In der Amtszeit des sozialistischen Präsidenten François Hollande hatte sich Frankreich im Vorfeld der Pariser Klimakonferenz von 2015 als Vorreiter in der Klimapolitik zu etablieren versucht. Hatte das Land bis dahin auf Energieunabhängigkeit durch den massiven Ausbau der Atomenergie gesetzt, die in den Höchstzeiten bis zu 80 Prozent zur Stromerzeugung beitrug, leitete die sozialistische Regierung Hollands eine Energiewende ein. Durch eine schrittweise Diversifizierung der Energieerzeugung sollte sie zu einer Senkung des Anteils nuklearer Energie beitragen. Zudem wurde eine deutliche Reduzierung der CO2-Emissionen anvisiert. Bis 2030 soll eine Verminderung um 40 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 erreicht werden.
Eine Schlüsselrolle kommt in dieser Energiewende dem Ausbau erneuerbarer Energien zu, deren Anteil am Energieverbrauch bis 2030 auf 32 Prozent steigen soll. Die Erreichung dieses Ziels verlangt eine Verdopplung der installierten Kapazitäten in den nächsten 10 Jahren – stellt die öffentliche Politik mithin vor enorme technische und finanzielle Herausforderungen. Derzeit liegt der Anteil der Kernenergie am Energieverbrauch noch bei über 40 Prozent, der der erneuerbaren Energien bei lediglich 11,4 Prozent.
Begleitet wurde dieser Politikwechsel durch eine breite „nationale Debatte zur Energiewende“, über die energie- und klimapolitische Themen fest in der öffentlichen Agenda verankert wurden. Auch in Frankreich ist mittlerweile der Schutz des Klimas und unserer natürlichen Umwelt zu einer Sorge ersten Ranges für viele Menschen geworden. Wie in anderen Ländern gingen zehntausende Schülerinnen und Schüler für ambitioniertere Maßnahmen gegen den Klimanotstand auf die Straße. Und nach einer Ipsos-Umfrage vom Sommer geben 52 Prozent an, dass der Schutz der Umwelt ihre Hauptsorge sei, und 48 Prozent wünschen sich, dass die Regierung Umwelt- und Klimaschutz zu ihrer prioritären Aufgabe mache. Gleichwohl werden diesen Prioritäten wirtschaftliche und soziale Erwartungen nicht gänzlich untergeordnet; nur etwa die Hälfte stellt den Schutz des Klimas über das Ziel wirtschaftlichen Wachstums – deutlich weniger als vergleichbare Umfragen für Deutschland angeben.
Die fehlende Transparenz und soziale Sensibilität bei der Ausgestaltung der „Taxe Carbon“ haben zu einer vorübergehenden Blockade dieses wichtigen Instruments der ökologischen Transformation geführt.
Wie sozial sensibel eine forcierte ökologische Transformation in Frankreich nach wie vor ist, zeigt sich an der C02-Steuer. Mit dem Gesetz zur „Energiewende für ein grünes Wachstum“ von 2015 wurde eine progressive Bepreisung fossiler Energieträger – die „Taxe Carbon“ – eingeführt. Beginnend mit einem Preis von sieben Euro pro Tonne CO2 sollte diese Steuer schrittweise erhöht werden. 2018 erreichte sie 44,6 Euro pro Tonne CO2 und spülte gut 9 Milliarden Euro in die französischen Staatskassen. Allerdings erreichte sie damit wohl auch eine für viele Franzosen sensible Schwelle. Denn eine von der Regierung Macron vorgesehene weitere Anhebung auf 86,2 Euro pro Tonne CO2 bis 2022 trug wesentlich zum Ausbruch der Gelbwesten-Bewegung im November letzten Jahres bei. Um diese Proteste zu beruhigen, sah sich die Regierung gezwungen, die Anhebung der C02-Steuer bis auf Weiteres auszusetzen.
Kritik entzündete sich an der „Taxe Carbon“ vor allem deshalb, weil sie als ungerecht empfunden wird. Zum einen bleiben bisher verschiedene Sektoren (Luftfahrt, Warentransport, Taxis) befreit, andererseits belastet sie Bezieher niedrigerer Einkommen proportional deutlich stärker. Während die 10 Prozent Einkommensschwächsten durchschnittlich 0,5 Prozent ihres Einkommens für diese Steuer aufwenden müssen, sind es im oberen Einkommensdezil nur 0,1 Prozent. Hinzu kommt, dass die beträchtlichen Einnahmen nicht in transparenter Weise zur Finanzierung der ökologischen Transformation oder für soziale Ausgleichsmaßnahmen eingesetzt wurden.
Die fehlende Transparenz und soziale Sensibilität bei der Ausgestaltung der „Taxe Carbon“ haben zu einer vorübergehenden Blockade dieses wichtigen Instruments der ökologischen Transformation geführt. Um aus dem Dilemma herauszukommen, einerseits die Pläne zur Reduzierung der CO2-Emissionen fortzusetzen, andererseits aber auch Akzeptanz für die dabei eingesetzten Instrumente wie die C02-Steuer zu finden, hat Präsident Macron mit der Einberufung eines Bürgerkonvents für das Klima reagiert.
Die Sozialisten haben die sozial-ökologische Transformation zum Kern ihrer programmatischen Erneuerung erkoren. Eine ökologische Stadtpolitik mit sozialem Augenmaß wird zu einem neuen „Markenkern“ entwickelt.
150 Bürgerinnen und Bürger, die einerseits nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurden, andererseits aber – nach Variablen wie Geschlecht, Alter, Einkommens- und Bildungsniveau sowie regionale Herkunft gefiltert – ein soziodemographisches Spiegelbild des Landes sein sollen, wurde die Aufgabe übertragen, neue Maßnahmen vorzuschlagen, um das gesteckte Ziel der Emissionsminderung um 40 Prozent bis 2030 zu erreichen. Ende Januar sollen sie ihre Vorschläge vorstellen.
Präsident Macron hat zugesichert, dass diese „ohne Filter“ dem Parlament oder in einem Referendum der Bevölkerung zur Beschlussfassung vorgelegt werden. Nach dem, was bisher aus dem und über das Bürgerkonvent zu hören ist, wird eine Wiederaufnahme der progressiven Steigerung der Taxe Carbon eher nicht zu ihren Vorschlägen gehören. Wie auch immer, für Macron sind die Ergebnisse des Bürgerkonvents ein Test seiner klimapolitischen Handlungsfähigkeit.
Und die braucht er. Denn auch in Frankreich schwimmen die Grünen auf einer Woge wachsender Besorgnis über den Klimanotstand. Bei den Europawahlen im Mai erwiesen sich die Linksökologen Europe Écologique – Les Verts (EEVL) mit 13,5 Prozent als drittstärkste politische Kraft und ließen die traditionellen Parteien – die bürgerlichen Republikaner und die Sozialisten – klar hinter sich. Dies ermuntert sie, bei den Kommunalwahlen im kommenden März nicht mehr nur als „Juniorpartner“ anderer progressiver Parteien anzutreten, sondern so häufig wie möglich eigene Kandidaten ins Rennen zu schicken. Besonders in den urbanen Metropolen rechnen sie sich gute Chancen aus.
Aber auch für ihre Mitbewerber führt kein Weg mehr an einer von Nachhaltigkeit und Klimaschutz geprägten Agenda vorbei. Insbesondere die Sozialisten haben die sozial-ökologische Transformation zum Kern ihrer programmatischen Erneuerung erkoren. Und die ist nicht bloßes „greenwashing“ einer konventionellen Agenda. Gerade in ihren kommunalen Hochburgen Paris, Nantes oder Rennes haben sie eine ökologische Stadtpolitik mit sozialem Augenmaß zu einem neuen „Markenkern“ entwickelt – und damit nach dem tiefen Fall bei den letzten Wahlen ein „Comeback“ auf der kommunalen Ebene zumindest in den Bereich des Möglichen gerückt.