Frankreich
Sprengsätze in Büros von Umweltorganisationen, Misthaufen auf Autobahnen und Importhühnchen als Wurfgeschosse: Die Protestformen französischer Bäuerinnen und Bauern sind traditionell rabiat – und bleiben doch wirkungsarm. Die Krise der französischen Landwirtschaft schafft es seit Jahren regelmäßig in die Schlagzeilen, doch hat sich an der grundsätzlichen Malaise der Landwirte in Europas größtem Agrarland mit einer Nutzfläche von über 27 Millionen Hektar (Deutschland: 17,3 Millionen) nichts verbessert. Einem landwirtschaftlichen Haushalt bleibt monatlich kaum ein ausreichendes Auskommen, fast täglich wird irgendwo in Frankreich der Suizid eines verschuldeten Bauern gemeldet. Und das, obwohl Frankreich zu den größten EU-Subventionsempfängern gehört und seine Höfe deutlich mehr Unterstützung erhalten als Deutschlands Bauern. Die Problemlage gleicht denen in anderen EU-Ländern: Die Verdrängung kleiner Bauernhöfe durch die Agrarindustrie, Verschlechterung der Bodenqualität, Wassermangel, geringe Ertragspreise, Konkurrenz von Import-Billigprodukten sowie überbordende Bürokratie und Auflagen, um nur einige zu nennen.
Präsident Emanuel Macrons Regierung hat angesichts der jüngsten Märsche der Bauern schnell reagiert: Der neue Premierminister Gabriel Attal traf sich wiederholt mit demonstrierenden Bauern und versprach schnelle Abhilfe, zum Beispiel bei der Dieselsteuer, den Pestizid-Verboten sowie der Bürokratie. Am Dienstag wird Macron eine Bauern-Delegation im Élysée-Palast empfangen. Die Zeit drängt, denn am 24. Februar startet die französische Agrarmesse, eine vielbeachtete Leistungsschau der Landwirtschaft. Gibt es bis dahin aus Sicht der Bauern keine nennenswerten Fortschritte, drohen sie mit neuen heftigen Protesten.
Wie andernorts auch, richtet sich die Wut gegen die EU, allen voran die neuerlichen Verhandlungen rund um das Freihandelsabkommen Mercosur, gegen die als überbordend empfundenen bürokratischen Auflagen sowie gegen Billigimporte aus der Ukraine, deren Bauern Pestizide verwenden dürfen, die in der EU verboten sind. Zornig sind Frankreichs Bäuerinnen und Bauern aber auch auf die eigene Regierung, die trotz vollmundiger Versprechen der letzten Jahre nichts zur Besserung der multiplen Krisen beigetragen habe. Allen voran Macrons Ankündigung, die Handelshäuser zum Einkauf heimischer Produkte zu existenzsichernden Preisen zu zwingen. Diese bleibt bis dato wirkungslos, da Großhandelsketten diese Auflage mühelos umgehen und billigere Importware statt Eigenprodukte einkaufen. Wie Berlin, so hatte auch Paris geplant, die Steuer auf Diesel-Treibstoff bis zum Jahr 2030 schrittweise zu erhöhen. Premierminister Gabriel Attal ruderte jedoch zurück, die Steuererhöhung auf Agrardiesel ist vom Tisch. Doch wird das Bisherige kaum ausreichen, die zahlreichen Krisen der Landwirtschaft einzudämmen. Seit Wochen sind alle Präfekten des Landes aufgerufen, die Lage in den Regionen kritisch zu sichten. Dabei verdichtet sich das Bild einer von der Agroindustrie dominierten Landwirtschaft, die die Mehrheit der Subventionen einstreicht und damit neue Konzentrationsprozesse begünstigt.
Wie andernorts auch, richtet sich die Wut gegen die EU.
Die zornigen Landwirte, die einen Forderungskatalog mit 120 Reformen vorgelegt haben, wollen von ihrer Regierung unbedingt konkrete Taten sehen. Sie wissen, dass auch rund vier Wochen nach Protestbeginn rund 80 Prozent der Französinnen und Franzosen hinter ihnen stehen. Sie verfügen zudem über eine mächtige Lobby und haben ein politisches Vorbild: die Gelbwesten, die Macrons erste Amtszeit massiv gestört hatten.
Macron tut daher auch sein Bestes, um die Krise in den Griff zu bekommen. Er kündigte ein Unterstützungspaket von rund 400 Millionen Euro für Landwirte an. Und er verteidigt immer wieder die Europäische Union. Es sei nicht wahr, dass diese ihre Ohren vor den Forderungen und Erwartungen der Landwirte verschließe, sagte er kürzlich als Antwort zu den Anschuldigungen vom führenden französischen Landwirtschaftsverband FNSEA.
Der französische Präsident macht sich zudem stark für die Einrichtung einer europäischen Kontrollkraft für Gesundheits- und Landwirtschaftsthemen. Diese soll sicherstellen, dass die europäischen Regeln einheitlich umgesetzt und eingehalten werden. Von der EU-Kommission fordert er nun selbst konkrete und greifbare Vereinfachungen für die Landwirte bis Ende Februar – gerne pünktlich zur Landwirtschaftsmesse.
Adrienne Woltersdorf, FES Paris
Rumänien
Die Proteste der Landwirte und Spediteure in Rumänien endeten am 2. Februar mit der Unterzeichnung einer Vereinbarung zwischen den Demonstranten und der Regierung. Vereinbart wurde, dass am Montag, dem 5. Februar, auf Beschluss des Premierministers ein interministerieller Ausschuss eingesetzt wird, um die Forderungen der Demonstranten zu analysieren und Lösungen zu erarbeiten.
Knapp einen Monat lang hielten die Proteste an, deren Hauptschauplatz das Dorf Afumați in der Nähe von Bukarest war. Da die Demonstranten nicht mit Lastwagen und Traktoren nach Bukarest fahren durften, versammelten sie sich dort. Auch in Temeswar und vielen anderen Städten sowie an der Grenze zur Ukraine protestierten Landwirte und Spediteure bereits seit Anfang Januar.
Die Proteste richteten sich vor allem gegen die hohen Dieselkosten, verschobene Auszahlungen von Agrarsubventionen, gegen EU-Umweltschutzmaßnahmen und den Druck auf den heimischen Markt durch importierte ukrainische Agrarprodukte. Neben diesen aktuellen Problemen machten viele Bauern bei den Protesten auch ihrem generellen Unmut Luft. Sie forderten Maßnahmen von Seiten der Regierung, die finanzielle Krise der Landwirte anzugehen und sich für die Wettbewerbsfähigkeit der rumänischen Betriebe einzusetzen. „Die Preise für unsere Produkte werden immer niedriger, weil sie von denen festgelegt werden, die die Betriebsmittel verkaufen, und unter diesen Bedingungen arbeitet der rumänische Landwirt am Ende nur für andere“, so ein Landwirt aus dem Kreis Dolj.
Dass sich die Wut gerade jetzt entlud, ist auch der europaweiten Dynamik zuzuschreiben.
Dass sich die Wut gerade jetzt entlud, ist auch der europaweiten Dynamik zuzuschreiben. Rumänien orientiert sich stark an dem, was in Europa und vor allem auch Deutschland passiert. Dass sich die Demonstrierenden zu Beginn von den Protesten in Deutschland inspirieren ließen, ist daher nicht verwunderlich. Und auch in der Sache gibt es einige Gemeinsamkeiten. Denn viele der beklagten Problemlagen teilen Landwirte europaweit. Dies mag zunächst vielversprechend klingen und nach einer Chance, die Handlungskompetenz der EU aufzuzeigen. Die Proteste in Rumänien richteten sich dennoch vor allem gegen die nationale Regierung, die dann mit ihrem Zugeständnis zu einem recht schnellen Ende der Proteste beitrug. Dass Rumänien ein Superwahljahr ins Haus steht und der Wettbewerb um die Gunst der Wählerschaft begonnen hat, gehört zum Kontext, der Einiges erklären mag.
Da die Proteste nationale Einzelkämpfe blieben, liefen sie Gefahr, am Ende vor allem rechten Kräften in die Hände zu spielen. Ähnlich wie in anderen Ländern versuchten auch in Rumänien rechte Parteien auf der Protestwelle zu reiten. Vertreter der extremistischen Parteien AUR und SOS versuchten sich unter die Demonstranten zu mischen und die Dynamik für ihre Ziele zu nutzen. Sie wurden jedoch überwiegend abgewiesen oder gar ausgebuht, womit eine generelle Vereinnahmung verhindert werden konnte. Es scheint, als wäre eine gute Chance, die europaweiten Herausforderungen für Landwirte zu diskutieren, verstrichen: eine europaweite Diskussion über die Auswirkungen der Klimakrise auf die landwirtschaftliche Produktion beispielsweise. Rumänien hat in den letzten Jahren einige Dürreperioden erleben müssen, dennoch findet dieses Thema bislang nicht statt.
Zudem gewinnt man den Eindruck, als wäre man etwas übermütig und unvorbereitet auf den „Protestzug“ aufgesprungen. Das machen fehlende Abstimmung und Koordinierung unter den Protesten deutlich, und auch fehlende Differenzierung in den Forderungen der Protestierenden. Die vielfältigen Lebens- und Arbeitsbedingungen von Landwirten finden kaum Berücksichtigung in den nationalen Debatten. Denn Großbauern und große Agrarunternehmen befinden sich nicht in der gleichen Situation wie kleine und mittlere Landwirte. Ein öffentliche Reflexion darüber: Fehlanzeige. So bleibt am Ende der Proteste vieles ungeklärt.
Anna-Lena Koschig, FES Bukarest
Italien
Durch ganz Europa gingen die Bilder von den hunderten Traktoren auf dem Champs Élysées in Paris, vor dem Brandenburger Tor in Berlin oder im Brüsseler Europaviertel. Und Rom? Auch in Italiens Hauptstadt rollten letzte Woche Traktoren am Kolosseum vorbei – doch es waren gerade einmal vier an der Zahl, nicht 400. Dabei hatten die Bilder der Proteste, erst in Deutschland, dann in Frankreich, auch Italiens Landwirte elektrisiert. In den letzten drei Wochen machten sie mit zahlreichen Aktionen quer durchs Land, von der Lombardei im Norden, über die Toskana oder die Abruzzen in Mittelitalien, bis hinunter nach Sizilien, immer wieder mobil. So blockierten Traktoren zum Beispiel den Hafen von Cagliari auf Sardinien.
Doch sie suchten nicht die Konfrontation mit der Staatsgewalt. Zu echten Verkehrsblockaden kam es nie, und selbst im Hafen von Cagliari begnügten sich die Bauern damit, den LKW-Verkehr hin zu den Fähren zu verzögern, ohne ihn jedoch zu stoppen, während am letzten Freitagabend einige hundert Traktoren auf der Ringautobahn Roms in Kolonne fuhren, sich aber brav auf der rechten Spur hielten. Es ist ein Protest, der auffallen will, ohne bei der breiten Bevölkerung allzu sehr anzuecken – und bisher ist dieses Kalkül aufgegangen. Abend für Abend sind die Sprecher des Bauernprotests in allen TV-Nachrichten zu sehen, Regierungs- und Oppositionsparteien diskutieren über ihre Anliegen.
Es sind allerdings Forderungen, die seltsam diffus bleiben, auch weil die gegenwärtige Welle des Protests von mehreren Basiskomitees organisiert wird, die sich eigentlich nur in der Ablehnung der großen Organisationen – vorneweg des mächtigen Bauernverbands Coldiretti und des Verbands der landwirtschaftlichen Großunternehmen Confagricoltura – einig sind.
Es ist ein Protest, der auffallen will, ohne bei der breiten Bevölkerung allzu sehr anzuecken.
Vorneweg wird einerseits die Rechtsregierung in Rom unter Ministerpräsidentin Giorgia Meloni dafür kritisiert, dass sie zunächst die EU-Richtlinie, nach der jährlich vier Prozent der Ackerflächen zur Regenerierung brachliegen sollten, umsetzen wollte. Diese Norm wurde jedoch schon in Brüssel abgeräumt. Damit bleibt eine weitere Beschwerde Richtung Rom: Die Regierung hatte 2024 eine Steuererleichterung gestrichen, wonach der Katasterertrag von Landwirtschaftsflächen nicht in die Berechnung der Einkommenssteuer einfließt. Hier rudert die Regierung gegenwärtig zurück – doch effektiv geht es pro Hof nur um wenige hundert Euro.
Im Vordergrund steht denn auch andererseits das Klagen über Brüssel, das mit seinem Green Deal den Bauern das Leben sauer mache. Noch stärker aber beschweren sich die Landwirte in allen Interviews über das Missverhältnis zwischen ihren bescheidenen Erlösen und den Preisen, die dann die Endverbraucher zu entrichten haben. So erhalten sie für einen Liter Milch 50 Cent, während am Ende der Kette die Milch für zwei Euro und mehr über die Ladentheke geht.
Dafür bekommen sie reichlich Zuspruch, auch aus der Politik. Die Regierung Meloni hat sich seit ihrem Amtsantritt im Oktober 2022 als Alliierte der Bauern in Szene gesetzt, und der Vorsitzende des Bauernverbands Coldiretti, Ettore Prandini, pflegt engste Kontakte zum Landwirtschaftsminister. Doch außer der Rücknahme der gerade beschlossenen Erhöhung bei der Einkommenssteuer verspricht die Regierung wenig. Trösten können sich die Protestierenden deshalb bisher vor allem mit dem großen Zuspruch der öffentlichen Meinung: Etwa 80 Prozent der Italienerinnen und Italiener äußern Sympathie für die Proteste.
Dem radikalen Flügel im Protestlager – der auch zur extremen Rechten offen ist – genügt das allerdings nicht. Er will den Druck jetzt erhöhen und kündigt für den 15. Februar eine Massendemonstration mit 20 000 Menschen in Rom an, begleitet nicht mehr von vier, sondern von stolzen 15 Traktoren.
Michael Braun, FES Rom