Unter der Führung von Ministerpräsidentin Mette Frederiksen hat die sozialdemokratische Minderheitsregierung in Coronazeiten eine glückliche Hand bewiesen. Die Regierung erfreut sich extrem hoher Beliebtheitswerte. Eine gemittelte Auswertung der jüngsten Umfragen von Anfang März 2021 ergab, dass die Zustimmung der Wählerinnen und Wähler zur Sozialdemokratischen Partei heute 6,8 Prozent höher liegt als bei der Wahl vor 21 Monaten.
Die rechten Oppositionsparteien schaffen es nicht, an einem Strang zu ziehen. Es gelingt ihnen nicht, eine überzeugende Alternativstrategie im Kampf gegen Corona zu formulieren, wenn man einmal davon absieht, dass sie kürzlich gemeinsam eine schnellere Lockerung der Einschränkungen angeregt haben. Trotz um sich greifender Coronamüdigkeit findet der vorsichtige Kurs der Regierung nach wie vor breite Unterstützung, und für die meisten Beschlüsse bekam die Regierung im Parlament eine satte Mehrheit. Die vorsichtige Strategie ist recht erfolgreich. Die Zahl der Todesopfer im Zusammenhang mit Covid-19 ist vergleichsweise niedrig – ungefähr halb so hoch wie in Deutschland.
Die Coronapandemie ist eine Herausforderung, die schlaglichtartig beleuchtet, wie unterschiedliche politische Systeme in schweren Zeiten agieren. Die sozialdemokratische Regierung hat die dänische Tradition der Dreierverhandlungen – also Verhandlungen zwischen Regierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern – und des Sozialkorporatismus neu belebt. Viele Fachleute hatten diese Tradition schon so gut wie aufgegeben.
Bis Februar 2021 hat die Regierung während der Coronakrise bereits 15 „trilaterale“ Vereinbarungen mit Gewerkschaften und Arbeitgebern bzw. Unternehmensverbänden geschlossen. Zumindest der Theorie nach stoßen politische Maßnahmen, auf die sich alle wichtigen wirtschaftlichen Interessengruppen verständigt haben, bei der Opposition nur selten auf Ablehnung. So hat denn auch das Parlament, wenn es als Gesetzgeber gefragt war, die Dreiervereinbarungen im Großen und Ganzen durchgewinkt. In der Wirtschaftspolitik hat die amtierende Regierung endlich vom orthodoxen Sparkurs abgelassen, den die Vorgängerregierungen nach der Finanzkrise von 2008 einschlugen.
In der ganzen westlichen Welt wurde die ökonomische Diskussion jahrzehntelang von einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik und verschärften Arbeitsanreizen bestimmt.
Die Regierung beschloss eine Reihe wichtiger Entlastungsmaßnahmen: ein umfangreiches Lohnausgleichspaket, mit dem Firmen einen Großteil ihrer Lohnkosten erstattet bekommen, wenn sie keine Beschäftigten entlassen; ein Kostenerstattungsprogramm für Kleinunternehmen und Selbstständige; eine Verlängerung des Arbeitslosengeldbezugs; ein befristetes Teilzeitmodell, mit dem Arbeitnehmende für bis zu 50 Prozent ihrer Arbeitsstunden eine Arbeitslosenunterstützung bekommen, die 20 Prozent höher ist als der übliche Höchstsatz, und besondere Anreize, die es für Unternehmen attraktiver machen, Auszubildende und Praktikanten einzustellen, und die Erwerbslose motivieren sollen, eine Aus- oder Weiterbildung anzufangen. Außerdem arbeiten die meisten Beschäftigten im öffentlichen Dienst im Homeoffice und brauchen nicht um ihren Arbeitsplatz zu bangen.
Mit diesen Maßnahmen sollte vor allem verhindert werden, dass die Arbeitslosenzahlen in die Höhe schnellen, dass sich bei den Verbrauchern Pessimismus breitmacht und dass die Ungleichheit sich verschärft. Diese Maßnahmen waren zumindest teilweise erfolgreich, auch wenn die Coronakrise die Menschen mit niedrigerem Einkommen härter trifft als die einkommensstärkeren Bevölkerungsgruppen. Nach Zahlen von Statistics Denmark stieg die unbereinigte Arbeitslosenquote von 3,7 Prozent im Januar 2020 auf 4,4 Prozent im Januar 2021. Während in der EU insgesamt das BIP im Jahr 2020 um 6,3 Prozent zurückging, schrumpfte die dänische Volkswirtschaft nur um 3,5 Prozent.
Der Bruch mit der neoliberalen Wirtschaftsorthodoxie hat noch andere Auswirkungen. In der ganzen westlichen Welt wurde die ökonomische Diskussion jahrzehntelang von einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik und verschärften Arbeitsanreizen bestimmt. Es ging vor allem darum, Steuern zu senken – oftmals für die Wohlhabenden – und die sozialstaatliche Unterstützung durch Leistungskürzungen und strengere Anspruchsregeln zurückzufahren.
Die jetzige dänische Regierung ist dabei, mit neuen Ideen das Arbeitsangebot und die Produktivität zu erhöhen. Sie setzt dabei auf mehr Inklusion und Weiterqualifizierung. Eine neu eingerichtete Expertenkommission soll jetzt politische Instrumente entwickeln, um diese Agenda weiter voranzutreiben. Bislang hat die Regierung noch keine groß angelegten Initiativen auf den Weg gebracht, um die Einkommensungleichheit abzubauen – abgesehen von den Investitionen in öffentliche Fürsorgeleistungen und der Einführung einer Vorruhestandsregelung für Menschen, die dem Arbeitsmarkt länger als 42 Jahre zur Verfügung standen.
Die Regierung hat die markige Rhetorik beibehalten, aber nicht viele neue einwanderungspolitische Initiativen gestartet.
Außerhalb Dänemarks ist die sozialdemokratische Regierung des Landes wohl hauptsächlich für ihren harten Kurs in der Einwanderungspolitik bekannt. Dieser harte Kurs war einer der Gründe, warum die Sozialdemokratische Partei 2019 so viele Stimmen von der Dänischen Volkspartei zurückerobert hat. Die Regierung hat die markige Rhetorik beibehalten, aber nicht viele neue einwanderungspolitische Initiativen gestartet – was daran liegen dürfte, dass immer weniger Einwanderer nach Dänemark kommen.
Kürzlich schlug der Innenminister allerdings für den Anteil nicht-westlicher Immigranten in Wohnvierteln eine 30-Prozent-Quote vor, die bis 2031 erreicht werden soll. Diese Zielvorgabe, mit der die Entstehung von „Parallelgesellschaften“ verhindert werden soll, ist Teil einer Agenda, mit der die Regierung für eine stärkere Durchmischung der Stadtteile sorgen will.
Zeitgleich regte die Regierung an, den abwertenden Begriff „Ghetto“ aus dem Gesetzestext zu streichen. Auch wenn es sich bei den neuen Vorstößen um Symbolpolitik handelt, die wahrscheinlich wenig konkrete Auswirkungen haben wird, zeigen diese und andere Initiativen, dass die Regierung an ihrer harten Haltung in der Immigrationspolitik festhält. Damit will sie das Thema Einwanderung unter Kontrolle halten, denn es hat ein großes Spaltpotenzial.
Trotz der Coronakrise stehen in Dänemark die Bekämpfung des Klimawandels und die Sozialpolitik ganz weit oben auf der politischen Tagesordnung.
Trotz der Coronakrise stehen in Dänemark die Bekämpfung des Klimawandels und die Sozialpolitik ganz weit oben auf der politischen Tagesordnung. Als die sozialdemokratische Regierung im Juni 2019 das Ruder übernahm, vereinbarte sie mit den Parteien, die sie unterstützen, ein ehrgeiziges Klimaziel: Bis 2030 soll der CO2-Ausstoß um 70 Prozent gesenkt werden. Das Parlament stimmte dem Klimagesetz im Juni 2020 mit überwältigender Mehrheit zu.
Die Regierung will den ökologischen Umbau unbedingt so gestalten, dass es sozial gerecht zugeht, Arbeitsplätze für alle entstehen und Menschen mit niedrigerem Einkommen steuerlich nicht übermäßig belastet werden. Die Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände unterstützen diesen Kurs ebenso wie die Parteien links der Sozialdemokraten. Kurzfristig wird man allerdings wohl den einen oder anderen Kompromiss machen müssen zwischen der Stärkung des Sozialstaats und politischen Maßnahmen zum Abbau von Ungleichheit auf der einen Seite und Klimaschutzinvestitionen und Öko-Besteuerung auf der anderen Seite.
Eine ganze Reihe von Klimaschutzmaßnahmen wurde bereits mit breiter politischer Zustimmung eingeführt – zum Beispiel Steuerermäßigungen für emissionsarme und emissionsfreie Autos und eine höhere Besteuerung von Heizungen, die mit fossilen Brennstoffen betrieben werden. Im vergangenen Monat wurde beschlossen, zwei künstliche Inseln für Windenergie zu bauen, die 5 Millionen Haushalte mit Strom versorgen können. In dieses Vorhaben werden öffentliche Hand und Privatwirtschaft zusammen 28 Milliarden Euro investieren. Allein mit diesen bereits beschlossenen Maßnahmen werden die CO2-Emissionen bis 2030 um 54 Prozent sinken. Um das Klimaziel zu erreichen, sind jetzt also Initiativen für die noch fehlenden 16 Prozent gefragt.
Klimaschutzfragen können ein ähnliches Spaltpotenzial entwickeln wie einst die Einwanderungsfrage. Auch die Bildungskluft kann in der Klimadiskussion wieder aufbrechen.
Dennoch üben Expertinnen und verschiedene politische Parteien Kritik an der Regierung. Sie habe keinen wirklich umfassenden Plan vorgelegt, wie sie ihre ambitionierten Klimaziele zeitgerecht erreichen will, und blockiere vor allem die Einführung einer generellen CO2-Steuer. Noch in diesem Jahr soll ein Expertengremium Vorschläge machen, wie eine solche CO2-Steuer aussehen könnte.
Im Oktober 2020 führte unser Thinktank Cevea eine Erhebung unter dänischen Wählerinnen und Wählern durch. Wir wollten wissen, was ihnen wichtiger ist: Investitionen in den Wohlfahrtsstaat oder Investitionen in den Klimaschutz. Die Befragten sollten angeben, ob die Politikerinnen und Politiker a) „mehr für die Lösung der Klimaprobleme unternehmen sollen, auch wenn dies zulasten des Sozialstaats geht“ oder b) „eine zuverlässige sozialstaatliche Versorgung gewährleisten sollen, auch wenn dies zulasten des Klimaschutzes geht“. Wenn die Alternative als eindeutige Entweder-oder-Frage formuliert wird, zeigt sich ein deutlicher Prioritätenunterschied zwischen Menschen mit höherem und Menschen mit niedrigem Bildungsstand.
Mehr als 60 Prozent der Geringqualifizierten einschließlich der Facharbeiter finden Investitionen in den Sozialstaat wichtiger, auch wenn das weniger Klimaschutz bedeutet. Die Befragten mit dem höchsten Bildungsniveau sprechen sich zu zwei Dritteln für konsequentere Klimaschutzmaßnahmen auch zulasten der sozialstaatlichen Versorgung aus.
Ihre ambitionierten Klimaziele und die Investitionen in den Wohlfahrtsstaat unter einen Hut zu bringen, bedeutet für die dänische Regierung einen echten Drahtseilakt. Für sozialdemokratische Parteien – in Dänemark und ganz Europa – kommt es entscheidend darauf an, dass der ökologische Umbau sozial gerecht gestaltet wird und nicht zum Spaltpilz gerät – weder zwischen Jung und Alt noch zwischen Menschen mit höherem Bildungsniveau und Menschen mit niedrigerem Bildungsniveau.
Wenn die sozialdemokratischen Parteien an dieser Aufgabe scheitern, werden sie möglicherweise nicht nur erleben, dass ihre Wählerbasis erodiert. Sie werden auch mit ihren politischen Verbündeten und Koalitionspartnern in Konflikt geraten. Klimaschutzfragen können ein ähnliches Spaltpotenzial entwickeln wie einst die Einwanderungsfrage. Auch die Bildungskluft kann in der Klimadiskussion wieder aufbrechen. Die drei Ziele Klimaschutz, Sozialstaat und soziale Gerechtigkeit miteinander in Einklang bringen – so lautet in den kommenden Jahren das Erfolgsrezept für die Sozialdemokratie. Sobald Corona hinter uns liegt.
Aus dem Englischen von Andreas Bredenfeld