Serbien

China, Russland, Europa und die USA – das sind die vier Säulen der serbischen Außenpolitik. Wie in den glanzvollen Zeiten Tito-Jugoslawiens hat sich die Republik Serbien eine Außenpolitik der Balance zwischen den Großmächten zum Ziel gesetzt, um von ihrer unabhängigen Lage in der Mitte und von der Zusammenarbeit mit allen vier zu profitieren. Das mag ein abstraktes – und nicht ganz kohärentes – Konstrukt ambitionierter serbischer Außenpolitik und Diplomatie sein; doch für den gewöhnlichen serbischen Bürger wird es nun zur ganz konkreten Frage: Seit Mitte Januar kann man sich auf der serbischen E-Government-Seite euprava.gov.rs zur Impfung gegen Covid-19 anmelden und muss dann ankreuzen: China, Russland, oder Europa-USA – welchen Impfstoff hätten Sie denn gerne? Sinopharm aus China, den russischen „Sputnik V“ oder doch lieber den in Deutschland entwickelten und in den USA produzierten Impfstoff von Pfizer-Biontech?

Schon zu Beginn der Corona-Krise im März 2020 hatte die serbische Staatsführung unter dem unangefochtenen und zunehmend autoritär agierenden Präsidenten Aleksandar Vucic ihre Offenheit gegenüber Hilfe aus Russland und China demonstriert. Die europäische Solidarität, so der Staatspräsident Vucic, sei nur ein Märchen auf Papier, Hilfe und Unterstützung sei allein von Freund und Bruder Xi, dem chinesischen Staatspräsidenten, zu erwarten.

Die erste Welle hatte Serbien gut abgefangen; die zweite Welle aber traf das Land mit großer Härte. Die in Deutschland als Kennzahl viel beachtete Sieben-Tage-Inzidenz lag in Serbien Anfang Dezember 2020 bei 731,6 (in Deutschland lag der Höchstwert am 22. Dezember 2020 bei 197,6).

Wer sich bei der Registrierung zur Impfung für den chinesischen Impfstoff entscheidet, bekommt innerhalb einer Woche einen Termin.

Nun kommt Hilfe wiederum aus China. In Verhandlungen hat sich Serbien für seine knapp sieben Millionen Einwohner 6,5 Millionen Impfdosen unterschiedlicher Hersteller gesichert. Doch was zählen schon Bestellungen und Verträge? Präsident Vucic präsentierte sich abermals als Retter der Nation und konnte Erfolge vorweisen: Am 16. Januar 2021 nahm der Präsident gemeinsam mit der chinesischen Botschafterin am Belgrader Flughafen die Lieferung von einer Million Impfdosen des chinesischen Vakzins Sinopharm in Empfang. Seitdem wird in Serbien weniger über ausbleibende Lieferungen oder die richtige Reihenfolge beim Impfen lamentiert, sondern beherzt losgelegt. Mit 6,5 Prozent liegt der Anteil der bereits geimpften Bevölkerung hinter Großbritannien an zweiter Stelle in Europa.

Wer sich bei der Registrierung zur Impfung für den chinesischen Impfstoff entscheidet, bekommt innerhalb einer Woche einen Termin und kann sich zur Impfung einreihen. Laut einer repräsentativen Umfrage des Thinktanks NSPM ist der russische Impfstoff am beliebtesten; fast die Hälfte der Impfwilligen (47,5 Prozent) gab an, sich mit Sputnik V impfen lassen zu wollen.

Der Erfolg der Impfkampagne in Serbien dokumentiert einen Vertrauensverlust der EU in Serbien, das seit 2014 Beitrittsverhandlungen führt, die aufgrund des Verfalls der demokratischen Institutionen in Serbien ins Stocken geraten sind. Gleichzeitig ist die massenweise Impfung ein Erfolg des zunehmend autoritären Regimes. Die Umfrage in „Vreme“ hat eine klare Korrelation zwischen der Impfbereitschaft der Bevölkerung und der Unterstützung für die Regierungspartei des Präsidenten Aleksandar Vucic festgestellt.

Man darf aber doch bezweifeln, dass das Impfen in Serbien wirklich zum außenpolitischen Bekenntnis wird. Am Ende ist wohl derjenige Impfstoff der beste, der auch zur Verfügung steht. Und schließlich siegt auch ein – mehr oder weniger – gesunder Pragmatismus. So zitiert „Vreme“ aus der Umfrage eine 58-jährige Belgraderin: „Ich möchte gerne geimpft werden, aber mit dem russischen Impfstoff. Na ja, aber es gibt da diese Bedingung, dass man bei diesem Vakzin 20 Tage vor der Impfung keinen Alkohol trinken darf und nicht mehr rauchen soll. Da muss bei mir dann wohl doch der chinesische Stoff reichen.“

Max Brändle, FES Belgrad

Argentinien

Die erste Ladung Impfdosen aus Russland kam Heiligabend an. Insgesamt wurden bisher 820 000 Dosen geliefert. Argentinien ist mit seinen 44,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern und als G20-Mitglied weltweit das erste große Land, das in dieser Impf-Anfangsphase auf eine pragmatische Kooperation mit Russland setzt. Der argentinische Präsident Alberto Fernandez ließ sich am 21. Januar 2021 mit Sputnik V impfen, er ist damit der erste gegen Corona geimpfte Staatschef Lateinamerikas.

Bereits im Juli 2020 hatte die argentinische Regierung einen Zeitplan für die Produktion und logistische Verteilung von Anti-Corona-Wirkstoffen angekündigt. Doch die Testphasen von Astra Zeneca zogen sich hin, die ersten Lieferungen – so wurde bald klar – würden erst im März 2021 erwartet. Argentinien brauchte einen ergänzenden Impfplan, wenn es seiner Bevölkerung nicht wieder einen monatelangen Lockdown – wie im Herbst/Winter 2020 – ab April 2021 zumuten wollte.

„Wir hatten eine Anfrage des russischen Außenministeriums und des russischen Staatsfonds, ob Argentinien interessiert sei, den Impfstoff im Dezember zu bekommen. Selbstverständlich haben wir Ja gesagt“, so der argentinische Staatschef in einer Presseerklärung, „Wir wollen garantieren, dass es für alle Argentinier Impfungen gibt.“

Die Ankunft der Covid-19-Impfstoffe markiert also den Beginn einer neuen Phase der Pandemiebekämpfung. Argentinien versucht sich selbst zu helfen und verhandelt mit verschiedenen Firmen und Ländern. Unterzeichnete Abkommen gibt es bisher mit Gamaleya, dem russischen Institut, und mit Astra Zeneca. Und es werden weitere Abkommen mit Pfizer, Moderna, Johnson & Johnson und den Chinesen verhandelt. Die Gespräche mit China zielen auf den Kauf von einer Millionen Sinopharm-Dosen, mit der Option 30 Millionen Dosen zusätzlich zu erwerben. Der definitive Abschluss hängt am Preis, man verlangt laut Presse doppelt so viel wie die Russen.

Die politische Polarisierung des Landes macht vor dem Einkauf von Impfstoffen nicht halt. Russlands Geostrategie reicht bis an den Rio de la Plata.

Die Ankunft des russischen Impfstoffs war die Hauptnachricht auf allen Kanälen des Landes. Einerseits, weil die Hoffnung besteht, dass ein Ende der Pandemie zumindest in Sichtweite ist. Diese Ansicht herrscht in der Regierung vor, aber auch bei dem Anteil der Bevölkerung, der die aktuelle Regierung unterstützt. Andererseits ist diese Entscheidung umstritten, weil die liberal-konservative Opposition den Ausverkauf an den Autokraten Putin und intransparente Forschungsergebnisse fürchtet – oder auch schlicht die „Kommunisten“. Die deutliche politische Polarisierung des Landes macht vor dem Einkauf von Impfstoffen nicht halt. Russlands Geostrategie reicht bis an den Rio de la Plata. Doch der Westen sollte nicht glauben, dass Argentinien leichtgläubig handele. Von der Peripherie aus, in der es enorme Probleme zu meisten gilt, sieht die Welt anders aus als aus dem Zentrum. Durch die hohe Wirksamkeitsbescheinigung des Fachblatts „The Lancet“ vom 2. Februar 2021 sieht sich die argentinische Regierung in ihrer Taktik bestätigt.

Doch auch die Lieferung des Sputnik-Impfstoffs läuft nicht nach Plan. Im Januar 2021 sollten bereits fünf Millionen Impfdosen im Land sein. Real im Land vorhanden sind 820 000 Dosen, geimpft wurden bisher mit der ersten Dosis 280 000 Personen, mit der zweiten 65 000 Personen (Stand 29. Januar 2021). Die Kooperation mit Astra Zeneca war von Anfang an strategisch gedacht, da Argentinien selbst Teil des Produktionsprozesses ist. Argentinische Labore werden nach diesem Plan den Impfstoff herstellen und Mexiko wird dann – in einer Art bilateralen Zusammenarbeit – die Verpackung und den Versand übernehmen. Doch ob der Zeitplan – erste Lieferungen im März 2021 – eingehalten werden kann, ist fraglich.  

Die argentinische Regierung arbeitet an mindestens vier Fronten gleichzeitig: am Engpass bei den Impfstoff-Lieferungen (egal ob Russland oder Astra Zeneca), an der enormen Logistik im flächenmäßig achtgrößten Land der Welt, den hohen Erwartungen der Bevölkerung, die bereits vor Corona auf dem Zahnfleisch ging, und – nicht zu vergessen – die Bekämpfung der Rezession und einer Inflation von 40 Prozent. Corona bedeutet für das in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht hochnervöse Argentinien eine noch schnellere Umdrehungsfrequenz.

An der Engpassfront wird seit dem 1. Februar 2021 eine neue Strategie angeboten. Um die Lieferung und die Impfungen anzukurbeln, soll nun der Sputnik-Impfstoff direkt in Argentinien produziert werden. Ein Abkommen mit Russland wird gerade vorbereitet.

Svenja Blanke, FES Buenos Aires

Kanada

In Kanada sind bereits mehr als 20 000 Menschen durch Covid-19 gestorben und aktuell werden in einigen Provinzen hohe Infektionsraten gemeldet. Die Gesamtinfektionsrate ist im Moment rückläufig, aber die kürzlich entdeckten Fälle der britischen und südafrikanischen Variante deuten darauf hin, dass die lokale Ausbreitung bereits begonnen hat. Die Gesundheitsbehörden warnen, dass der März der bisher schlimmste Monat in der gesamten Pandemie sein könnte.

Im Impf-Wettlauf gegen die Zeit, bevor diese hochinfektiösen Covid-19-Varianten sich weiter ausbreiten können, steht Kanada vor großen Herausforderungen. Obwohl das Land weltweit die meisten Impfdosen pro Kopf bestellt hat, kommt das Impfprogramm vergleichsweise langsam in Gang. Bis Anfang Februar wurden gerade einmal 1,3 Prozent der Bevölkerung geimpft, wobei besonders gefährdete ältere Menschen, die in Pflegeeinrichtungen leben, und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitswesens vorrangig geimpft werden. September 2021 ist das Zieldatum für die Impfung der allgemeinen Bevölkerung. 

Seit Januar hat Kanada zwei Impfstoffe zugelassen: Pfizer-Biontech und Moderna. Bei beiden Unternehmen hat sich die Lieferung der Impfstoffe nach Kanada in diesem Monat aufgrund von Produktionsproblemen in Europa verzögert. Kanada erhält nur etwa ein Fünftel der ursprünglich geplanten Lieferungen, obwohl die Firmen immer noch versprechen, ihre Verträge bis Ende März zu erfüllen.

Obwohl Kanada weltweit die meisten Impfdosen pro Kopf bestellt hat, kommt das Impfprogramm vergleichsweise langsam in Gang.

Erschwerend kommt die neue europäische Exportkontrollpolitik für Covid-19-Impfstoffe hinzu, die in EU-Mitgliedstaaten hergestellt werden. Derzeit werden alle Impfstoffdosen, die in Kanada verwendet werden sollen, aus Europa bezogen, da es an einheimischen Produktionskapazitäten für Impfstoffe mangelt. Kanada ist von den neuen Exportbeschränkungen nicht ausgenommen.

In dieser schwierigen Zeit steht die Regierung von Justin Trudeau unter einem erheblichen Druck, die Lieferung von Impfstoffen zu beschleunigen und mögliche europäische Schritte zum Stopp der Exporte zu verhindern. Diese Verzögerungen und das Risiko von Exportbeschränkungen haben auch zu einer wachsenden Debatte in Kanada geführt, ob die Einrichtung einheimischer Produktionsstätten für Impfstoffe nötig sei. Die kanadische Bundesregierung hat einen Vertrag mit dem US-amerikanischen Impfstoffhersteller Novavax geschlossen, um dessen noch nicht zugelassenen Impfstoff in einer neuen Anlage in Montreal zu produzieren. Dieser Impfstoff ist zwar noch Monate von der Produktion entfernt und wird nur einen kleinen Teil der kanadischen Versorgung ausmachen. Mit der Vereinbarung wird aber auf den öffentlichen Druck reagiert.

Jordan Leichnitz, FES Vancouver