Die Steuertricks der Konzerne verursachen globale Steuerausfälle von 312 Milliarden US-Dollar jährlich. Das zeigt der neue Bericht State of Tax Justice 2021 des Tax Justice Networks. Durch die im Juli 2021 international vereinbarte Einführung einer globalen Mindeststeuer auf Konzerngewinne sollen sich diese Kosten in Zukunft verringern. Aber: Damit dieser historische Schritt hin zu mehr Steuergerechtigkeit nicht der letzte bleibt, muss die zur Umsetzung der internationalen Vereinbarung geplante EU-Mindeststeuerrichtlinie den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit geben, über die Oktober-Vereinbarung hinauszugehen.
Mit dem derzeit geplanten Vorschlag der EU-Kommission für eine Mindeststeuerrichtlinie geht ein politischer Marathon in die nächste Phase. Bereits 2013 hatten die G20-Finanzminister die OECD beauftragt, neue Vorschläge für Maßnahmen gegen die Steuertricks der Konzerne auszuarbeiten. Das erste Ergebnis war 2015 das 15-Punkte-Programm gegen die unternehmerische Steuervermeidung durch Gewinnkürzung und Gewinnverlagerung (Base Erosion and Profit Shifting, BEPS). Im Jahr 2019 folgte schließlich die Einigung auf das 2-Säulen-Konzept zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft, welches im Oktober 2021 die Zustimmung des OECD/G20-Inclusive Framework gefunden hat.
Die geplante EU-Mindeststeuerrichtlinie muss den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit geben, über die internationale Einigung hinauszugehen.
Säule 1 des OECD-Konzepts sieht vor, dass ein gewisser Teil der Konzerngewinne als Besteuerungsgrundlage in jene Staaten umverteilt wird, in denen die Kunden der Unternehmen ansässig sind. Das betrifft besonders die US-amerikanischen Internetkonzerne wie Google, Facebook und Amazon, die durch ihre digitalen Geschäftsmodelle in den meisten Marktstaaten eine physische Präsenz und damit eine Steuerpflicht vermeiden.
Säule 2 des OECD-Konzepts sieht eine globale effektive Mindeststeuer vor, die sicherstellt, dass Konzerne – egal wo sie aktiv sind – ein gewisses Minimum an Gewinnsteuern abführen müssen. Bis kurz vor Schluss der Verhandlungen schien alles auf das irische Besteuerungsniveau von 12,5 Prozent hinauszulaufen. Durch die Initiative der neuen US-Administration sind es letztlich 15 Prozent geworden. Ein historisches Ergebnis, auf das viele Beobachter noch vor einem halben Jahr keinen Pfifferling gesetzt hätten.
Die internationale Einigung auf das 2-Säulen-Konzept der OECD garantiert aber noch keine einheitliche Umsetzung der Mindestbesteuerung in der EU, denn eine ordentliche Steuerrichtlinie braucht die Zustimmung aller Mitgliedsstaaten.
Bis zum letzten Moment wollten einige EU-Steueroasen – allen voran Irland – die Mindeststeuer zu Fall bringen. Mit Zugeständnissen in der Endphase der Verhandlungen konnten die skeptischen Regierungen überzeugt werden. Wegen des irischen Widerstands hat man sich auf eine Mindeststeuer von „15 Prozent“ statt „mindestens 15 Prozent“ geeinigt. Ungarn konnte eine Art „Übergangsphase“ durchsetzen. Und Estland bekam eine erweiterte „de minimis“-Regelung, die Kleinstgewinne von der Mindeststeuer ausnimmt.
Die Regierungen der Steueroasen wissen, dass sie die Mindeststeuer nicht verhindern können. Die USA haben mit GILTI (Global Intangible Low-Taxed Income) gezeigt, dass eine globale Mindeststeuer für amerikanische Konzerngewinne auch nationalstaatlich umsetzbar ist. Das Kalkül der Steueroasen ist es also, am Verhandlungstisch möglichst viele Nachbesserungen zu erreichen.
Es gibt starke Kräfte in Europa, die den Steuerwettbewerb der Staaten nachhaltig eindämmen wollen.
Während Irland & Co am liebsten gar nichts machen würden, gibt es starke Kräfte in Europa, die die Konzernsteuertricks unterbinden und den Steuerwettbewerb der Staaten nachhaltig eindämmen wollen. Zivilgesellschaftliche Organisationen, diverse politische Parteien im EU-Parlament und die Gewerkschaften haben sich wiederholt für schärfere Konzernsteuerregeln ausgesprochen und gefordert, dass die EU bei der Umsetzung der neuen globalen Regeln über die internationale Vereinbarung hinausgehen soll.
Tatsächlich wäre es kein Bruch der internationalen Vereinbarung, wenn sich die EU im Gemeinschaftsgebiet beispielsweise auf einen höheren Mindeststeuersatz und auf eine Ausweitung auf eine größere Zahl von Unternehmen verständigen würde. Laut internationaler Einigung soll die Mindeststeuer erst ab einem Konzernumsatz von 750 Millionen Euro greifen, obwohl auch kleinere Konzerne Gewinne verschieben, um Steuern zu vermeiden. Für die große Mehrzahl der Mitgliedsstaaten wären solche Reformen finanziell interessant. Schließlich werden 70-80 Prozent der EU-Konzerngewinne innerhalb der EU verschoben. Steueroasen wie Irland und Ungarn haben daran natürlich weniger Interesse.
Zusätzliches Ungemach droht ihnen von internationaler Seite. Denn die Entwicklungs- und Schwellenländer sind alles andere als zufrieden mit der internationalen Einigung. Während es für Irland & Co Zugeständnisse gegeben hat, blieben ihre Forderungen nach einer stärkeren Umverteilung der Besteuerungsrechte und einer höheren Mindeststeuer weitgehend ungehört.
Entwicklungs- und Schwellenländer sind alles andere als zufrieden mit der internationalen Einigung.
Der argentinische Finanzminister bezeichnete das Ergebnis sogar als „bad deal for the developing world“. Die Führungsrolle der OECD wird teilweise offen infrage gestellt. So haben sich erst Ende Oktober 134 Entwicklungs- und Schwellenländer für eine stärkere Rolle der UNO in Steuerfragen ausgesprochen. Darunter sind G20-Schwergewichte wie Indien oder China.
Kippt die politische Basis der Einigung auf internationaler Ebene, hat das natürlich eine Rückwirkung auf die EU. Gleiches gilt übrigens auch für die USA, wo das Weiße Haus seit Wochen versucht, die hauchdünne Mehrheit der Demokraten auf Umsetzungskurs zu bringen. Die Skeptiker dort verweisen darauf, dass man die eigene Wettbewerbsfähigkeit gefährde, wenn man zur Umsetzung der internationalen Vereinbarung mit einer GILTI-Verschärfung in Vorlage tritt, während die EU und andere Staaten noch überhaupt keine Mindeststeuer eingeführt haben.
Die Mindeststeuerrichtlinie ist ein Drahtseilakt. Auf der einen Seite muss die EU eine rasche Einigung sicherstellen, die Mindeststeuer soll ja bereits 2023 in Kraft treten. Auf der anderen Seite muss sie in der Lage sein, auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der Staaten und zivilgesellschaftlichen Stakeholder reagieren zu können. Wenn sie sich von Irland & Co auf die internationale Einigung „festnageln“ lässt, dann könnte die Umsetzung der globalen Mindeststeuer der letzte Fortschritt für gerechte Konzernsteuern für Jahrzehnte gewesen sein.
Das hat der irische Finanzminister Donohoe sogar relativ klar in Aussicht gestellt: „I can’t see in my lifetime these kind of circumstances developing again. … 15 will mean 15.” Europa wäre dann auch auf internationaler Ebene kaum noch handlungsfähig und könnte in Konzernsteuerfragen zu einem Bremsklotz werden – mit der Gefahr, dass die Staaten in Ermangelung koordinierter Lösungen alleine vorangehen und wie bei den Digitalsteuern ein Flickenteppich aus nationalen Regeln entsteht.
Um die multilaterale Koordination abzusichern, muss die Mindeststeuerrichtlinie der EU also eine gewisse Flexibilität zulassen. Kurzfristig wird die internationale Einigung der kleinste gemeinsame Nenner sein. Mittelfristig, nach einer Übergangsphase von fünf bis zehn Jahren, sollte es für willige Mitgliedsstaaten aber eine „opting out“-Möglichkeit geben, die es ihnen erlaubt, im Gemeinschaftsgebiet einen höheren Mindeststeuersatz anzuwenden.
Die nächsten Enthüllungen über Steuervermeidung und die nächsten nationalen Budgetkrisen kommen bestimmt.
Die internationale Einigung auf das 2-Säulen-Konzept der OECD war ein Riesenschritt in Richtung größerer Steuergerechtigkeit auf globaler Ebene. Es wäre aber ein fataler Fehlschluss zu glauben, dass der Reformbedarf damit bedient sei. Die nächsten Enthüllungen über Steuervermeidung und die nächsten nationalen Budgetkrisen kommen bestimmt. Spätestens dann wird es einen enormen öffentlichen Druck geben, an den Schrauben der neuen Regelwerke zu drehen, um einen angemessenen Steuerbeitrag der Konzerne sicherzustellen.
Die willigen EU-Staaten müssen die politischen Verhandlungen nicht scheuen. Mit verstärkter internationaler Zusammenarbeit oder einer nationalstaatlichen Umsetzung stehen im Notfall aber Alternativen zur Einstimmigkeit bereit. Die Mitgliedsstaaten sollten nicht zögern, sie zu nutzen, um sich gegenüber den EU-Steueroasen verhandlungstaktisch zu behaupten.