Politische Parteien strahlen auch im Jahr 2018 zu wenig Anziehungskraft auf Frauen aus, die einen Ort für politisches Engagement suchen: Keine im deutschen Bundestag vertretene Partei hat einen Frauenanteil über 40 Prozent. Die SPD verzeichnet derzeit 32 Prozent weibliche Mitglieder. Auch das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) konstatiert, dass die meisten politischen Parteien in der EU von Männern geführt werden und männlich geprägte Führungsstile und Parteikulturen den Aufstieg von Frauen in europäischen Parteien nach wie vor verhindern.

Die zu geringe Repräsentation von Frauen in Parteien – und in der Folge auch ihr Fehlen in Parlamenten und Regierungen – wird bereits seit Jahrzehnten thematisiert. Heute muss dieser Befund jedoch auch im breiteren Kontext der fundamentalen Krise etablierter und insbesondere sozialdemokratischer Parteien in ganz Europa gesehen werden. Aufgrund der Vertrauenskrise in traditionelle politische Institutionen gründen sich zahlreiche Parteien und politische Bewegungen neu. Einige dieser Neugründungen sind programmatisch motiviert, in großen Teilen stören sie sich aber auch kulturell und strukturell an den als verkrustet empfundenen Traditionsparteien. Das Beispiel Frankreich zeigt, dass Parteien, die ihre Erneuerung verpassen, in kürzester Zeit rapide an Bedeutung verlieren können. Traditionsparteien sei also geraten, sich mutig von innen heraus zu erneuern und danach zu streben, ein glaubwürdiger und moderner Ort für politisches Engagement zu werden. Auch und besonders für Frauen.

Folgerichtig führt beispielsweise die SPD seit dem enttäuschenden Wahlergebnis bei der Bundestagswahl 2017 eine intensive Debatte um ihre Erneuerung. Die SPD soll „jünger, weiblicher und digitaler“ werden, eine Forderung, die insbesondere von der neuen Basiskampagne SPD++ („SPD Plus Plus“) erhoben wird.

Das Beispiel Frankreich zeigt, dass Parteien, die ihre Erneuerung verpassen, in kürzester Zeit rapide an Bedeutung verlieren können.

Der Digitalisierung kommt hierbei ein Schlüssel zu, ist man sich doch weitgehend einig, dass Parteien im Jahr 2018 digital auf der Höhe der Zeit organisiert sein sollten. Bis in den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD hat es die digitale Erneuerung von Parteien geschafft. So soll die neue Bundesregierung prüfen, ob es einer Änderung des Parteiengesetzes bedarf, um mehr digitale Möglichkeiten in Parteien zu schaffen.

Bei der Debatte um digitale Beteiligung in Parteien wird verkannt, dass die Digitalisierung politischer Arbeit nicht lediglich etwas für urbane, junge und „kreative“ Menschen ist. Vielmehr birgt sie das größte Potenzial für diejenigen Zielgruppen, die bisher aufgrund fehlender zeitlicher und räumlicher Möglichkeiten und Formate nicht an der Parteiarbeit partizipieren (können). Damit kann die Digitalisierung politischer Arbeit insbesondere für Frauen Großes leisten.

Die Gründe für die geringere Mitarbeit von Frauen in Parteien sind nicht erschöpfend erforscht, doch es gibt drei Erklärungsansätze, warum Frauen Parteien in geringerem Maße beitreten oder dort weniger engagiert sind als Männer: Das existierende Angebot von Parteien deckt nicht alle Motivationstypen (Geselligkeitsorientierte, Policy-Aktivistinnen, Karriereorientierte) ab, die Parteikultur wirkt abschreckend auf Frauen, und Parteiengagement ist nur schwer mit Familie und Beruf vereinbar. Bei all diesen Punkten können digitale Angebote Abhilfe schaffen.

Durch die Digitalisierung von Parteiarbeit können flächendeckend Beteiligungsformate angeboten werden, die für individuelle Themeninteressen und Zeitbudgets maßgeschneidert sind und Menschen, die sich für ähnliche Themen begeistern, miteinander vernetzen. Digitale Parteiarbeit würde außerdem endlich größere Unabhängigkeit von dem noch weit verbreiteten Präsenzprinzip bieten und es ermöglichen, sich auch mit einem kleinen Zeitbudget sinnvoll zu engagieren.

Ein Beispiel hierfür sind die digital organisierten Themenforen, deren Einführung auf Betreiben von SPD++ vom Bundesparteitag beschlossen wurde. Idee der Themenforen ist, dass es neben der bewährten Ortsvereinsstruktur auch die Möglichkeit gibt, themenbezogene Basisarbeit zu leisten, die über ein Antragsrecht zu Bundesparteitagen und ein zu prüfendes Delegiertenrecht auch direkte Auswirkungen auf Programmatik und strategische Ausrichtung der SPD hätte. Diese Anerkennung von Parteiarbeit auch jenseits der Ortsvereine wäre ein Paradigmenwechsel und würde denjenigen eine Brücke bauen, die aus beruflichen, familiären oder geographischen Gründen schlichtweg nicht physisch an Ortsvereinstreffen, Kreisvorstandssitzungen und Arbeitsgruppen teilnehmen können.

Digitale Parteiarbeit würde endlich größere Unabhängigkeit von dem noch weit verbreiteten Präsenzprinzip bieten.

Man stelle sich eine berufstätige, alleinerziehende Mutter vor, die sich als Parteimitglied abends noch für eine halbe Stunde in einem Themenforum engagiert – mitdiskutiert, an Themen arbeitet, Vorschläge einbringt – dies alles im Wissen, dass auch das Ergebnis ihrer digitalen Arbeit als vollwertiges Parteiengagement in parteiinterne Entscheidungsprozesse münden wird. Es würde Parteien nicht nur ideell gut zu Gesicht stehen, möglichst unterschiedliche Lebensumstände in die Willensbildung in der Partei einzubeziehen, sondern auch für programmatische Debatten deutlich heterogenere Sichtweisen und Expertisen einzubinden als heute – und stärker zielgruppenbezogene Programmarbeit zu ermöglichen (man denke zum Beispiel an ein Themenforum „Selbstständige oder Alleinerziehende“). Dies könnte ein enormes Potenzial freisetzen, da heute nach Schätzungen nur circa 10 Prozent der gut 460 000 SPD-Parteimitglieder regelmäßig Parteisitzungen besuchen.

Der SPD wie auch anderen Parteien ist die Einführung digitaler Beteiligungs- und insbesondere Arbeitsformate und deren satzungsmäßige Anerkennung zu raten, ebenso wie ein behutsamer kultureller Wandel. Die Einführung neuer Engagementformate wird allzu reflexhaft als ein Angriff auf etablierte Prozesse und insbesondere den Ortsverein empfunden. Eine moderne Volkspartei kann und muss unterschiedliche Bedürfnisse bedienen und damit auch die innerparteiliche Vielfalt stärken. Alle Anstrengungen zur Parteireform müssen bedenken, dass Parteien längst nicht mehr der einzige Ort sind, an dem sich Menschen politisch engagieren. Bürgerinitiativen und NGOs sind Orte, an denen Menschen oft deutlich unmittelbarer erfahren, was ihr Engagement ausrichten kann. Die für Veränderungsprozesse Zuständigen sollten sich deshalb damit beschäftigen, was Motivation für Parteiarbeit unterschiedlichster Gruppen erzeugt, und identifizieren, wo ganz lebenspraktische Hürden für aktives Parteiengagement liegen. Mut zu neuen Formaten, Offenheit für themen- und gruppenbezogenes Engagement und Verständnis für die Erleichterungen, die die Digitalisierung für persönliches Engagement mit sich bringt – all dies würde der Wiederbelebung der Sozialdemokratie in Europa und von Parteien im Allgemeinen gut zu Gesicht stehen.