Man möchte Hamburg, Gastgeberin des G20-Gipfels am 7. und 8. Juli, nicht beneiden um seine Gäste. Neben US-Präsident Trump und Russlands Wladimir Putin wird die Bundeskanzlerin in der Hansestadt unter anderem den nicht unumstrittenen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, den südafrikanischen Präsidenten Jacob Zuma (gegenwärtig mit knapp achthundert Korruptionsverfahren belastet), den brasilianischen Präsidenten Temer  (zur Zeit u.a. wegen Behinderung der Justiz, Korruption und Bildung einer kriminellen Vereinigung in der Kritik) und Potentaten aus Saudi-Arabien und China begrüßen. Das Motto der großen anti-kapitalistischen Gegenkundgebung – „Welcome to Hell“ – wirkt da nicht ganz unpassend: ein Gruselkabinett der internationalen Politik beim Stelldichein. Was ist überhaupt von den G20 zu erwarten?

Viel, wenn man von den Forderungen ausgeht, die sich in den letzten Wochen in ihrem Umfeld artikuliert haben. Der Club wird überladen mit sich teilweise widersprechenden Erwartungen:

  • Ein „alternatives wirtschaftliches Modell“ fordern die in der Labour 20 zusammengeschlossenen Gewerkschaften: Fiskalpolitik solle zur Ankurbelung der Nachfrage genutzt werden, öffentliche Investitionen massiv ansteigen. Die Ungleichheit müsse bekämpft werden, Kollektivverhandlungen und „angemessene Mindestlöhne“ sowie faire Arbeitsbedingungen in globalen Lieferketten umgesetzt werden.
  • Die zivilgesellschaftliche Civil20 möchte „einen Politikwechsel im Sinne einer gerechten Globalisierung für alle“. Das wachstumszentrierte Wirtschaftsmodell, das Verlierer produziere und unsere ökologischen Lebensgrundlagen zerstöre, habe ausgedient. Stattdessen fordert die Zivilgesellschaft, dass die G20-Politik die wachsende Ungleichheit zwischen und innerhalb der Länder stoppt, weltweit Armut und Hunger an ihren Ursachen bekämpft und Gleichberechtigung fördert.
  • Die Think Tanks der G20-Länder, die als Think20 firmieren, wollen u.a. eine „globale wirtschaftliche Governance-Architektur, welche die Globalisierung inklusiv und nachhaltig macht und einen Rahmen zur Umsetzung der 2030 Agenda bereitstellt“.
  • Ein „offenes und inklusives Handelssystem“ sowie Nutzung der Chancen der Digitalisierung stehen dagegen im Forderungskatalog der zur Business 20 zusammengeschlossenen Unternehmerverbände.

Dass etwas grundsätzlich falsch läuft, spiegelt sich maximal in der Rhetorik, aber nicht in den G20-Politiken wider.

Es ist unwahrscheinlich, dass der Club der neunzehn größten Volkswirtschaften plus EU diese Wunschzettel abarbeiten wird. Dagegen sprechen zum einen praktische Fragen. Der Club besitzt kein Sekretariat, jede Präsidentschaft setzt eigene Schwerpunkte und manches Versprechen würden die Staatenlenker wohl am liebsten schnell wieder vergessen. Die G20 haben sich zudem von ihrem Gründungsgedanken – der Stabilisierung der Weltwirtschaft unter dem Eindruck der Finanzkrise der neunziger Jahre in Asien – weit entfernt. Seit 2008 treffen sich überhaupt erst die Staats- und Regierungschefs und seitdem wachsen auch die Versprechen exponentiell: Die Wirtschaft soll schneller wachsen, die Ungleichheit rascher bekämpft werden, die anspruchsvolle 2030 Agenda für nachhaltige Entwicklung (mit Forderungen u.a. nach einer Reduzierung der Ungleichheit, Guter Arbeit für alle und dem Schutz unseres Planeten) unterstützt werden – alles schmerzlose Zugeständnisse, solange sie nur auf dem Papier stehen. Und selbst dabei fällt man häufig hinter Konzepte zurück, die bereits auf UN-Ebene diskutiert wurden, man interpretiert oberflächlich oder vergibt Arbeitsaufträge an die OECD. Und die „vergisst“ dann wiederum, den Großteil der Welt zu konsultieren, weil dieser eben nicht OECD-Mitglied ist. Alles bleibt letztendlich im bekannten Rahmen. Dass etwas grundsätzlich falsch läuft, dass Menschen systematisch vom Fortschritt ausgeschlossen und unsere Lebensgrundlagen zerstört werden, spiegelt sich maximal in der Rhetorik, aber nicht in den G20-Politiken wider.

Welchen Sinn hat also dieses Forum, wenn es zu großen Teilen bei papiernen Bekenntnissen bleibt? Zum einen ist die Diskussion über Globalisierung, ihre Gewinner und Verlierer, heute wichtiger denn je – nicht nur in der G20, sondern auch in den Zusammenschlüssen von Zivilgesellschaft, Gewerkschaften, Unternehmern und Think Tanks. Zum anderen sitzen auch Organisationen mit sinnvollem Input in den Foren – etwa die Internationale Arbeitsorganisation. Überhaupt Arbeit: Dass man etwa beim Treffen der Arbeitsminister mit China über Menschenrechte in Lieferketten oder mit Saudi-Arabien über die Arbeitsplätze von Frauen und den „Gender Pay Gap“ sprechen kann, ist vielleicht kein Durchbruch, aber immerhin ein Anfang. Und schließlich wird immer wieder deutlich, wie wichtig eben doch eine holistische Herangehensweise an globale Politik ist: So interessiert sich das Bundesfinanzministerium plötzlich für Afrika, die Agrarminister nehmen auf die 2030-Agenda Bezug. Und wenn Politiken einmal auf dem Papier stehen, kann man sie leichter von der eigenen Regierung einfordern – auch in Deutschland, wo immerhin eine Bundestagswahl ansteht.

Man kann nur hoffen, dass der Fokus auf die G20 als „zentrales Forum zur internationalen Zusammenarbeit in Finanz- und Wirtschaftsfragen“ endlich die UN aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen lässt.

Auch wenn die G20 also in absehbarer Zukunft kein progressives und transformatives Forum werden wird, sie links liegen zu lassen wäre verkehrt. Auch aus zwei weiteren Gründen:

Man kann erstens nur hoffen, dass der – manchmal schon etwas manisch scheinende – Fokus auf die G20 als „zentrales Forum zur internationalen Zusammenarbeit in Finanz- und Wirtschaftsfragen“ (so die Bundesregierung) endlich die UN aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen lässt. Wenn es dem neuen Generalsekretär António Guterres gelingen sollte, seine Organisation aus ihrer Tranigkeit zu reißen, wäre die G20 vielleicht gar nicht mehr so wichtig und die Diskussionen um die Zukunft unseres Planeten wären wieder da, wo sie hingehören und wo sie wirklich inklusiv geführt werden: bei den Vereinten Nationen.

Zweitens ist es gut, wie sich Gewerkschaften, Think Tanks und Zivilgesellschaft im G20-Umfeld vernetzen und Forderungen artikulieren. In punkto Allianzbildung ist hier noch eine Menge Luft nach oben, zumal die Business-Lobby wie immer bereits über sehr gute Zugänge verfügt. Man kann nur hoffen, dass es in Zukunft G20-Präsidentschaften nicht mehr so leicht möglich sein wird, Zivilgesellschaft oder unabhängige Gewerkschaften an den Rand zu drücken, wie das etwa bei der chinesischen Präsidentschaft der Fall war. Aus Deutschland jedenfalls gehen die „Engagement Groups“ gestärkt in die nächste Runde.

So wird die G20 zwar für Hamburg zur Belastungsprobe. Vielleicht aber erwachsen aus den Diskussionen um die G20 Netzwerke und Initiativen, die die sozial-ökologische Transformation unserer Welt tatsächlich voranbringen. Zeit dafür wäre es.