Knapp drei Jahre nach der Erarbeitung des historischen Pariser Klimaabkommens steht die Welt erneut am Scheideweg. Vom 2. bis 14. Dezember treffen sich im polnischen Kattowitz die Mitglieder der UN-Klimarahmenkonvention, um bei der 24. Conference of Parties (COP 24) über konkrete Schritte zur Umsetzung des Weltklimavertrags zu entscheiden. Die Staats- und Regierungschefs müssen auch diesmal eine Reihe hochkomplexer Fragestellungen bearbeiten. Die Veröffentlichung des Sonderberichts des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zum 1,5-Grad-Ziel hat den Handlungsdruck gesteigert. Zwar sind die darin enthaltenen Botschaften nicht neu, doch sie bekräftigen in aller Dringlichkeit und mit hoher wissenschaftlicher Evidenz, in welcher Situation wir uns aktuell befinden. Für die Menschheit gibt es zwei Optionen: entweder sie setzt alles daran, die globale Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen. So könnten die Ökosysteme sowie die Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen weltweit erhalten werden.
Oder wir unternehmen nichts oder wenig. Damit brächten wir die Welt auf einen Erwärmungspfad von 3-4 Grad oder schlimmer. Inklusive wären die damit verbundenen verheerenden Auswirkungen wie beispielsweise unkontrollierbare und häufiger auftretende extreme Wetterereignisse wie Überschwemmungen oder Dürren. Diese werden nicht nur Menschen das Leben kosten und Zerstörungen anrichten. Sie werden auch Entwicklung verhindern und Konflikte befeuern. Die COP 24 ist nicht der einzige Schritt, um das 1,5-Grad-Ziel und die damit verbundenen Vorteile für Mensch und Natur noch erreichen zu können. Wohl aber werden die Ergebnisse entscheidende Impulse geben. In Kattowitz wird darüber entschieden, ob es uns gelingt, den Energie- und Verkehrssektor, die Landwirtschaft und die Industrie auf kohlenstoffarme Entwicklungspfade zu bringen. Es wird darüber entschieden, ob wir das wohl wichtigste Rennen der Menschheit zur Erhaltung unseres Planeten gewinnen können.
Damit die kommende Klimakonferenz ein Erfolg werden kann, sind vor allem zwei Dinge wichtig. Zum einen geht es natürlich darum, die technischen Hausaufgaben zu erledigen. Das mag langweilig klingen. Es ist aber ein essentieller Schritt, um das Pariser Klimaabkommen überhaupt umsetzen zu können. Zum Arbeitsprogramm der COP 24 gehört die Erarbeitung und Verabschiedung eines ausbalancierten und robusten Regelwerks, das sich beispielsweise zu Fragen der Transparenzregeln oder der Berichterstattung äußert. Die vorliegende Version ist noch immer viel zu lang. Außerdem nehmen besonders Entwicklungsländer einen Mangel an Ausgeglichenheit der zu behandelnden Fragen wahr. Das könnte den gesamten Prozess schwächen und in die Länge ziehen. Die offizielle Verabschiedung des Paris Rulebook in Kattowitz ist sehr wichtig, denn nur so kann das Weltklimaabkommen ab 2020 wirken und nur so besteht die Möglichkeit, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Wie bei vorherigen Klimakonferenzen auch wird das Thema Klimafinanzierung ebenfalls auf der politischen Agenda stehen und bei einigen Fragen vielleicht sogar das Zünglein an der Waage sein.
Die aktuellen Verpflichtungserklärungen der Staaten bringen uns auf einen Erwärmungspfad von 3-4 Grad, mit katastrophalen Folgen für Mensch und Natur.
Die Crux liegt dabei zum einen in konkreten finanziellen Zusagen der Industrieländer, beispielsweise zur Frage, wie der Green Climate Funds wieder aufgefüllt und das Finanzierungsziel von 100 Milliarden US-Dollar jährlich ab dem Jahr 2020 eingehalten werden soll. Zum anderen wird sich einer der zentralen Konflikte daran entzünden, ob Finanzierungszusagen der Industrieländer im Voraus hinsichtlich Höhe und Ausgabeziel bekanntgegeben werden. Für viele Entwicklungsländer ist dieser Punkt sehr wichtig, um die Vorhersehbarkeit zu erhöhen und die Rechenschaftspflicht zu stärken. Finanzierungsfragen sind bei den Klimakonferenzen immer mit Vertrauen und Solidarität verbunden. Scheitern diese Verhandlungen, sind auch Erfolge in anderen Bereichen gefährdet. Mit der COP 24 sind außerdem dringend notwendige Ankündigungen zur Ambitionssteigerung der nationalen Klimaschutzbeiträge (Nationally Determined Contributions, NDCs) verbunden. Die aktuellen Verpflichtungserklärungen der Staaten bringen uns auf einen Erwärmungspfad von 3-4 Grad, mit den bekannten katastrophalen Folgen für Mensch und Natur.
An diesem Punkt wird sich daher zeigen, ob die Staaten den Bericht des IPCC und das 1,5-Grad-Ziel ernstnehmen. Nur wenn Bereitschaft zur Steigerung der eigenen Emissionsminderungsziele gezeigt wird, können wir noch rechtzeitig handeln und das Schlimmste verhindern. Eine Reihe von Instrumenten wie beispielsweise der Talanoa-Dialog sind gut geeignet, um eine Ambitionssteigerung zu unterstützen. Ob sie allerdings Erfolg haben werden, muss auch im Kontext des Verhandlungsgeschicks und der Prioritäten der polnischen Präsidentschaft der COP 24 gesehen werden. Diese fokussiert sich in ihrer Arbeit vor allem auf drei Erklärungen zu gerechtem Strukturwandel (Just Transition), Elektromobilität und Klimaneutralität in Form von Wäldern. Sie hat im Vorfeld betont, sich vor allem auf die Verabschiedung des Regelwerks konzentrieren zu wollen. Das ist per se nicht schlecht. Es könnte aber dazu führen, dass für die so dringend notwendige Ambitionssteigerung kein ausreichender diplomatischer Raum mehr bleibt. Für die polnische Präsidentschaft stand diese bisher nicht oben auf der politischen Agenda.
Neben der wichtigen Verabschiedung eines robusten Regelwerks, verlässlichen Zusagen im Bereich Klimafinanzierung und einer Steigerung des Ambitionsniveaus braucht es aber vor allem eins, damit sowohl die COP 24 als auch die Monate danach zum klimapolitischen Erfolg werden können: Mut und politischen Willen. In Deutschland sind mit der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ zahlreiche Hoffnungen verbunden – national wie international. Die Veröffentlichung der Ergebnisse zur Planung eines sozialverträglichen Ausstiegs aus der Kohle wurde auf Intervention einer Akteursgruppe auf Januar beziehungsweise Februar 2019 verschoben. Ursprünglich war die Veröffentlichung für Dezember geplant, pünktlich zur UN-Klimakonferenz. Aus internationaler Sicht senden diese Verzögerungen ein problematisches Signal in die Welt. Andere Staaten schauen sehr genau auf Deutschland, auch wenn man das hier nicht wahrnimmt. Schafft es eine so starke und stabile Wirtschaftsnation nicht, schnell und sozialverträglich aus der Kohle auszusteigen, könnte das eine negative Sogwirkung haben und auch andere Staaten zum Abwarten bewegen. Für das Weltklima wäre das fatal.
Wir können Emissionen reduzieren, ohne unseren Wohlstand zu gefährden. Gleichzeitig geschieht gemessen an den Herausforderungen noch zu wenig, weil eine kleine Gruppe vom Status Quo profitiert.
Die deutsche Verhandlungsdelegation genießt innerhalb der UN-Klimarahmenkonvention noch immer großes Ansehen. Sie hat sich bisher als erfolgreicher Brückenbauer und progressiver Akteur für Fortschritte bei der Ausarbeitung und in der Umsetzung des Pariser Klimaabkommens eingesetzt. Die aktuellen Geschehnisse setzen sie in Kattowitz unter Druck und es wird sich zeigen, wie die internationale Gemeinschaft darauf reagieren wird. Leider scheint es so, als habe sich in den Ländern dieser Welt vielerorts noch nicht die Ansicht durchgesetzt, dass für die Mehrheit der Menschen – und zwar nicht nur im Globalen Süden, sondern auch hier bei uns – ein effektiver und ambitionierter Klimaschutz die bessere Alternative ist. Saubere Luft, nachhaltige und CO2-arme Mobilitätskonzepte, Nahrungsmittel aus nachhaltigen Quellen und gute Arbeitsplätze in den erneuerbaren Energien kommen allen zu Gute – auch der Wirtschaft.
Der IPCC Bericht zum 1,5 Grad Ziel hat deutlich gezeigt, dass die Hürden zu dessen Erreichung nicht im naturwissenschaftlichen Bereich liegen. Die Überwindung dieser Hürden ist allein vom politischen Willen abhängig. Wir haben heute die Möglichkeit, Emissionen zu reduzieren, ohne unseren Wohlstand zu gefährden. Gleichzeitig geschieht gemessen an den Herausforderungen noch zu wenig, weil eine kleine Gruppe vom Status Quo profitiert. Es bleiben nur wenige Jahre, um das Blatt zu wenden. Die EU hat mit ihrer am 28. November im Vorfeld der COP 24 veröffentlichten Langfriststrategie zum Klimaschutz einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung getan: In zwei von acht durchgespielten Szenarien erreicht die Union Klimaneutralität bis zum Jahr 2050. Das zeugt von politischem Willen, etwas zu verändern und die Zukunft zu gestalten.