Der Krieg in Syrien hat mehr als fünf Millionen Menschen zur Flucht gezwungen. Die allermeisten von ihnen sind nicht nach Europa gekommen, sondern leben in den Nachbarländern Irak, Libanon, Türkei und Jordanien.

In Jordanien mit leben mittlerweile über eine Million Syrer, von denen mehr als 650 000 als Flüchtlinge registriert sind. Die Zahl wächst täglich, doch an der Nordostgrenze Jordaniens bahnt sich eine noch ernstere Krise an, die zu einer weiteren komplexen Flüchtlingssituation führen könnte.

Vor über einem Jahr begannen Syrer, in ein Gebiet zu fliehen, das hinter einem Erdwall liegt. Dieser Wall, „Berm“ genannt, in einer entmilitarisierten Zone an der syrisch-jordanischen Grenze gelegen, hindert die Flüchtlinge daran, nach Jordanien zu gelangen und schränkt die Arbeit der Hilfsorganisationen stark ein. Der jordanischen Regierung zufolge bereiten die Flüchtlinge, die zum Teil aus Gebieten kommen, die vom „Islamischen Staat“ kontrolliert werden, Sicherheitsprobleme und wirtschaftliche Schwierigkeiten.

Die Zahl der im Grenzgebiet gestrandeten Flüchtlinge hat sich von 2 700 auf 50 000 erhöht.

Im November 2014 waren es noch 2 700 Syrer, die vor der jordanischen Grenze gestrandet sind. Heute hat sich die Zahl auf mehr als 50 000 Menschen erhöht, so dass de facto ein riesiges Flüchtlingslager entstanden ist. Das nun bevölkerte Gebiet, in dem einst nur Skorpione und Schlangen zu Hause waren, wird von Schleppern, Schmugglern und Drogendealern heimgesucht.

Damit die Flüchtlinge Nahrungsmittel vom Welternährungsprogramm und andere lebensnotwendige Dinge erhalten können, werden sie vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR registriert. Humanitäre Helfer werden an die Grenze entsandt. Doch das UN-Team braucht für die einfache Strecke fast vier Stunden, bis es in eine Art Wartebereich gelangt, in dem es die Flüchtlinge registrieren kann. In den wenigen Stunden, in denen UN-Mitarbeiter jeden Tag vor Ort sind, registrieren sie ein paar tausend Flüchtlinge.

Deutschland könnte den Registrierungsprozess erleichtern und die Verteilung von Hilfsgütern durch Hubschrauber unterstützen.

Es geht quälend langsam voran. Die internationale Gemeinschaft, auch Deutschland, könnte den Registrierungsprozess erleichtern und die Verteilung von Hilfsgütern durch Hubschrauber unterstützen, damit die Helfer mehr Flüchtlinge pro Tag registrieren können. Sie könnte der jordanischen Regierung auch helfen, sicherere Straßen für den leichteren Zugang zu bauen.

Immerhin lässt Jordanien auf starken Druck der internationalen Gemeinschaft von den mehr als 50 000 Flüchtlingen an der Grenze täglich zwischen 200 und 300 Menschen ins Land; dies allerdings erst nach einer gründlichen Sicherheitsüberprüfung. Die registrierten Flüchtlinge werden in das Flüchtlingslager Asrak gebracht, das von akzeptablen Lebensbedingungen ebenfalls weit entfernt ist. Es wurde absichtlich weitab von jeder Siedlung in einem trockenen Wüstengebiet etwa 90 Kilometer östlich der Hauptstadt Amman errichtet, etwa eine halbe Autostunde von der Stadt Asrak entfernt.

Die im Lager Asrak neu ankommenden Flüchtlinge werden abgesondert und überwacht, finden dort jedoch zumindest eine Grundversorgung, Sicherheit und Hilfsleistungen. Generatoren liefern in einigen wenigen Bereichen des Lagers Strom.

Jüngste Umfragen in Jordanien zeigen, dass sich die Einstellung gegenüber Flüchtlingen verschlechtert; doch viele Jordanier wissen, dass die Syrer sehr wahrscheinlich bleiben werden. Nur zwei Prozent der syrischen Flüchtlinge in Jordanien haben sich bisher auf den Weg nach Europa gemacht, und fast ein Drittel will dauerhaft bleiben, so eine Studie zur wirtschaftlichen und sozialen Integration von Flüchtlingen.

Angesichts wachsender Verzweiflung und der anstehenden heißen Sommermonate weiß man noch nicht, wie viele sich trotz der strengeren Grenzkontrollen auf die Reise gen Europa machen werden. Die syrische Flüchtlingstragödie ist eine humanitäre Katastrophe und eine Sicherheitskrise von globalem Ausmaß. Wenn Europa Jordanien nicht dabei hilft, die Gesundheitsversorgung und die Sicherheit im „Berm“ zu verbessern, wird es gravierende Folgen haben. In dem provisorischen Lager wird es zu Aufständen kommen, die Frauen und Kinder in Gefahr bringen und der jordanischen Grenzsicherung weitere Probleme schaffen. Hinzu kommen Menschenhandel und Ausbeutung.

Trotz der alarmierenden Flüchtlingszahlen trauen sich weder die Hilfsorganisationen noch die jordanische Regierung, die Situation offen anzusprechen.

Trotz der alarmierenden Flüchtlingszahlen im „Berm“ trauen sich weder die Hilfsorganisationen noch die jordanische Regierung, die Situation an der Grenze offen anzusprechen. Das sollten sie aber. Die jordanische Bevölkerung und die internationale Gemeinschaft wissen, dass diese Krise äußerst komplex ist und sich weiter zuspitzt, und wenn das Thema nicht offen angesprochen wird, wird es noch schwieriger, kreative Lösungen zu finden. Darüber öffentlich zu diskutieren, ist sinnvoll, denn die Lage an der Grenze hat auch noch eine weitere Dimension: Jordanier und andere Beobachter, die in der Grenzregion waren, sagen, die Verteilung von Hilfsgütern und die Sicherstellung einer eingeschränkten Versorgung verleite verzweifelte Syrer dazu, in das abgeriegelte Gebiet zu kommen und dort zu bleiben.

Hilfsorganisationen und Politiker sprechen hier von einem „pull factor“, der mögliche Migranten anzieht. Das führt zu einer paradoxen Situation für internationale Organisationen wie für Regierungen: Je besser die Versorgung in den Lagern ist, desto mehr neue Flüchtlinge kommen, was wiederum die Versorgung verschlechtert.

Die UN-Syrien-Hilfe für dieses Jahr ist nur zu 22 Prozent finanziert.

Die jüngst veröffentlichte Vereinbarung, nach der über syrischen Städten, die vom Assad-Regime belagert werden, Nahrungsmittel und andere Vorräte aus der Luft abgeworfen werden sollen, ist daher eine gute Nachricht. Die internationale Gemeinschaft ist weiterhin zögerlich bei der Aufnahme syrischer Flüchtlinge, und sogar die Spendenmüdigkeit setzt sich fort. Dies schadet sowohl den Flüchtlingen als auch der Bevölkerung der Aufnahmeländer. Die UN-Syrien-Hilfe für dieses Jahr ist nur zu 22 Prozent finanziert.

Deutschland und die internationale Gemeinschaft müssen dringend Hubschrauber bereitstellen, um die Registrierung der Flüchtlinge zu erleichtern; sie müssen die medizinische Versorgung verbessern und die jordanische Regierung darin unterstützen, die Grenzsicherheit aufrechtzuerhalten und die Sicherheit im „Berm“ zu erhöhen. Jordanien sollte offener darüber sprechen, was dort geschieht und welche Gefahren an der Grenze drohen. Da jedoch eine politische Lösung, die die Ursachen der humanitären Krise angeht, nicht in Sicht ist, werden komplexe Notlagen wie die an der syrisch-jordanischen Grenze auch in Zukunft entstehen. Das bedeutet für Europa mehr Gefahren, und noch mehr Eltern werden sich auf die Suche machen nach einem sicheren Ort und einer Zukunft für ihre Kinder.