Die Ausprägung eines weltweiten Klimabewusstseins in den 1980er Jahren fiel mit der Revolution der freien Märkte zusammen, die auch als Neoliberalismus bekannt ist. Naomi Klein beschrieb diese Gleichzeitigkeit als tragische Fügung. Die Umweltpolitik orientierte sich folgerichtig an rein marktorientierten Lösungen und konzentrierte sich auf den Emissionshandel. Man verließ sich auf den Preismechanismus, um den schwerfälligen Tanker unserer modernen Wirtschaft in eine neue Richtung zu steuern.

Dreißig Jahre später, da sich das Tempo der Klimakrise beschleunigt, ist es vorbei mit den zuversichtlichen Annahmen, die den politischen Diskurs der 1980er und 1990er Jahre prägten. Wir verstehen uns heute nicht mehr als Kapitäne eines Riesenschiffes, sondern gleichen, wie Jörg Haas von der grünen Heinrich-Böll-Stiftungargumentiert, eher einem Rallyefahrer, der in eine enge Kurve rast und verzweifelt versucht, das Auto heil durchzubringen. Um im Powerslide durch die Kurve zu kommen, müssten wir gleichzeitig bremsen, lenken und beschleunigen.

Wenn es uns die Finanzkrise 2008 und ihre Folgen nicht schon gelehrt hätten, so würden wir aus der Covid-19-Krise lernen, dass, wenn der Status quo ernsthaft in Gefahr ist, das Motto einer modernen Regierung lautet: „Alle Hebel in Bewegung setzen.“ Angesichts von Ausmaß und Dringlichkeit der Klimakrise müssen wir auch dafür einen gleichermaßen radikalen Ansatz fordern.

Wir sollten alles auffahren, was irgend möglich ist, von einer gezielten Investitionsstrategie über staatliche Beihilfen, die an Bedingungen geknüpft sind, bis hin zu einer grünen „quantitativen Lockerung“. Auch subventionierte Einspeisetarife, Strafen für klimaschädlichen Konsum und großzügige Ausgaben für Forschung und Entwicklung gehören dazu. Alles muss auf den Tisch kommen, einschließlich klarer Verbote und der Verstaatlichung relevanter Unternehmen.

Die Zeit ist zu knapp, als dass man sich noch an das neoliberale Dogma klammern könnte, nach dem die Schaffung von Märkten und die Festlegung von Preisen in jedem Fall der sichere Weg zum Erfolg wäre.

Da wir die Zeit nicht auf unserer Seite haben, müssen wir uns größtmögliche Handlungsfreiheit bewahren. Wir sollten uns nicht weiter in politisch unfruchtbaren Debatten über die totemistische Politik einer vergangenen Ära festbeißen, besonders über die CO2-Bepreisung. Die Zeit ist zu knapp, als dass man sich noch an das neoliberale Dogma klammern könnte, nach dem die Schaffung von Märkten und die Festlegung von Preisen in jedem Fall der sichere Weg zum Erfolg wäre. Eine CO2-Bepreisung, egal ob durch Emissionshandel oder eine CO2-Steuer, wird sehr wahrscheinlich nicht ausreichen.

Nehmen wir Benzin, das in Europa und Asien seit langem horrend besteuert wird. Europäer und Asiaten fahren deshalb kleinere Autos als Amerikaner. Aber sie fahren immer noch viel zu viel, die Autos sind immer noch viel zu groß. Eine Bepreisung reicht da nicht aus. Um direkte Abschreckungsmaßnahmen, Vorschriften und Verbote, etwa für Verbrennungsmotoren, wird man nicht herumkommen.

Eine CO2-Bepreisung ist nicht nur unzureichend, sie bringt auch Kollateralschäden mit sich. Für Menschen am unteren Ende der Einkommensskala können die Folgen von Preis- und Steuererhöhungen verheerend sein. Sie bergen die Gefahr, dass eine Gegenreaktion provoziert und politischer Widerstand gegen die Dekarbonisierung mobilisiert wird. Das aber können wir uns nicht leisten.

Eine richtig angesetzte Bepreisung kann durchaus einen Anreiz dafür schaffen, dass dort eingespart wird, wo eingespart werden soll – nämlich bei den Emissionen. In dieser Hinsicht ist sie eine nützliche Ergänzung zu gezielteren Maßnahmen.

Es besteht also dringender Handlungsbedarf, und doch können wir uns unserer Geschichte nicht entziehen. Seit den 1990er Jahren bildet die CO2-Bepreisung den Kern der europäischen Umweltpolitik. Wichtige Akteure unterstützen sie engagiert, darunter einflussreiche Stimmen in der deutschen Regierung, die in den nächsten sechs Monaten die EU-Ratspräsidentschaft innehaben wird.

Eine richtig angesetzte Bepreisung kann durchaus einen Anreiz dafür schaffen, dass dort eingespart wird, wo eingespart werden soll – nämlich bei den Emissionen. In dieser Hinsicht ist sie eine nützliche Ergänzung zu gezielteren Maßnahmen.

Wenn der festgelegte Mindestpreis hoch genug ist und künftige Erhöhungen glaubhaft in Aussicht gestellt werden, lassen sich dadurch Entscheidungen über Investitionen und die Wahl des Brennstoffes beeinflussen. Die fast vollständige Verdrängung der Kohle im Mix der britischen Stromerzeugung ist ein gutes Beispiel dafür.

Beim derzeitigen Zertifikatpreis und angesichts des Gas- beziehungsweise Kohlepreises kann das effizienteste Kohlekraftwerk nicht mit dem ineffizientesten Gaskraftwerk mithalten. Das Ende der kommerziellen Kohleverstromung in Europa ist besiegelt.

Ende der 1990er, Anfang der 2000er Jahre unterzog sich die EU der mühevollen Aufgabe, ein Emissionshandelssystem aufzubauen. Angesichts unserer Erfahrungen damit würden wir, könnten wir noch einmal entscheiden, wohl eher darauf verzichten. Aber das Besondere an der Klimakrise ist eben, dass wir keine zweite Chance bekommen: Die Uhr tickt unerbittlich.

Dazu kommt, dass der EU-Emissionshandel funktioniert. Das ist erstaunlich, nicht nur wegen der wechselhaften Geschichte des Systems, sondern auch, weil die Bedingungen im Jahr 2020, oberflächlich betrachtet, kaum ungünstiger sein könnten.

Wegen der Rezession infolge der Coronakrise ist die Energienachfrage eingebrochen. Man müsste also annehmen, dass das System mit Emissionszertifikaten überschwemmt würde und deren Preise fielen. Doch stattdessen hat nach einem anfänglichen Einbruch der Preis für europäische CO2-Zertifikate mit rund 25 Euro pro Tonne fast wieder das Vorkrisenniveau erreicht.

Verbunden mit dem Absturz des Erdgaspreises ist damit der Wendepunkt für den Brennstoffwechsel erreicht. Beim derzeitigen Zertifikatpreis und angesichts des Gas- beziehungsweise Kohlepreises kann das effizienteste Kohlekraftwerk nicht mit dem ineffizientesten Gaskraftwerk mithalten. Hält dieser Zustand an, dürfte das Ende der kommerziellen Kohleverstromung in Europa besiegelt sein. Gas ist bestenfalls ein Übergangsbrennstoff, aber die Verdrängung der Kohle wäre schon mal ein großer Gewinn.

Aus Sicht sachkundiger Marktteilnehmer sind die Preise der Emissionszertifikate so stabil, weil das Engagement der EU für eine rasche Dekarbonisierung als glaubwürdig gilt. Das ist ein enorm wichtiger Punkt.

Aus Sicht sachkundiger Marktteilnehmer sind die Preise der Emissionszertifikate so stabil, weil das Engagement der EU für eine rasche Dekarbonisierung – wie es im European Green Deal zum Ausdruck kommt – als glaubwürdig gilt. Das ist ein enorm wichtiger Punkt.

Die Märkte folgen Erzählungen. Man macht Geld, indem man auf gute oder schlechte Nachrichten wettet, darauf, ob Kurse steigen oder fallen. Entscheidend ist, dass man voraussieht, in welche Richtung die Reise geht.

Aus gutem Grunde heißt es, Spekulationen zum Zwecke privater Gewinne liefen den Absichten einer progressiven Politik zuwider. Wenn wir für das Klima Modelle für „Minsky-Momente“ entwickeln, unterstellen wir beispielsweise, dass Privatinvestoren den Staaten nicht glauben, dass sie ihre Dekarbonisierungsmaßnahmen durchziehen. In diesem Fall wäre es unternehmerisch sinnvoll, weiter in Öl, Gas und Kohle zu investieren, was wiederum die Dekarbonisierung behindert.

Es folgt ein Teufelskreis. Die Dekarbonisierung findet zwar statt, allerdings nicht in Form eines reibungslosen und effizienten Anpassungsprozesses, sondern in Gestalt einer Krise; in diesem Minsky-Moment richten sich auch die Preise für fossile Brennstoffe plötzlich neu aus.

Die Anleger setzen ihr Vermögen nicht darauf, dass der politische Wille nachlässt. Sie wetten darauf, dass sich die Politiker angesichts der Unzulänglichkeit der derzeitigen Zielvorgaben anstrengen und höhere Ziele für die Dekarbonisierung stecken werden.

Man stelle sich nun aber vor, die Logik liefe genau umgekehrt: Die Spekulanten gelangten zu dem Schluss, dass es klug wäre, auf die Umsetzung der politischen Ziele zu wetten. Dieser Fall würde den Erfolg der Politik beschleunigen, die Staaten könnten leichter Kurs halten. Erstaunlicherweise geschieht offenbar genau das auf den CO2-Märkten der EU.

Insidern zufolge werden Emissionszertifikate zu so hohen Preisen gehandelt, weil sich nach Marktauffassung „auch bei maximalem Brennstoff-Umstieg die CO2-Emissionen nicht mehr so stark senken ließen, dass die langfristigen EU-Ziele erreicht werden könnten; die Preise müssen daher steigen, um Anreize für Senkungen in den anderen Bereichen zu schaffen, die in das Emissionshandelssystem der EU fallen. Da die EU ihr Emissionsreduktionsziel bis 2030 Ende dieses Jahres auf 50 oder 55 Prozent gegenüber 1990 (derzeit liegt es bei 40 Prozent) anheben und das System in den nächsten Jahren auch auf Schifffahrt, Gebäude und Verkehr ausdehnen dürfte, gibt es gute Gründe, auf ein Anziehen des Marktes zu setzen.“

Die Anleger setzen ihr Vermögen nicht darauf, dass der politische Wille nachlässt. Sie wetten darauf, dass sich die Politiker angesichts der Unzulänglichkeit der derzeitigen Zielvorgaben anstrengen und höhere Ziele für die Dekarbonisierung stecken werden. Handelt die Politik nach dieser Logik, so steigt der Wert der Emissionszertifikate. Wer jetzt welche kauft, kann sie später womöglich mit Gewinn verkaufen. Diese Prognose treibt die Preise für Zertifikate in die Höhe und drängt Kohlekraftwerke schneller aus dem Markt.

Öffentliches und privates Handeln verstärken sich gegenseitig. Das sollte bereits Anlass zur Skepsis geben, doch angesichts dieser akuten Krise können wir es uns nicht leisten, einem geschenkten Gaul ins Maul zu schauen.

Die Analystengemeinde – zumindest in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance – ist mittlerweile vom Ernst der Klimakrise überzeugt. Und unabhängig von persönlichen Meinungen geht man davon aus, dass sich die gegenwärtige Generation europäischer Staats- und Regierungschefs engagiert für die Sache einsetzt. Befeuert wird dieses politische Engagement von der öffentlichen Meinung und insbesondere der beeindruckenden Mobilisierung junger Menschen, die 2018/2019 den Diskurs in Europa verändert hat. Politiker, die hinter den Green Deal zurückfallen, müssen damit rechnen, an der Wahlurne abgestraft zu werden.

So entsteht eine positive Dynamik – geradezu das Idealbild einer verantwortungsvollen liberalen Regierungsführung, in der sich öffentliches und privates Handeln gegenseitig verstärken. Das sollte bereits Anlass zur Skepsis geben, doch angesichts dieser akuten Krise können wir es uns nicht leisten, einem geschenkten Gaul ins Maul zu schauen. Wenn Investoren diesmal darauf wetten, dass die Politik die Dekarbonisierung tatsächlich vorantreibt, bringt es erhebliche und potenziell langfristige Vorteile, diese Annahme zu bestärken und so Vertrauen und Glaubwürdigkeit zu gewinnen.

Es deutet auf den Ernst der Lage, wenn Wetten auf die Klimakrise nicht mehr Gegenstand langfristiger Spekulationen sind. Diejenigen, die Emissionszertifikate haben, erwarten Gewinne, vielleicht nicht in diesem Jahr, aber doch in absehbarer Zukunft. Wenn die Märkte die Dekarbonisierung mit betreiben sollen, muss diese Erwartung erfüllt werden. Deshalb gilt, es unbedingt zu verhindern, dass die Covid-19-Rezession eine plötzliche Abwertung der Zertifikate nach sich zieht. Das hat es schon gegeben – 2005 und noch einmal zwischen 2009 und 2013 –, und die Wirkung war entmutigend.

Nach dem letzten Preisverfall straffte die EU 2017 das Emissionshandelssystem und führte eine Marktstabilitätsreserve ein. Dieser Mechanismus, der 2019 in Kraft trat, war eine klassische politische Nebelkerze. Zwar ist es das erklärte Ziel der Marktstabilitätsreserve, durch die mechanische Rücknahme von Zertifikaten aus überschwemmten Märkten die Preise zu stabilisieren, doch in Wahrheit soll sie langfristig einen hohen und steigenden CO2-Preis gewährleisten. Entscheidend ist, dass nach der Vereinbarung von 2017 ab 2023 überschüssige Zertifikate, die sich in der Marktstabilitätsreserve angesammelt haben, ungültig werden.

Derzeit wetten die Marktteilnehmer darauf, dass der politische Wille da ist, eine massive Dekarbonisierung herbeizuführen.

Genau diese Perspektive haben die Märkte im Blick, wenn sie auf die Ernsthaftigkeit des politischen Engagements wetten. Frankreich und Deutschland gaben am 18. Mai mit ihrer gemeinsamen Initiative zur wirtschaftlichen Erholung Europas ein begrüßenswertes Signal, als sie sich für die Einführung einer CO2-Mindestbepreisung einsetzten. Wenn die Marktstabilitätsreserve im Jahr 2021 überprüft wird, könnte sie so nachgebessert werden, dass sie explizit einen Mindestpreis anvisiert. Noch wichtiger als Signal an Wählerschaft und Investoren wäre die Verpflichtung, das Dekarbonisierungsziel bis 2030 weit über die derzeitig geltenden 40 Prozent hinaus zu erhöhen und Schifffahrt, Gebäude und Verkehr mit einzubeziehen.

Aus bitterer Erfahrung wissen wir, dass der marktorientierte Emissionshandel nicht das universelle unpolitische Instrument für die Energiewende ist, als das er einst angepriesen wurde. Der Mechanismus ist schwach und hängt in seiner Wirksamkeit vom politischen Willen ab, mittels Verknappung die Bedingungen für sinnvolle CO2-Preise zu schaffen. Allzu oft wurden Erwartungen enttäuscht, wurde Glaubwürdigkeit verspielt.

Derzeit wetten die Marktteilnehmer aber darauf, dass der politische Wille da ist, eine massive Dekarbonisierung herbeizuführen. Genau das will eine Mehrheit der Europäer, insbesondere der jungen Europäer. Unter der richtigen politischen Führung besteht die Chance, dass sich der Emissionshandel von einem nutzlosen Mechanismus in ein wirkungsvolles Instrument der Klimapolitik verwandelt.

Diese Chance sollte sich Europa nicht entgehen lassen. Und je lauter Europäerinnen und Europäer sie einfordern, desto besser.

Aus dem Englischen von Anne Emmert

Dieser Artikel ist eine gemeinsame Veröffentlichung von Social Europe und dem IPG-Journal.