Als Edmundo, ein Müllsucher in Peru, an Corona erkrankte, musste er für seine Behandlung im Krankenhaus einen Kredit aufnehmen. Die meisten seiner Kollegen verschulden sich, wenn sie krank werden; sie müssen verzweifelt um Kredite betteln, ihre Ersparnisse aufbrauchen und ihr Land und ihre Besitztümer verkaufen, um sich medizinische Behandlung und verschreibungspflichtige Medikamente leisten zu können.
Informell Beschäftigte wie Edmundo (der Name wurde zum Schutz seiner Privatsphäre geändert) – oder recicladores, wie sie in Lateinamerika genannt werden – recyceln Rohstoffe und erbringen in städtischen Gebieten eine wichtige gesellschaftliche Dienstleistung. Von New York City bis Bangkok tragen sie zur kommunalen und nationalen Wirtschaft bei und verbessern die öffentliche Gesundheit und die ökologische Nachhaltigkeit.
Obwohl informell Beschäftigte wie diese Müllsucher die Mehrheit der weltweiten Arbeitskräfte stellen, haben sie keine Kranken- oder Rentenversicherung oder eine andere Form von Sozialschutz. In den letzten Jahren verloren viele von ihnen infolge der Corona-Lockdowns, der damit verbundenen Unterbrechungen der Lieferketten und des Inflationsdrucks fast ihr gesamtes Einkommen. Sie stehen unter finanziellem Druck und setzen täglich ihre Gesundheit, Sicherheit und ihre Existenz aufs Spiel.
Informelle Arbeiterinnen und Arbeiter sind besonders hohen Gesundheitsrisiken ausgesetzt.
Aufgrund ihrer prekären Beschäftigung und oft gefährlicher Arbeitsbedingungen sind informelle Arbeiterinnen und Arbeiter besonders hohen Gesundheitsrisiken ausgesetzt. Obwohl sie häufiger Verletzungen und Krankheiten ausgesetzt sind, können sich viele dieser Beschäftigten die steigenden Kosten für die Gesundheitsversorgung kaum noch leisten. Ohne eine angemessene finanzielle Absicherung sind sie oft gezwungen, ärztliche Untersuchungen, Arzneimittel und die Fahrt zu Kliniken und Krankenhäusern aus eigener Tasche zu bezahlen.
Laut einer aktuellen Befragung von Heimarbeitenden in Kambodscha, die von den Initiativen Women in Informal Employment: Globalizing and Organizing (WIEGO) und HomeNet Cambodia durchgeführt wurde, sind Gesundheitskosten der häufigste Grund, warum sich informell Beschäftigte verschulden. Ähnlich wie im indischen Bundesstaat Nagaland, dort belaufen sich die Kosten für einen einzigen Klinikbesuch auf drei Wochenlöhne eines durchschnittlichen Hausangestellten. Unter dieser Arbeitergruppe mussten 70 Prozent einen Kredit aufnehmen, um ihren letzten Arztbesuch zu finanzieren, und ähnlich viele gaben an, dass sie aufgrund der extrem hohen Kosten auf wichtige Formen der Gesundheitsversorgung verzichten.
Aktuelle politische Entwicklungen bieten wenig Anlass zu Optimismus. Zwar wurden die staatlichen Ausgaben in den ersten Phasen der Pandemie leicht erhöht, inzwischen haben der Krieg in der Ukraine und der Inflationsdruck jedoch eine neue Welle von Sparmaßnahmen ausgelöst. Einem aktuellen Bericht des European Network on Debt and Development (EURODAD) zufolge planen derzeit 16 Regierungen – sieben in Entwicklungsländern und neun in Ländern mit hohem Einkommen – Kürzungen im Gesundheitssektor. Auch die meisten Länder mit mittlerem Einkommen werden vermutlich ihre Staatsausgaben kürzen. Und fast 90 Prozent der Kredite, welche der Internationale Währungsfonds während der Pandemie an Länder wie Nepal und Nigeria vergeben hat, sind an die Umsetzung von Sparmaßnahmen geknüpft.
Der aktuelle Trend zur Sparpolitik gefährdet die körperliche und psychische Gesundheit der weltweit am stärksten benachteiligten Beschäftigten.
Der aktuelle Trend zur Sparpolitik gefährdet die körperliche und psychische Gesundheit der weltweit am stärksten benachteiligten Beschäftigten. Studien haben gezeigt, dass die Strukturanpassungsprogramme des IWF die gesundheitliche Ungleichheit im Globalen Süden, wo die Mehrheit aller informell Beschäftigten lebt, weiter verschärft haben. Bedenkt man, dass Frauen und Mädchen einen großen Teil dieser erwerbstätigen Armen ausmachen und von Sparmaßnahmen oft besonders hart getroffen werden, hat der aktuelle Sparkurs auch weitreichende Auswirkungen auf die Geschlechtergerechtigkeit.
Sparpolitik ist allerdings weder notwendig noch unvermeidlich. Wenn sie die Steuern für Unternehmen und Ultrareiche erhöhen, Korruption bekämpfen und die Staatsverschuldung umstrukturieren würden, könnten alle Regierungen essenzielle öffentliche Dienstleistungen finanzieren. Es gibt keinen Grund, warum wir zulassen sollten, dass diejenigen an der Spitze der Wirtschaftspyramide Rekordgewinne scheffeln, während Menschen ganz unten die volle Last der Wirtschafts-, Gesundheits- und sozialen Krise tragen.
Unsere Wirtschaft hängt stark vom kollektiven Wohl von zwei Milliarden informell Beschäftigten ab.
Die gesundheitlichen und finanziellen Nöte, unter denen informell Arbeitende leiden, sind eng verflochten und verstärken sich gegenseitig. Obwohl die informelle Wirtschaft in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen im Schnitt 35 Prozent zum BIP beisteuert und in Indien und Thailand den größten Beschäftigungssektor außerhalb der Landwirtschaft darstellt, werden die Menschen, die in diesem Sektor arbeiten, nicht als entscheidender Faktor für die Erholung der Weltwirtschaft anerkannt. Im Gegenteil: Die politische Debatte blendet vollkommen aus, dass die aktuelle Sparpolitik die Existenz von Millionen Menschen weltweit bedroht.
Fakt ist aber, dass unsere Wirtschaft stark vom kollektiven Wohl von zwei Milliarden informell Beschäftigten abhängt, von denen viele unter der Last steigender Gesundheitskosten ächzen. Politik und Entwicklungsorganisationen müssen diese Gesundheits-Schulden-Krise schnellsten eindämmen, bevor sie außer Kontrolle gerät. Für einen fairen weltweiten Wirtschaftsaufschwung müssen wir die falschen Versprechen und die verheerenden Ergebnisse fiskalpolitischer Sparmaßnahmen durchschauen und in eine bezahlbare, leicht zugängliche und hochwertige Gesundheitsversorgung für alle investieren.
© Project Syndicate