Wer hätte das gedacht? Am 4. November, kurz vor der UN-Klimakonferenz COP-22 in Marrakesch (7.-18. November 2016), tritt das Pariser Klimaschutzabkommen in Kraft, nicht einmal ein Jahr nach seiner Verabschiedung im Dezember 2015. Das Tempo ist rekordverdächtig. Schließlich waren die Verhandlungen in den zehn Jahren davor äußerst zäh und auch schon einmal gescheitert, wie in Kopenhagen Ende 2009. Plötzlich konnte es nicht schnell genug gehen, als holten die Regierungen nun nach, was sie in der Vergangenheit vertrödelt haben. Im April reisten über 170 Staatenvertreter auf Einladung von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon nach New York, um den Vertrag feierlich zu unterzeichnen; mittlerweile haben ihn fast 90 Staaten ratifiziert. Die für das Inkrafttreten vereinbarte Schwelle von mindestens 55 Staaten, die zusammen für mindestens 55 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen stehen, ist deutlich überschritten.
Das Abkommen gilt als Meilenstein der internationalen Klimadiplomatie. Aus einer bisher nur politischen macht das Abkommen nunmehr eine völkerrechtlich verbindliche Zielsetzung: Die globale Erwärmung soll auf deutlich unter 2°C und möglichst auf maximal 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau begrenzt werden. Dafür sollen die weltweiten Treibhausgasemissionen schrittweise auf „Netto-Null“ sinken. Jeder Staat ist gehalten, alle fünf Jahre neue Selbstverpflichtungen (Nationally Determined Contributions) zum Klimaschutz einzureichen. Das Abkommen verpflichtet zudem die Unterzeichner dazu, gemeinsam die weltweite Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel zu stärken, ermuntert sie, in regelmäßigen Abständen landesweite Anpassungspläne vorzubereiten und greift auch den Umgang mit Verlusten und Schäden (loss and damage) infolge des Klimawandels in einem eigenen Artikel auf. Außerdem bestätigt das Abkommen die schon in der UN-Klimarahmenkonvention verankerte Verpflichtung der Industrieländer, die Entwicklungsländer finanziell zu unterstützen. Schließlich soll eine regelmäßige Bestandsaufnahme (Global Stocktake) die Umsetzungsfortschritte alle fünf Jahre überprüfen.
Das frühe Inkrafttreten des Abkommens wird einiges an Aufmerksamkeit beanspruchen.
Eines ist sicher: Das frühe Inkrafttreten des Abkommens wird einiges an Aufmerksamkeit beanspruchen. In Marrakesch werden die Vertragsstaaten des Pariser Abkommens zur ihrer ersten „Vollversammlung“ zusammentreten. Man darf vermuten, dass viele Regierungen die gute Stimmung seit dem Pariser Klimagipfel weiter befeuern wollen. Sie werden dafür auch auf verschiedene Entwicklungen außerhalb der Klimaverhandlungen verweisen, darunter die ersten Schritte der African Renewables Energy Initiative, für die die Geberländer in den kommenden Jahren zehn Milliarden US-Dollar mobilisieren wollen, sicher auch die vielversprechenden Vereinbarungen zum Abbau von klimaschädlichen Chemikalien unter dem Montrealer Protokoll zum Schutz der Ozonschicht. Die Schönredner werden vermutlich sogar die sehr schwachen Beschlüsse zum Klimaschutz im internationalen Flugverkehr unter dem Dach der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) heranziehen. Und auch dies ist sicher: Am zweiten Tag der Konferenz, dem 8. November, werden die Delegationen den Atem anhalten – denn dann wählen die USA ihren neuen Präsidenten, und Kandidat Donald Trump hat schon herumgepoltert, dass er das Abkommen flugs wieder aufkündigen würde.
Es geht ins Eingemachte
Dessen ungeachtet steht auf der COP-22 die Umsetzung des Abkommens im Mittelpunkt. Offizielle Hauptaufgabe der Konferenz in Marrakesch ist es, das Regelwerk des Pariser Abkommens auszuarbeiten und seine oft recht vagen Artikel mit Leben zu füllen. Beispielsweise ist zu klären, wie die regelmäßige Überprüfung der Umsetzung des Abkommens aussehen soll und was die Regierungen anschließend mit den Ergebnissen machen werden (außer einen dicken Abschlussbericht füllen). Zu klären wird auch sein, in welchem Format, nach welcher Metrik und mit welchen Zusatzinformationen die Länder in künftigen Runden ihre Selbstverpflichtungen einreichen sollen, was dadurch verkompliziert wird, dass deren Art und Umfang auch weiterhin den Ländern überlassen bleibt. Schließlich gilt es, Regeln zu entwickeln, wie über die Umsetzung der Klimaschutz-Selbstverpflichtungen und die geleisteten Finanzhilfen für die Entwicklungsländer zu berichten ist.
Klaffende Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Der Wert des Pariser Klimaschutzabkommens bemisst sich letzten Endes daran, wieviel Klimaschutz die Staaten seinetwegen betreiben. Die Aussichten sind düster. Die erste Runde der Selbstverpflichtungen ist so schwach, dass die sich daraus ergebenen Entwicklungspfade für die weltweiten Treibhausgasemissionen auf eine Erwärmung um 3°C hinauslaufen, weit jenseits der verabredeten maximal 2°C bzw. 1,5°C. Das ist hinlänglich bekannt und steht auch schon in den Pariser Beschlüssen. Verhandelt wird darüber auf der COP-22 aber nicht – es gilt das Prinzip Hoffnung, dass die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit durch mehr Klimaschutz in späteren Runden geschlossen wird. Was kaum möglich sein wird, weil die für die Einhaltung der Temperaturobergrenzen noch maximal zulässigen Restbudgets für Treibhausgase verbraucht sein wird. Oder: Wenn nicht sofort nachgebessert wird, wird das Abkommen ziemlich bald zu Makulatur.
Es hilft nicht, dass sich die vom Klimawandel besonders bedrohten Länder seit Jahren darüber beklagen, solange die mächtigen Staaten nicht einsichtig sind, und dass sich das bald ändert, ist derzeit nicht zu erkennen. Beispiel Europa: Obwohl sie vor einem Jahr noch Mitinitiator einer Allianz für mehr Ambition im Abkommen war, sah die EU schon damals keine Aufforderung darin, das schwache eigene Ziel von nur 40 Prozent Reduktionen bis 2030 (gegenüber 1990) nachzubessern. Dabei ist es bereits heute zur Hälfte erfüllt und kann mit Blick auf die Wirtschaftskraft der EU und ihrer Verantwortung für den Klimawandel kaum als fairer Beitrag zum globalen Klimaschutz bezeichnet werden. Stattdessen zerschießt die EU ihren mageren Beitrag derzeit bei der Umsetzung in europäische Gesetzgebung etwa zum Emissionshandel mit industriefreundlichen Regeln und Schlupflöchern, die das ohnehin schwache Ziel weiter aushöhlen.
Dritte Säule Verluste und Schäden?
Ein weiterer Knackpunkt ist der Umgang mit Verlusten und Schäden infolge des Klimawandels, etwa Zerstörungen infolge von Unwetterkatastrophen oder Landverlust durch den steigenden Meeresspiegel. Schon 2013 wurde dafür ein spezieller „Mechanismus“ eingerichtet, und das Pariser Abkommen enthält dazu einen eigenen Artikel.
Aufgabe der COP-22 wird es nun sein, das Arbeitsprogramm dieses Mechanismus für die kommenden Jahre festzulegen. Dabei wird sich herausstellen, ob der Mechanismus weiterhin eher eine Art Arbeitsgruppe bleibt oder sich im Laufe der Zeit eine konkrete Anlaufstelle entwickelt, an die sich eines Tages von Schäden und Verlusten betroffene Staaten wenden können. Anders als früher arbeiten die Industrieländer inzwischen konstruktiv am Thema mit – solange es um die Verringerung von Verlusten und Schäden (etwa durch geeignete Anpassungsmaßnahmen) geht oder um Versicherungslösungen zur Abfederung von Schäden. Ein rotes Tuch bleiben hingegen mögliche Kompensationsforderungen infolge künftiger Klimaschäden, die die Industrieländer als Hauptverursacher des Klimawandels weiter kompromisslos ablehnen.
Baustelle: Finanzhilfen zur Anpassung
Jahrelang haben sich die Industrieländer geweigert, darüber Auskunft zu geben, wie sie ihr 2009 gegebenes Versprechen erfüllen wollen, die Klimazusagen für die armen Länder bis 2020 auf 100 Mrd. US-Dollar pro Jahr zu steigern, um in diesen Ländern die klimafreundliche Entwicklung zu fördern und die Anpassung an die klimatischen Veränderungen zu unterstützen. Rechtzeitig zur COP-22 haben die Industrieländer nun einen Fahrplan zur Umsetzung des 100-Milliarden-Versprechens vorgelegt. Demnach sollen bis 2020 die öffentlichen Mittel ein Niveau von etwas unter 70 Mrd. US-Dollar pro Jahr erreichen. Für die übrigen Gelder zur Erfüllung des Versprechens wollen die Geberländer die private Wirtschaft mobilisieren. Ein Kernproblem der Klimafinanzierung bleibt aber bestehen: Die Hilfen für den Bereich Anpassung, also etwa zum Schutz von Ernten vor Dürren, zur Sicherung der Wasserversorgung oder zur Erhöhung der Widerstandskraft der Menschen gegen künftige Unwetterkatastrophen würden dem Fahrplan nach 2020 nur knapp ein Fünftel der Mittel ausmachen – diese Schieflage ist seit Jahren Streitthema bei den Verhandlungen.
Ob und wie die COP-22 den 100-Milliarden-Fahrplan würdigen wird, wird also auch davon abhängen, welchen konkreten Schritten die Geberländer zur Erhöhung der Mittel für die Anpassung an den Klimawandel zustimmen werden. Immerhin hat Marokko als Gastgeberland der Konferenz, das Thema Anpassung an den Klimawandel zum Schwerpunkt erklärt und möchte hier konkrete Ergebnisse erzielen – nicht zuletzt, weil Afrika von den Folgen des Klimawandels besonders betroffen ist.
Wer gehofft hatte, dass die COP-22 eher nebensächlich wird, dürfte sich irren.
Wer gehofft hatte, dass die COP-22 eher nebensächlich wird, dürfte sich irren. Umwälzende Ergebnisse stehen zwar nicht an, zumal bei vielen Themen die Verhandlungen zunächst einmal aufgenommen oder fortgeführt, nicht aber unbedingt abgeschlossen werden müssen und die Arbeit am Regelwerk des Abkommens teilweise eher technischer Natur sein wird. Aber gerade die konkrete Umsetzung internationaler Verträge hat großen Einfluss darauf, ob diese ihre Wirkung auch wirklich entfalten können oder letztlich doch zum Rohrkrepierer werden. Zumindest werden die Delegierten mit viel Vorschussvertrauen in Marrakesch ankommen, denn noch wirkt der gute Geist von Paris nach.
1 Leserbriefe
Frau Merkel , das wir ihnen doch sehr gefallen . Übrigens , das ist die Frau , die als eine ihrer ersten Handlungen im Amt der Bundeskanzlerin den Kriegsverbrecher Busch einlud .