Die Folgen der fortschreitenden Automatisierung und Digitalisierung werden nahezu alle Erwerbstätigen in den hoch entwickelten Volkswirtschaften zu spüren bekommen – einige jedoch stärker als andere. Denjenigen, die »nette Jobs« haben, um mit Maarten Goos und Alan Manning zu sprechen, wird es gut gehen: Sie werden Roboter oder diverse digitale Anwendungen entwickeln und bedienen und den Dienstleistungsbranchen, etwa dem Finanzwesen, enorme Zugewinne bescheren. Denjenigen aber, die nach Goos und Manning »lausige Jobs« haben – etwa in der industriellen Fertigung, im Einzelhandel, im Liefergewerbe oder in den normalen Bürotätigkeiten – wird es weniger gut ergehen, denn sie werden unter schlechter Bezahlung, befristeten Verträgen, prekären Arbeitsverhältnissen und Jobverlust leiden. Die wirtschaftliche Ungleichheit in der Gesamtgesellschaft wird vermutlich zunehmen, ebenso wie die Forderungen nach höheren Staatsausgaben für diverse Sozialleistungen – während gleichzeitig die Mittel für die Deckung dieser Ausgaben wegen der sinkenden Steuerleistung einer schrumpfenden Erwerbsbevölkerung immer knapper werden.

Diese Entwicklungen werden den modernen Sozialstaat in die Krise führen und seine Finanzierung immer schwieriger machen. Verschärft wird die Lage durch die sich wandelnden Beschäftigungsverhältnisse. Die Sozialversicherungssysteme des 20. Jahrhunderts wurden für die Risiken von Menschen entwickelt, die in einer Volkswirtschaft der Massenindustrialisierung arbeiteten – in der es für alle möglichen verschiedenen Arbeiterinnen und Arbeiter grundsätzlich jede Menge Jobs gab. Man konnte davon ausgehen, dass fast alle Erwachsenen kontinuierlich beschäftigt waren, Einkünfte hatten und Steuern bezahlten und dass sich der Staat um die Arbeitsunfähigen kümmerte – die Jungen, Alten, Kranken, Behinderten und so weiter. Die Sozialversicherung, die in Europa vom Staat und in den USA vom Markt bereitgestellt wurde, sollte denen, die stabile Jobs hatten, Einkommenssicherheit garantieren.

In der digitalen Wirtschaft des 21. Jahrhunderts ist jedoch die Beschäftigung weniger gleichförmig, weniger kontinuierlich und weniger gut entlohnt. Die Sozialpolitik wird sich deshalb um die Bedürfnisse nicht nur derer kümmern müssen, die sich außerhalb des Arbeitsmarktes befinden, sondern auch vieler, die beschäftigt sind. So wie derzeit die Wirtschaft von der technologischen Entwicklung umstrukturiert wird, so wird auch der Sozialstaat eine Umstrukturierung nötig haben, die ihn an die veränderten Bedingungen anpasst.

 

Das neue Arbeitsleben

Mit neuen Techniken kann man nicht nur vorhandene Aufgaben besser und billiger erledigen. Sie ermöglichen es auch, dass neue Geschäftsmodelle entwickelt und zuvor nicht wahrgenommene Bedürfnisse befriedigt werden. Diejenigen, die solche Modelle aufspüren und entwickeln – die Unternehmer – sind die Könige dieser neuen Welt. Sie setzen ihre Talente dafür ein, auf Kunden zu hören, ihre unerfüllten Wünsche zu erkennen und Unternehmen aufzubauen, die diese Wünsche erfüllen. In einem solchen Unterfangen ist die digitale Technik ein Mittel zum Zweck, mit deren Hilfe das unternehmerische Handeln angepasst und abgestimmt, die Rendite für das investierte Kapital erhöht werden kann. Software und Roboter übernehmen dabei nicht alle Arbeiten; Menschen spielen auch weiterhin eine wichtige Rolle. Doch oft verändern sich die Rahmenbedingungen der von den Menschen verrichteten Arbeit. Stabile Langzeitbeschäftigungsverhältnisse in Routinejobs sind häufig nicht mehr nötig, und die formelle und informelle Kooperation in zeitlich befristeten Projekten wird eher zur Norm.

Auch die Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben verschwimmt zusehends. Die Arbeit kann fallweise und überall verrichtet werden, und in der so genannten Share Economy finden alle möglichen Transaktionen außerhalb der üblichen Unternehmenskanäle auf direktem Weg statt. Menschen, die keine stabilen Arbeitsverhältnisse mit festem Einkommen mehr finden, suchen nach anderen Einkunftsquellen und bieten ihre Dienste auf den großen Vermittlungsplattformen der On-Demand Economy an. Auf diesen rasch wachsenden Plattformen kann jeder etwas verkaufen (eBay), ein Zimmer vermieten (Airbnb) oder eine Mitfahrgelegenheit anbieten (BlaBlaCar).

 

Warum also bedarf es einer neuen Sozialpolitik?

Warum überlassen wir die Verteilung der Erwerbsbevölkerung auf die neuen Tätigkeiten nicht einfach dem unternehmerischen Handeln? Zum einen geht das nicht, weil dieser schönen neuen Welt diverse rechtliche und regulatorische Hindernisse im Weg stehen, die genau deshalb errichtet wurden, damit das Leben eben nicht vollständig den Bedingungen des Marktes unterstellt wird. Zum andern gibt es neben vielen Chancen eben auch jede Menge Gefahren. So ist beispielsweise Innovation die Währung des digitalen Imperiums, und Innovation geht häufig mit Scheitern einher. Die digitale Wirtschaft ist nicht nur dynamisch, sondern auch unbeständig. Nur wenige Start-ups finden ein brauchbares Geschäftsmodell, geschweige denn einen nachhaltigen Markt. Neue Unternehmen tauchen aus dem Nichts auf, stürzen jedoch oft ebenso rasch wieder ab, wie sie aufgestiegen sind. Manch ein Unternehmer, der an der Spitze einer solchen Firma steht, bezieht aus seiner kurzen Zeit an der Sonne vielleicht reichen Lohn, doch das gilt oft nicht für seine Angestellten weiter unten in der Nahrungskette. Sie tragen annähernd dasselbe Risiko, gehen jedoch unter, ohne an den überdimensionierten Gewinnen teilgehabt zu haben. In der digitalen Wirtschaft erlangen daher wenige Glückliche Sicherheit und ansehnliche oder kontinuierliche Einkünfte, während viele Unglückliche, deren Arbeitgeber pleitegehen, nach neuen Möglichkeiten suchen müssen, um über die Runden zu kommen. Viele der Sozialleistungen heute, etwa Renten, orientieren sich an der alten Wirtschaft, sodass Menschen, die den Übergang in die neue Wirtschaft vollziehen, große Opfer bringen müssen.

Wenn sich die Sozialpolitik nicht weiterentwickelt, werden Automation und Digitalisierung die Ungleichheit daher vergrößern, und viele Beschäftigte sind dann schlechter dran als vorher. Eine Sozialpolitik, die an den richtigen Stellen reformiert wird, kann dagegen die Ungleichheit verringern, die Beschäftigten schützen und sogar die Schaffung von Arbeitsplätzen fördern. Die Folge ist, dass die Erwerbstätigen in der digitalen Welt gestärkt werden, die Firmen von der gesteigerten Produktivität der Erwerbsbevölkerung profitieren und der Staat seine Relevanz und Effektivität unter Beweis stellt.

 

Die Suche nach Sicherheit

Einige Aufgaben, die die Sozialpolitik künftig lösen muss, sind traditioneller Art, etwa Gesundheitsfürsorge, Alterssicherung und Altenbetreuung. Andere sind eher neu. Erschwingliche Wohnungen beispielsweise werden voraussichtlich ein zunehmend brisantes Thema sein, da die Digitalisierung der Wirtschaft das ökonomische Handeln weiter in den Großstädten konzentriert und die Wohnraumknappheit dort verschärft. Der Ökonom Enrico Moretti schreibt in The New Geography of Jobs, der Wohnungsmarkt im Silicon Valley lasse ahnen, wie schwierig es für die meisten Menschen sein werde, eine anständige Unterkunft in der Nähe der dichten Innovationszentren zu finden, in denen die neuen Jobs künftig angesiedelt sind.

Die größte Herausforderung jedoch wird es sein, auf die große Verbreitung kurzzeitiger Beschäftigungsverhältnisse zu reagieren, denn ein Großteil der Beschäftigten wird relativ häufig den Arbeitsplatz wechseln und zwischendurch vorübergehend arbeitslos sein. Heute ist ein häufiger Jobwechsel für viele Menschen mit Angst oder Scham verbunden, doch das liegt nur an mittlerweile überkommenen Vorstellungen aus der alten Wirtschaft. Im 21. Jahrhundert werden stabile langjährige Beschäftigungsverhältnisse mit einem einzigen Arbeitgeber nicht mehr die Regel, Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung keine seltene Ausnahme mehr sein. Häufige Jobwechsel werden üblich sein, und die Erwerbstätigen werden in verschiedenen Stadien ihres Arbeitslebens mal Lohnempfänger, mal Freiberufler, mal Unternehmer, mal Arbeitslose sein.

Vor dem Hintergrund der Sozialpolitik des 20. Jahrhunderts wäre eine solche berufliche Laufbahn eine Katastrophe, weil viele Leistungen an eine bestimmte Beschäftigungsart gebunden sind und viele Erwerbstätige ohne einen solchen Job durch die Maschen des sozialen Netzes fallen würden. Die Sozialpolitik des 21. Jahrhunderts hat daher die Aufgabe, aus der Not eine Tugend zu machen und Regelungen zu entwickeln, die den Beschäftigten trotz der enormen Schwankungen in ihrer Erwerbslaufbahn ein erfülltes und erfolgreiches Leben ermöglichen.

 

Ein bedingungsloses Grundeinkommen löst die Probleme nicht

Ein oft gepriesener sozialpolitischer Ansatz ist die Bereitstellung eines universellen bedingungslosen Grundeinkommens durch den Staat. Nach dieser Idee, die beispielsweise vom Politikökonomen Philippe Van Paijs propagiert wird, wird jedem Bürger und jeder Bürgerin ein Basiseinkommen ausgezahlt, das die grundlegenden Bedürfnisse abdeckt. So hätten alle Menschen die Freiheit, sich den Job auszusuchen und das Leben zu führen, das sie sich wirklich wünschen. Solch ein Ansatz würde allerdings zu kurz greifen und wäre zudem extrem teuer. Am Anfang des Monats hätten zwar alle Menschen etwas Geld in der Tasche, doch eine anständige Gesundheitsfürsorge oder eine Unterkunft nach eigener Wahl wäre damit nicht sichergestellt. Wenn man einfach Geld in die Nachfrageseite des Marktes steckt, erhält man nicht unbedingt mehr und bessere Ergebnisse auf der Angebotsseite. Somit könnte eine verbesserte Unterstützung in der einen oder anderen Form zwar durchaus ein notwendiges Puzzlestück sein, jedoch wäre die Einführung eines garantierten Grundeinkommens keine umfassende oder wirksame sozialpolitische Reform.

 

„Flexicurity“ als Lösung

Ein anderer möglicher Ansatz ist die staatliche Bereitstellung nicht nur von Einkommen, sondern auch von Jobs. Die Schaffung staatlich finanzierter Arbeitsplätze war ein wichtiger Bestandteil des New Deal in den Vereinigten Staaten und ähnlicher Programme anderswo, und auch heute ist es in einigen Fällen durchaus sinnvoll, dass öffentliche Stellen die Jobs, die der Allgemeinheit nützen, zumindest finanzieren, zum Beispiel in der Betreuung von Kindern und Alten, in der Bildung und Ausbildung. Doch der Staat hat weder die Mittel noch die Flexibilität, unternehmerisches Handeln in der Privatwirtschaft zu ersetzen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und zu verwirklichen, die in der digitalen Wirtschaft Arbeitsplätze in nennenswerter Zahl schaffen könnten.

Der beste Ansatz für eine sozialpolitische Reform wäre die so genannte »Flexicurity«, ein Modell, das sich in den skandinavischen Ländern, insbesondere Dänemark und in den Niederlanden, seit langem großer Beliebtheit erfreut. Bei der Flexicurity – das Wort ist ein Kürzel aus flexibility und security, Flexibilität und Sicherheit – wird die Sozialfürsorge von den Jobs getrennt. Wenn der Staat den Bürgerinnen und Bürgern Gesundheitsfürsorge, Wohnung, Bildung und Ausbildung auf einer universellen von ihrem Beschäftigungsstatus unabhängigen Basis garantieren könne, so die Überlegung, hätten die Menschen nicht so viel Angst vor einem Arbeitsplatzwechsel oder –verlust. Dies wiederum erlaubt es dem Staat, die Arbeitsmärkte zu deregulieren und die Entscheidung über die Einstellung und Entlassung von Beschäftigten den Firmen zu überlassen, die sie nach wirtschaftlichen Überlegungen treffen. Damit wachsen Effizienz, Dynamik und Produktivität, und zwar nicht auf dem Rücken der Beschäftigten, sondern ausgehend von ihren Bedürfnissen.

Der Sozialstaat ist 20. Jahrhunderts entwickelte sich aus dem Trauma der Großen Depression, als klar wurde, dass man die breite Bevölkerung vor den Härten der freien Märkte schützen muss, um die Effizienz und die demokratische Legitimierung des Kapitalismus zu bewahren. Der Ansatz der Flexicurity geht noch einen Schritt weiter und entspricht der eher sozialdemokratisch gefärbten Vorstellung, nach der Staaten und Märkte gemeinsam ein Gemeinwohl schaffen können und sollten, das eine gesunde Wirtschaft mit einer gesunden Gesellschaft verbindet.

 

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der Ausgabe Juli/August des Foreign Affairs Magazine und auf ForeignAffairs.com.