treibhausgasemissionen gebunden und sie explodieren global geradezu.
Die OECD hat Szenarien entwickelt, wie sich der Material- und Ressourcenverbrauch global entwickeln wird. Das Ergebnis ist besorgniserregend. Da braucht es eine dämpfende Wirkung! In Deutschland stagnieren diese Emissionen übrigens. Wenn wir aus der Braunkohle aussteigen, die einen großen Anteil am Materialumsatz hat, werden sie etwas heruntergehen. Aber in anderen Bereichen wird nicht einmal über Einsparungen diskutiert.
Bei uns sind Steuern auf Baustoffe aufgrund unserer Finanzverfassung ein schwieriges Thema. Die Industrie argumentiert, dass es sich um Vorprodukte handelt, die nicht wirklich zum Endverbrauch zählen und daher nicht mit Verbrauchssteuern belegt werden dürfen. Zement ist allerdings ein Stoff, der auch in den Endverbrauch geht und der daher mit einer Verbrauchssteuer belegt werden könnte. Da steckt viel Potential drin – wenn man denn Zement teurer machen wollte. Ich höre Sie jetzt schon sagen…
Dann wird Bauen teurer…
Ja, wird es. Aber wir müssen auch ehrlich sein. Kann man die Klimawende schaffen, wenn man immer mehr, immer größer baut mit dem Material Zement? Wohl kaum. Zudem gibt es ja Alternativen. Man könnte stärker auf Recycling setzen und mehr Altbausanierung vornehmen, das braucht viel weniger Materialien. Man kann andere Baustoffe wie Holz nutzen. Ich plädiere dafür, Zement und in der Folge Beton und insgesamt Bauen, Wohnen und Infrastruktur mit realistischen Preisen zu belegen.
Wir müssen uns überlegen, wie man die eingesparten Gelder für Armutsbekämpfung und stärkere soziale Teilhabe einsetzen könnte.
Wir stehen vor einem Dilemma: Einerseits müssen die Preise klimaschädlicher Produkte die Folgen widerspiegeln. Anderseits dürfen die Auswirkungen entsprechender Reformen nicht einkommensschwache Menschen überfordern.
Bei der Debatte um die Verteilungswirkung muss man prüfen, wer eigentlich von umweltschädlichen Subventionen profitiert und wer darunter leidet. Typischerweise leiden diejenigen überproportional unter den Belastungen des Verkehrs, die nicht mit dem Auto fahren – oftmals Ältere und Kinder. Und es sind häufig Menschen mit migrantischem Hintergrund, Menschen mit geringen Einkommen, die an stark befahrenen Straßen wohnen. Umgekehrt sind es die Gutverdiener, die beispielsweise von der Dienstwagenbesteuerung profitieren. Wenn Sie ein Auto haben, es in den Firmenbesitz geben und es 90 Prozent privat nutzen, können Sie dennoch die Vorsteuer komplett abziehen. Das ist eine enorme Subvention für diejenigen, die sich ein neues Auto leisten können und einen Dienstwagen gestellt bekommen. Das sind meist Leute, die mehr verdienen als der Durchschnitt. Über das gesamte Spektrum umweltschädlicher Subventionen könnte mit Blick auf die Verteilungswirkung viel Positives bewirkt werden.
Bislang scheint es allerdings einen gewissen Unwillen zu geben, sich dem Thema Subventionen stärker zuzuwenden.
Das kann ich auch nachvollziehen. Das liegt an der Art und Weise, wie diese Debatte geführt wird. In der Regel bleibt bei den Menschen hängen, dass sie mehr Steuern bezahlen sollen, sei es auf Luftverkehr und private Mobilität oder durch Abschaffung der Entfernungspauschale und des reduzierten Satzes für Fleisch. Es läuft regelmäßig darauf hinaus, dass Menschen mehr Einkommens- oder Mehrwertsteuer bezahlen sollen. Und das ist natürlich unpopulär. Mehrere politische Parteien haben sich darauf festgelegt, genau diese Debatte nicht zu führen.
Wie ließe sich das ändern?
Es kommt darauf an, was man mit den zusätzlichen Erträgen macht. Sie dürfen nicht einfach im Staatshaushalt verschwinden. Wir müssen uns überlegen, wie man die eingesparten Gelder für Armutsbekämpfung und stärkere soziale Teilhabe einsetzen könnte. Die 6 Milliarden Euro, die die Entfernungspauschale den Staat pro Jahr kostet, entsprechen rein zufällig genau dem Betrag, den private Haushalte jährlich für ÖPNV-Tickets ausgeben. Wenn man den ÖPNV so subventioniert, dass diese Tickets nicht mehr bezahlt werden müssten, dann würde man vielen Menschen etwas Gutes tun.
Das 1,5-Grad-Ziel wird man nicht erreichen können, wenn der Material- und Ressourceneinsatz in der Volkswirtschaft auf dem aktuellen Niveau verharrt.
Bislang scheint die Wende vom Fokus auf einzelne Produkte wie Fleisch oder Flugverkehr hin zu einer verteilungspolitischen Debatte nicht zu gelingen. Warum verharrt die Politik derart in der Defensive?
Ja, beklagenswert! Ich sehe aber auch die Schwierigkeiten der Kommunikation. Beispiel ökologische Steuerreform: Man erhöht die Steuern auf Benzin oder Heizöl und zahlt das Geld in die Rentenkasse ein, um den Anstieg der Rentenbeiträge zu begrenzen. Das wurde vom politischen Gegner ausgeschlachtet.
Die Mehrkosten spürt man als Verbraucher eben gleich. Die Stabilisierung der Renten ist erstmal etwas Abstraktes.
Es gibt einen Unterschied zwischen der technischen Perspektive, wie man umverteilt, und der kommunikativen Perspektive, dem, was Politikerinnen und Politiker in der Öffentlichkeit als Begründung anführen. Diese Übersetzungsleistung ist nicht trivial. Auch da können wir von anderen Ländern lernen: Ich war erstaunt zu sehen, wie sehr in Südamerika und Afrika Umweltpolitik mit sozialen Zielen verbunden wird. Hierzulande diskutiert man über Umweltpolitik zur Förderung von Wirtschaft und Innovation, dort über Umweltpolitik zur Armutsbekämpfung. Man schafft Zugang zu bezahlbarem Strom, Licht, Wärme, Haushaltsgeräten durch Umverteilungspolitik. Es gibt viele Beispiele dafür, wie man soziale Ziele und Umweltziele miteinander verknüpfen kann. Hier sehe ich Deutschland eher als ein Entwicklungsland.
Welche Auswirkungen haben solchen Reformen auf den Arbeitsmarkt?
Die mehrwertsteuerliche Begünstigung der energetischen Sanierung von Häusern würde zu positiven Beschäftigungseffekten führen. Auch bei den Reparaturdienstleistungen würden durch die o.g. Anreize Arbeitsplätze geschaffen.
Diese Vorschläge gehen Hand in Hand mit dem von der EU angestrebten Einstieg in die Kreislaufwirtschaft. Bei uns wird das Thema aber bislang noch sehr wenig diskutiert.
In Europa ein bisschen mehr als in Deutschland. Aus meiner Sicht sind diese Dinge untrennbar miteinander verbunden. Das 1,5-Grad-Ziel wird man nicht erreichen können, wenn der Material- und Ressourceneinsatz in der Volkswirtschaft auf dem aktuellen Niveau verharrt. Und da kommt eben wieder die Steuerpolitik ins Spiel.