Die Aktivisten der Letzten Generation haben es derzeit wahrlich nicht leicht. Da ist das Gros der Republik, das ihnen nach wie vor die Pest an den Hals wünscht. Da sind die sich auftürmenden Geld- und Haftstrafen nebst hohen sechsstelligen Schadensersatzforderungen. Und da sind die Staatsanwaltschaften, unter denen sich mehr und mehr die Ansicht durchzusetzen scheint, man habe es vielleicht doch mit einer kriminellen Vereinigung zu tun. Die größten Sorgen dürfte der Gruppe jedoch der Umstand bereiten, dass ihr Protestmodell sich mehr und mehr zu erschöpfen scheint. In Zeiten von TikTok und Instagram braucht es schließlich ständig neuen content, um im Dauergerangel um öffentliche Aufmerksamkeit zu bestehen. Das immergleiche Wechselspiel aus Straßenklebereien und Farbattacken reicht da irgendwann nicht mehr aus. Und überhaupt: Wochenlange Blockadeaktionen und beschmierte Sandsteinpfeiler am Brandenburger Tor – wie will man das mit dem bestehenden Aktionsrepertoire noch toppen?

Dazu kommt der fehlende und auch für die Zukunft zweifelhafte Erfolg dieser Taktiken. Die unter Druck stehende Ampel-Koalition dürfte jedenfalls kaum willens sein, ihr letztes Politkapital zu verbrennen, um klimapolitische Wunschlisten abzuarbeiten. Und die Zivilgesellschaft, von der man laut Tagesschau dachte, sie würde sich bei zunehmender Repression auf die Seite des Protests schlagen und einen „sozialen Kipppunkt“ herbeiführen, macht ebenso noch keine ernsthaften Solidarisierungsanstalten. Man tritt also auf der Stelle und versucht, die eigene Ratlosigkeit mit seltsamen Erfolgsbehauptungen zu kaschieren – etwa der, Maßnahmen wie die kurzzeitig beschlossene, dann aber wieder einkassierte Erhöhung der Kerosinsteuer seien nicht der allgemeinen Haushaltsmisere geschuldet, sondern Ausbeute des Widerstandes („Das ist euer Erfolg!“). Nach außen mag das wie bizarres Eigenlob erscheinen, intern erfüllt es aber wohl vorrangig die Funktion einer klassischen Durchhalteparole.

Ist man an solch einem toten Punkt angekommen, liegt es naturgemäß nahe, sich anderswo nach Inspiration umzusehen. In diesem Fall augenscheinlich beim US-KlimaaktionsbündnisClimate Defiance, das in den letzten Monaten mit seinem personenorientierten Proteststil einiges an Beachtung erfahren hat. Das Prinzip der Klimatrotzer: Statt Autofahrer zu blockieren, um Entscheidungsträger zum Handeln zu bewegen, blockiert man die Entscheidungsträger gleich selbst, stört ihre Veranstaltungen, unterbricht ihre Reden und jagt sie bei Bedarf auch einmal quer durch die Stadt. Zu den bekanntesten Opfern dieser Protestform zählt etwa Tommy Beaudreau, der als zweiter Mann im Innenministerium die Genehmigung für ein Ölförderprojekt in Alaska gegengezeichnet hatte und dadurch ins Fadenkreuz der Aktivisten geraten war. Als er Wochen später von seinem Amt zurücktrat, interpretierten diese das sogleich als Bestätigung der eigenen Wirkmächtigkeit und setzten zu martialischem Brusttrommeln an: „Jeder, der nicht ausdrücklich auf unserer Seite steht, wird als Gegner behandelt!“ Ein Satz, der freilich mehr an Carl Schmitt als an die gern beschworene Bürgerrechtsbewegung gemahnt.

Anders mag sich die Lage in Deutschland ausnehmen, wo die politische Kultur seit jeher so beschaffen ist, dass sie dem Dialog den Vorzug vor dem Drama gibt.

Doch auch gestandene Kabinettsmitglieder wie der ehemalige demokratische Senkrechtstarter und jetzige Verkehrsminister Pete Buttigieg bekamen den protestlerischen Furor bereits am eigenen Leib zu spüren. Nur Wochen nach dem Katz-und-Maus-Spiel mit Beaudreau stürmte bei einer Veranstaltung in Baltimore eine Schar „Stop Petro Pete!“ schreiender Climate Defiance-Anhänger die Bühne und steigerte sich in eine regelrechte Suada gegen ihr Zielobjekt. Buttigiegs Ministerium, so der Vorwurf, habe ein Petrochemieprojekt in Texas abgesegnet, das absehbar so viel Kohlenstoffdioxid emittieren werde wie 80 Kohlekraftwerke zusammen. Und auch die schädlichen Auswirkungen des Vorhabens auf indigene Gemeinschaften in der Region würden unter den Teppich gekehrt: „Es geht hier um Umweltrassismus und um den Effekt auf das Klima, den dieses Projekt haben wird!“ Am Ende musste der Minister (der sich nur kurz an einer Antwort versucht hatte) von Sicherheitskräften von der Bühne geleitet werden. Die Aktivisten dagegen feierten ausgelassen im nun fast menschenleeren Saal.

Kaum überraschend, dass derartige Szenen in den Reihen der Letzten Generation die Frage aufwerfen, ob Ähnliches nicht auch in Deutschland möglich wäre. In strategischer Hinsicht spräche nur wenig gegen einen Versuch – die Opportunitätskosten sind gering, und indem man den Protest zu den politisch Verantwortlichen trägt, ließe sich zumindest denjenigen der Wind aus den Segeln nehmen, die klagen, dass es bisher vor allem den kleinen Mann getroffen habe: Menschen, die dringend zum Arzt oder zur Arbeit müssen, nicht aber die Konzernchefs und Kanzleramtssouffleure an den Schalthebeln der Macht. Dazu hat die Vorstellung, einem hohen Ministerialbeamten (oder womöglich gar Christian Lindner selbst) in die Parade zu fahren, auch unter Selbstwirksamkeitsgesichtspunkten etwas ungemein Verlockendes. Der Gegner, dieses zähe, widerständige Gebilde aus gesellschaftlichen Phlegmata, erhält so ein Gesicht, wird konkret und greifbar. Den Unwillen zur Veränderung mag man schon dem Grundsatz nach nicht zu fassen bekommen, wohl aber die, die ihn von Amts wegen repräsentieren.

Soweit die Habenseite. Was die Sollseite angeht, empfiehlt es sich freilich, Protestimporten aus Übersee mit einiger Skepsis zu begegnen: Zu unterschiedlich sind die Ausgangsbedingungen, vor allem das Gefüge von Öffentlichkeit und politischer Einflussnahme, als dass sich in jedem Fall eine direkte Übertragbarkeit annehmen ließe. Gerade für die Aktionen von Climate Defiance gilt, dass sie erkennbar am Diskursverständnis eines Landes ausgerichtet sind, das sich radikale Meinungsfreiheit auf die Fahnen schreibt, Politiker vorrangig an ihrem Unterhaltungswert misst und in dem man kaum ein halbes Dutzend Wahlkampfauftritte ohne einen kamerawürdigen heckler incident absolvieren kann. In einem solchen Kontext stellt die öffentliche Konfrontation ein naheliegendes Artikulationsformat dar. Anders mag sich die Lage in Deutschland ausnehmen, wo die politische Kultur seit jeher so beschaffen ist, dass sie dem Dialog den Vorzug vor dem Drama gibt – und Contenance mehr zu schätzen weiß als Bühnengetöse und heiligen Zorn.

Ein echter Fortschritt wäre insofern nicht, Politiker statt Pendler zu blockieren, sondern das Störkonzept grundsätzlich zur Disposition zu stellen.

In diesem Zusammenhang sei nur an das Gespräch erinnert, das die beiden Mitbegründer der Letzten Generation, Henning Jeschke und Lea Bonasera, dem designierten Kanzler Olaf Scholz im Oktober 2021 aufgenötigt hatten. Ganze anderthalb Stunden hatten die beiden damals Zeit, ihr Gegenüber coram publico in die Mangel zu nehmen – doch Scholz ließ sie wiederholt auflaufen und dominierte den Austausch mit seiner umsichtigen Art, wohingegen der ihn ständig unterbrechende Jeschke reichlich emotionsübersteuert wirkte. Es steht aus aktivistischer Sicht zu befürchten, dass sich bei ähnlichen Aktionen die Sympathien ebenso einseitig verteilen würden: Dort die Klimakleber mit ihren zornigen, repetitiven, mantrahaften Parolen; hier ein Politiker, der wahlweise als Stimme der Vernunft auftreten oder den Störern Kontra geben und so die Sympathien der Öffentlichkeit einheimsen könnte. Als die Letzte Generation im vergangenen Februar eine Rede von Friedrich Merz unterbrach, entgegnete dieser etwa süffisant, dass es schön sei, seine Kritiker im Lande zu wissen, denn „Ihre Kollegen sind ja zurzeit auf Bali!“ Das allseitige Lachen verriet auch hier: Punktsieg für den Angegriffenen.

Vor allem aber würde das Doppelproblem von Abnutzung und Eskalationszwang mit der Übernahme personaler Konfrontationstaktiken nicht gelöst werden, sondern allenfalls verschoben. Denn je ausgiebiger man von ihnen Gebrauch macht, desto mehr schrumpft auch in ihrem Fall der mediale Neuigkeitswert zusammen. Einmal einen Auftritt des Kanzlers unterbrochen, einmal im Sitzungssaal des Bundestags ein Banner emporgereckt (wobei es das bereits gab), einmal einem DAX-Vorstand nachgestellt … und dann? Letztlich ist es ein wenig so, als würde man in einem Werkzeugkasten eine alte, reichlich ramponierte Zange durch ein fabrikneues Nachfolgemodell ersetzen wollen, obschon man eigentlich einen Hammer bräuchte. Dieser Hammer aber (mag es der Letzten Generation gefallen oder nicht) ist das Gewinnen von Mehrheiten, ohne die jeder Klimaprotest über kurz oder lang erschlaffen und in sich zusammenfallen muss. Ein echter Fortschritt wäre insofern nicht, Politiker statt Pendler zu blockieren, sondern das Störkonzept grundsätzlich zur Disposition zu stellen. Jedenfalls dann, wenn man nicht weiter Protestkarneval betreiben und so einem wichtigen Thema eine unangenehm säuerliche Note verleihen möchte.