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Die geopolitische Bedeutung digitaler Schlüsseltechnologien rückt in den Mittelpunkt eines neuen globalen Konflikts zwischen den USA und China. Der Streit um den chinesischen Technologiekonzern Huawei illustriert diese Situation beispielhaft. Die US-Administration nimmt den chinesischen Telekommunikationsausrüster als trojanisches Pferd einer gegnerischen Regierung wahr, die für fundamental andere Werte steht und der deswegen mit aller Nachdrücklichkeit die Grenzen aufgezeigt werden müssen. Dies geht weit über einen traditionellen „US Containment“-Ansatz hinaus. Vielmehr verfolgen die USA gegenüber China mittlerweile eine „bis hierhin und nicht weiter“-Politik.

Dies wird an einer ganzen Reihe von Entscheidungen deutlich. Hierzu zählen die Unterzeichnung einer Executive Order durch Präsident Donald Trump zur Sicherung der Informations- und Kommunikationstechnologie sowie der Dienstleistungslieferketten vom 15. Mai 2019; die Listung von Huawei auf der Sanktionsliste des US-Handelsministerium vom 16. Mai 2019, der am 21. Juni noch vier weitere chinesische Firmen der Supercomputer-Industrie hinzugefügt wurden. Dieses Vorgehen kommt einem Embargo gegen chinesische Unternehmen im Bereich kritischer Schlüsseltechnologien gleich.

Die chinesische Regierung verwahrt sich gegen derartige protektionistische Maßnahmen und interpretiert den Ausschluss vom US-Markt als einen feindlichen Akt, der in erster Linie gegen die wirtschaftlich und technologisch erfolgreiche Entwicklung des Landes gerichtet sei. Die Auseinandersetzung zwischen den USA und China um Huawei hat folglich eine zutiefst geopolitische Dimension erreicht. Sie steht sinnbildlich für einen fundamentalen Bruch mit der marktwirtschaftlichen Logik und unterstreicht zusätzlich, wie Außenpolitik gezielt mit wirtschaftlichen Druckmitteln betrieben wird. Das Zusammenwachsen der Märkte erscheint vielen heute nicht mehr nur als Chance für den Wohlstand, sondern zunehmend als Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Geopolitik beziehungsweise digitale Geopolitik ist auf dem Vormarsch.

Digitale Geopolitik verbindet zwei gegenläufige Trends der internationalen Politik. Einerseits beruht sie auf der Machtpolitik territorialer Einheiten, andererseits beinhaltet sie dezentrale transnationale Netzwerke.

Digitale Geopolitik verbindet zwei gegenläufige Trends der internationalen Politik. Einerseits beruht digitale Geopolitik auf der Machtpolitik territorialer Einheiten beispielsweise von Nationalstaaten wie den USA und China oder regionalen Akteuren wie der Europäischen Union. Andererseits beinhaltet digitale Geopolitik dezentrale transnationale Netzwerke, bestehend aus Konnektivitäten zwischen nicht-staatlichen Akteuren und multinationalen Unternehmen, Plattformen, Knotenpunkten, Inhalten und Infrastrukturen jenseits der politisch fixierten territorialen Einheiten. Beide Entwicklungen sind nicht neu, werden häufig aber getrennt voneinander diskutiert. Neu ist hingegen die zunehmende Verschränkung beider Trends, die sich auch im Huawei-Fall zeigt; dies offenbart auch die deutliche Macht- und Ordnungsdimension, die Fragen der digitalen Geopolitik immer mehr zugrunde liegt und deshalb unsere besondere Aufmerksamkeit benötigt.

Für die EU wie für Gesamteuropa besteht die Gefahr, zwischen den Großmächten zerrieben zu werden. Der europäische Handel, die Wirtschaft und Produktionsketten sind aufs Engste sowohl mit chinesischen als auch mit US-amerikanischen Technologien verzahnt. Im Unterschied zu den USA ist in Europa jedoch bereits Huawei-Technologie in den 4G-Mobilfunknetzen verbaut; absehbar ist, dass dies künftig auch für den Ausbau des 5G-Netzes der Fall sein wird.

Das Ziel, konstruktive und faire Beziehungen der EU mit China aufzubauen, ist auch Bestandteil der im September 2018 erschienenen EU-Konnektivitätspolitik für Asien. Im März 2019 veröffentlichte die Hohe Vertreterin der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik Federica Mogherini dagegen ein Strategiepapier, das überraschend deutlich Spannungsfelder innerhalb der Beziehungen offenlegte. China wird zwar noch immer als Kooperations- und Verhandlungspartner gesehen, gleichzeitig stufte die EU das Land ausdrücklich als einen wirtschaftlichen Konkurrenten und Systemrivalen ein.

Die italienische Regierung unterlief den Versuch anderer großer Mitgliedstaaten, die Teilnahme an der BRI-Initiative nicht bilateral, sondern als europäischer Block zu verhandeln.

Unberührt von dieser skeptischen Beurteilung des Verhältnisses, die sich auch in den schwierigen Verhandlungen zwischen europäischen Staats- und Regierungschefs und China beim EU-China-Gipfel im April 2019 zeigte, suchen einige Mitgliedstaaten eigenständig die Nähe zu Peking. Als erster G7-Staat unterzeichnete Italien im März 2019 eine Absichtserklärung zur Teilnahme an der Initiative „Neue Seidenstraße“ (BRI). Die italienische Regierung unterlief damit den Versuch anderer großer Mitgliedstaaten, die Teilnahme an der BRI-Initiative nicht bilateral, sondern als europäischer Block zu verhandeln.

Die EU ist sich der wirtschaftlichen und technologischen Abhängigkeit von China durchaus bewusst. Fragen der Industriepolitik, des Marktzugangs und des Datenschutzes sind zentrale Konfliktlinien in den EU-China-Beziehungen. Die EU hat sich aber unlängst gegen den Ausschluss chinesischer Unternehmen vom Binnenmarkt entschieden. Eine Vielzahl von Cyberspionage-Vorfällen gegen europäische Informations- und Kommunikationsstrukturen werden China zugeordnet. Die enge sicherheitspolitische Kooperation mit den USA, auch durch die NATO, könnte dennoch in einer wirtschaftlichen Abkopplung münden.

Eine militärische Nutzung von 5G-Mobilfunknetzen oder Cybersabotagevorfälle gegen digitale Infrastrukturen in Europa würden den Drang nach strategischer Autonomie gegenüber China maßgeblich beschleunigen. Ein solches Szenario könnte im äußersten Fall zu einem globalen technologischen Stellungskrieg führen, bei dem jegliche soziale und technische Verwundbarkeit als mögliches Einfallstor von Unsicherheit auszuschließen wäre. Eine Weltwirtschaftskrise und eine massive globale Aufrüstungsspirale wären die Folge.

Wenn es der EU nicht gelingt, Kooperationsstrukturen mit China in der Cybersicherheit und Industrie 4.0 aufzubauen, ist ein Kollaps digitaler Gemeingüter plausibel.

Wenn es der EU nicht gelingt, sicherheits- und vertrauensbildende Kooperationsstrukturen mit China in der Cybersicherheit und Industrie 4.0 dauerhaft aufzubauen, ist ein zweites, ebenfalls negatives Szenario eines weltweiten „Kollapses von digitalen Gemeingütern“ plausibel. Globale Herausforderungen wie die Sicherung des gesellschaftlichen Friedens und die Schaffung sozialer Gerechtigkeit unter den (Arbeits-)Bedingungen der Digitalisierung werden in diesem Szenario nicht angegangen. Die EU wirft der chinesischen Staatsführung weiterhin vor, eine Industriepolitik zu verfolgen, die systematisch nationale Subventionen für Privat- und Staatsunternehmen fördert, um den heimischen Produzenten im globalen Maßstab Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.

Umgekehrt haben chinesische Unternehmen und Direktinvestitionen in Europa aufgrund der technologischen Abhängigkeiten ein leichtes Spiel. Mitgliedstaaten verfolgen nur noch die Idee eines „Europa der unabhängigen Nationen“ und der Binnenmarkt wird zum Ort eines technologischen Stellvertreterkrieges zwischen den USA und China. Politisches Handeln ist allein auf die Cyberabwehr ausgerichtet. Vergleichbar mit der weltwirtschaftlichen Finanzkrise ist die Unfähigkeit zur Regulierung Ursache von politischer Verantwortungslosigkeit.

Wohlstand und Stabilität im regionalen wie globalen Maßstab hängen maßgeblich von der Einhaltung gemeinsamer Mindeststandards in der IT-Sicherheit, von Normen zum staatlichen Verhalten im Cyberraum und dem Aufbau gemeinsamer Mechanismen ab. Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, strategisch relevante außen- und sicherheitspolitische Ziele einer ressortübergreifenden Digitalpolitik insbesondere auf der EU-Ebene gegenüber China zu ermöglichen; dies kann auch im Rahmen der neuen EU-Konnektivitätsstrategie mit China und weiteren asiatischen Partnerländern verhandelt werden. Unter dem Strich kann Europas Interessenausgleich mit China jedoch nur über die EU und nicht über die einzelnen Mitgliedstaaten erfolgreich sein. Die EU mit ihrem digitalen Binnenmarkt kann Beispiel gebend sein für einen, wie Wolfgang Kleinwächter in der FAZ schreibt, „globalen Multistakeholder-Pakt zum Schutz des öffentlichen Kerns des Internets“.