Afghanistan, Irak, Libyen: Die Liste der Länder, die in den vergangenen Jahren militärische Interventionen erfahren haben, wird immer länger. In Afghanistan waren es erst die Finanz- und Waffenhilfen der USA und ihrer Verbündeten Saudi-Arabien und Pakistan, die die Mudschaheddin und in direkter Folge die Taliban in deren Kampf gegen die Sowjetunion stark gemacht haben. Wenige Jahre später mussten die USA mit Hilfe der Weltgemeinschaft versuchen, das angerichtete Unheil wieder einzudämmen.

Bei 9/11 zeigte sich: Der Geist, den die USA aus der Flasche gelassen hatten, richtete sich in Gestalt al-Qaidas und namentlich Osama bin-Ladens gegen sie selbst. Es folgten Jahre des Krieges und Kampfes, in denen vor allem eines klar wurde: Die Taliban und ihre Unterstützer denken mitnichten daran aufzugeben. Und die afghanische Bevölkerung, von der man eigentlich erwartet hatte, dass sie ihre Befreier frenetisch feiern würde, zeigte sich nach Jahrzehnten der Gewalt von der neuen Militärpräsenz nur wenig begeistert. Heute, 13 Jahre nach dem Einmarsch der USA und ihrer Verbündeten in das Land am Hindukusch, steht zwar der Truppenabzug kurz bevor, doch es ist zu befürchten, dass das Land erneut in Gewalt und Bürgerkrieg versinken wird.

 

Auf Lügen gebaut

Um 2003 den Einmarsch im Irak zu legitimieren, belog die damalige US-Administration von Präsident George W. Bush sogar den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Der Sicherheitsrat verweigerte zwar seine Zustimmung, doch die USA und ihre Koalition der Willigen griffen den Irak nichtsdestoweniger in einem nicht legitimierten völkerrechtswidrigen Krieg an. Der Einmarsch von damals hat auch die Katastrophe von heute zur Folge. Der Siegeszug der Terrorbanden des Islamischen Staats, die Flucht hunderttausender Menschen vor den Gräueltaten der Soldateska, die Auflösung ganzer Nationalstaaten sind Ergebnisse der Invasion.

 

Chaos als Erfolg verkauft

Einen eigenwilligen Blick auf die Welt pflegt auch der Noch-Generalsekretär der NATO Anders Fogh Rasmussen. In aller Ernsthaftigkeit erklärte er, der Einsatz in Libyen 2011 sei einer der „erfolgreichsten in der Geschichte der NATO“ gewesen. Angesichts des totalen Chaos in dem Land und der anhaltenden humanitären Katstrophe fragt man sich unwillkürlich, was denn wohl die weniger erfolgreichen NATO-Einsätze in der Welt so alles angerichtet haben. Die Diktatur Gaddafis wurde durch eine Diktatur der Milizen ersetzt. Das Parlament, von einer Vielzahl dieser Kampfverbände ohnehin nicht als rechtmäßig anerkannt, musste aus der Hauptstadt Tripolis fliehen und tagt nun auf einer griechischen Fähre nahe der ägyptischen Grenze.

Die Diktatur Gaddafis wurde durch eine Diktatur der Milizen ersetzt.

Das Schiff, auf dem sie derzeit nicht nur arbeiten, sondern mit ihren Familien auch wohnen, ist der einzige Ort, an dem sich die Parlamentarier noch halbwegs sicher fühlen können. Auf dem Autodeck spielen die Kinder, die Frauen sitzen im Restaurant an Bord – wie lange das so gehen soll, ist ungewiss. Die Übergangsregierung hat alle wichtigen Städte verloren, einzig einige Ölfelder kontrolliert sie noch. Mit dem Geld des libyschen Staates, das auf Konten im Ausland lagert, will sie die Armee reformieren und wieder schlagfertig machen. Und dann, so die vage Hoffnung, sollen die verlorenen Gebiete zurückerobert werden. Doch die Gerüchteküche brodelt. Andere arabische Länder würden ihre jeweiligen Lieblingsmilizen in dem schwer gebeutelten Land unterstützen. Katar versus Vereinigte Arabische Emirate sei so ein Stellvertreterkrieg und wohl auch Ägypten sei dort in die Auseinandersetzungen involviert.

Allein schon derartige Vorwürfe, bewiesen oder nicht, zeigen, wie feindlich und unversöhnlich sich die Lager in dem unregierbaren Wüstenstaat gegenüber stehen.

Ob sich Libyen aus dem Würgegriff der Gewalt wieder befreien kann und wie sich die Menschen in Libyen wieder zu einem gemeinsamen Volk zusammenfinden können, darauf haben Herr Rasmussen und die NATO keine Antwort. Für sie ist, wie zitiert, der Einsatz erfolgreich zu Ende gebracht. Doch er hinterlässt ein tief gespaltenes Land ohne Aussicht auf Frieden und Demokratie. Auf meine Frage im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags räumte Rasmussen ein, dass man sich wohl künftig mehr Gedanken darüber machen müsse, was nach einer Militärintervention folge.

 

Klare Regeln für Umgang mit Diktaturen

Irak, Afghanistan, Libyen, das sind nur drei Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit. Die Taliban wurden kurzzeitig geschlagen, nur um nun stärker denn je zurückzukommen. Der Irak wurde von Saddam Hussein befreit und Libyen von Muammar Gaddafi – doch Terroristen haben die Länder an sich gerissen. Diese und andere gescheiterte „Missionen“, oft mit dem Argument begründet „nicht wegschauen zu wollen“, haben in der Konsequenz die Lage für die nach dieser Logik eigentlich zu rettende und zu demokratisierende Bevölkerung deutlich verschlimmert. 

Es müssen klare Regeln für den Umgang mit Diktaturen entwickelt werden.

Das Eingestehen des eigenen Scheiterns in den genannten Konflikten könnte als erster Schritt einen Prozess des Umdenkens einleiten. Für die alte Cowboy-Weisheit „erst schießen, dann fragen“ gibt es im 21. Jahrhundert auf dieser Welt keinen Platz mehr. Frühzeitig müssen international Debatten zur Krisenprävention geführt werden. Es müssen klare Regeln für den Umgang mit Diktaturen entwickelt werden. Afghanistan, Irak und Libyen lehren vor allem auch Zurückhaltung beim Einsatz militärischer Gewalt. Demokratie ist kein Exportartikel, den man mit Waffengewalt zu Markte trägt. Territorien lassen sich, wie in Afghanistan, verteidigen oder erobern. Regime lassen sich, wie in Irak oder in Libyen, stürzen. Eine friedliche, demokratische Gesellschaft kann aber, soviel Gewissheit besteht nun, mit Soldaten oder Drohnen kaum durchgesetzt werden.