Vor kurzem sah es so aus, als ob sich die gesamte Arabische Welt auf die größte demokratische Transformation in ihrer Geschichte zu bewege. Was im Westen zumeist als „Arabischer Frühling“ beschrieben wurde ist mittlerweile in einen eiskalten Winter der Unzufriedenheit umgeschlagen.

Ist das nun das Ende eines kurzlebigen Traumes oder nur eine weitere schwierige Phase in einem graduellen Prozess und als solcher vielleicht vergleichbar mit der historischen Entwicklung in Europa und Lateinamerika? Die Geschichte wird diese Frage beantworten. Doch schon heute sind wichtige Schlussfolgerungen aus dieser ersten Runde der arabischen Revolutionen zu ziehen.

Erstens: Die Revolutionen haben einen Kampf zwischen traditionellen autoritären politischen Systemen und Oppositionskräften ausgelöst, die sich das Versprechen der Demokratie auf ihre Fahnen geschrieben haben. Nach dem Zusammenbruch der alten Regime entwickelten sich diese Auseinandersetzung in einen Kampf zwischen zwei und zuweilen auch mehreren traditionellen Kräften, die sich ironischerweise genau dem Einparteiensystem und vergleichbaren autoritären Rollen verschrieben, gegen die sie sich ursprünglich in Stellung gebracht hatten. In jedem einzelnen Fall wurden demokratische Kräfte rasch marginalisiert. So ist das bis heute geblieben.

Der überraschend schnelle Zusammenbruch einzelner Autokraten in der Arabischen Welt wurde fälschlicherweise mit dem Zusammenbruch der jeweiligen Gesamtregime gleichgesetzt.

Zweitens: Der überraschend schnelle Zusammenbruch einzelner Autokraten in der Arabischen Welt wurde fälschlicherweise mit dem Zusammenbruch der jeweiligen Gesamtregime gleichgesetzt. In vielen Staaten konnten sich die traditionellen System bald wieder die Macht sicher, und zwar in einem durchaus gewaltsamen Prozess.
 
Drittens: Die traditionellen Kräfte in der Arabischen Welt sind fest dazu entschlossen, sich in der Konfrontation mit den entstehenden demokratischen Kräften über Ländergrenzen hinweg zu unterstützen.

Dabei können diese traditionellen Kräfte (viertens) eine wahrhaftige demokratische Transformation schon deshalb nicht anführen, da ihnen die innere Fähigkeit abgeht, grundsätzliche demokratische Prinzipien zu akzeptieren. Denn es existiert ein enormer Gegensatz zwischen tatsächlicher demokratischer Überzeugung, und dem Versuch Demokratie als Idee zu instrumentalisieren, um an der Macht zu bleiben. Hierzu zählt auch der Versuch, lediglich den Autoritarismus einer Partei durch den einer anderen zu ersetzen.

Fünftens: Eine wirkliche demokratische Entwicklung in der Arabischen Welt ist unmöglich, solange die Militär- und Sicherheitsapparate der Autorität nicht demokratisch gewählten Regierungen unterstellt werden. So lange wie der Militärapparat oder die Sicherheitsdienste in einer Gesellschaft die einzigen stabilisierenden Faktoren darstellen, wird eine demokratische Entwicklung unmöglich. Die Erfordernisse der wie auch immer gearteten „nationale Sicherheit“ wird immer wieder als Rechtfertigung benutzt, um Übergriffe zu rechtfertigen.

Es existiert ein enormer Gegensatz zwischen tatsächlicher demokratischer Überzeugung, und dem Versuch Demokratie als Idee zu instrumentalisieren, um an der Macht zu bleiben.

Sechstens: Eine demokratische Revolution kann nicht erfolgreich sein, wenn es nicht gelingt, das System des Nepotismus und Klientelismus zu unterminieren, das dem Staatsapparat vieler Gesellschaften in der Arabischen Welt inhärent ist. Diese Systeme werden genutzt, um politische Loyalitäten gegen demokratische Entwicklungen in Stellung zu bringen.

Die Tatsache, dass der Kampf zwischen Demokratie und Autoritarismus sich in einigen Ländern rasch in einen Kampf zwischen säkularen und religiösen Autokraten verwandelte, führt zu der Frage, wie stark die Bereitschaft arabischer Gesellschaften für ein wirklich demokratisches System tatsächlich ist. Diese führt nicht zuletzt zu der Frage, wie demokratische Graswurzelbewegungen in der Arabischen Welt unterstützt werden können.

Wie die Demokratie unterstützen?

In den Entwicklungen der vergangenen Jahre ist schmerzhaft klar geworden, dass verbale westliche Unterstützung für demokratische Werte und Prinzipien immer wieder von ökonomischen und geopolitischen Interessen ausgestochen werden. Bekanntlich wurden repressive und autokratische Systeme vom Westen über Jahre hinweg nicht nur toleriert, sondern auch unterstützt. Auch deshalb ist es kein Zufall, dass islamistische Bewegungen überall dort die Wahlen gewannen, wo sich die Gelegenheit dazu bot.

Diese Erfolge sind nicht nur auf traditionell starke religiöse Strukturen zurückzuführen, sondern auch und sogar hauptsächlich darauf, dass die islamistischen Bewegungen die Unterstützung einer wohlorganisierten internationalen politischen Bewegung genossen. So kam es letztlich zu einem direkten Zusammenprall eines klientilistischen Systems mit einem anderen.

Ungeachtet dessen, wie pessimistisch die Situation heute mit dem erstarken autoritärer Sicherheitssysteme oder dem totalen tribalen Chaos und schrecklichen Bürgerkriegen erscheint: Die Notwendigkeit für demokratische Revolutionen und demokratische Transformationen in der Arabischen Welt ist heute größer als je zuvor.

Die Notwendigkeit für demokratische Revolutionen und demokratische Transformationen in der Arabischen Welt ist heute größer als je zuvor.

Die Arabische Welt kann sich vom historischen Entwicklungstrend in Richtung auf Demokratie nicht langfristig abkoppeln. Und sie wird keine autoritären Systeme aufrechterhalten können, die ökonomische Entwicklungen blockieren. Schon gar nicht in einer Welt, die von so rapidem wissenschaftlichem und technologischem Fortschritt geprägt wird wie die Gegenwart.

Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass die Ursachen der arabischen Revolutionen heute immer noch präsent sind. Hohe Arbeitslosigkeitsraten, gerade unter jungen und gut ausgebildeten Menschen, ein Mangel an persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten und die Armut einer Mehrheit der Bevölkerung, politische und ökonomische Korruption, repressive politische Systeme, willkürliche Verhaftungen und die Unterdrückung politischer Rechte, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit, sind an der Tagesordnung. All das ist in zahllosen Berichten über menschliche Entwicklung der Vereinten Nationen beschrieben, doch sie wurden fast ausnahmslos ignoriert.

Jeder Mensch kann einige Zeit an der Nase herum geführt werden – und bei einigen Menschen ist dies auch länger möglich. Aber niemand ist in der Lage, alle Menschen pausenlos hinters Licht zu führen.

Die Manipulation der Medien und der Missbrauch von Geldern stellt nach wie vor die Lebensquelle zahlreicher Regime in der Arabischen Welt dar. Das kann nicht ewig so weitergehen. Sicher, jeder Mensch kann einige Zeit an der Nase herum geführt werden – und bei einigen Menschen ist dies auch länger möglich. Aber niemand ist in der Lage, alle Menschen pausenlos hinters Licht zu führen. Das Verstecken der Wahrheit wird bald nicht mehr möglich sein, insbesondere nicht im Zeitalter der Informationsrevolution und der rasanten Entwicklung der sozialen Medien.

Vor diesem Hintergrund haben die progressiven und wirklich demokratischen Kräfte in der Arabischen Welt viel zu lernen, aus dem was in den vergangenen drei Jahren geschehen ist. Eine Lektion ist die, das es schlichtweg unmöglich ist, politische Demokratie zu leben, ohne auch die Rechte einer sozialen Demokratie einzufordern. Die sozialen und ökonomischen Probleme können schlicht nicht ignoriert werden. Keine Partei kann erfolgreich sein ohne ein klares soziales und ökonomisches Programm, das die konkreten Bedürfnisse der Menschen berührt.

Zugleich ist klar, dass demokratische Bewegung eben nicht als demokratisch gelten können, wenn Sie aus ideologischen Gründen demokratische Grundrechte einschränken. Alle politischen Kräfte, auch Kräfte des politischen Islam sollten das Recht haben, sich am demokratischen Prozess zu beteiligen, solange sie demokratische Spielregeln befolgen und sich zum demokratischen Machtwechsel bekennen.

All jene, die Übergriffe der Sicherheitsapparate auf das politische Leben tolerieren, werden letztlich einen hohen Preis dafür bezahlen...

All jene, die Übergriffe der Sicherheitsapparate auf das politische Leben tolerieren, werden letztlich einen hohen Preis dafür bezahlen. Nicht nur in Bezug auf ihre eigene Glaubwürdigkeit in den Augen der Öffentlichkeit sondern auch in Bezug auf die eigenen demokratischen Rechte. Denn demokratische Kräfte können nur dann wirklich die Demokratie voranbringen, wenn sie selbst diese Demokratie praktizieren. Hier kann nichts die harte Arbeit von Graswurzel-Bewegungen ersetzen.