Samuel Huntingtons These des „Clash of Civilizations“ sorgt seit rund zwanzig Jahren für eine kontroverse Debatte. Und gerade heute, wo die Nachrichten von Schreckensmeldungen aus aller Welt beherrscht werden und kriegerische Auseinandersetzungen wie die in der Ukraine oder in Syrien und im Irak, in Nigeria oder Mali etablierte Strukturen und Ordnungshüter in Frage stellen oder gar zerstören, erscheint manchen Beobachtern ein Rückgriff auf Huntingtons These offenbar verlockend, um wieder etwas Ordnung in das Chaos zu bringen. Im Februar-Themenschwerpunkt der Zeitschrift Internationale Politik und Gesellschaft haben sich daher namenhafte Experten und Politikwissenschaftler erneut mit der These auseinandergesetzt und sich der Frage gestellt, ob sie auf heutige Konflikte anwendbar ist.

 

Welche Rolle kann Huntingtons These heute für die Außenpolitik spielen? Können wir durch sie Erkenntnisse gewinnen, die sich politisch nutzen lassen, um Konflikte im Vorfeld zu vermeiden? Bietet sie – trotz ihrer offensichtlichen Lücken und Fehler – zumindest für einige Konflikte, wie beispielsweise dem in der Ukraine, eine Grundlage, aus der sich Handlungsmaximen ableiten ließen? Ist sie schlichtweg überholt oder wäre ein Rückgriff auf diese kontroverse These ein intellektueller Rückschritt? Ein Aspekt, der von der Mehrheit der Autorinnen und Autoren hervorgehoben wurde, ist für die Beantwortung dieser Fragen aus meiner Sicht zentral: Mit Blick auf die aktuellen Konflikte wird deutlich, dass die Bruchlinien nicht zwischen, sondern vielmehr innerhalb der jeweiligen Gesellschaft verlaufen.

 

Die Stärke von Huntingtons These liegt in ihrer Klarheit. Doch gerade in dieser vermeintlichen Klarheit liegt meines Erachtens auch ihre Schwäche.

 

Die Stärke von Huntingtons These liegt in ihrer Klarheit. Doch gerade in dieser vermeintlichen Klarheit liegt meines Erachtens auch ihre Schwäche. Sie malt unsere bunte Welt in schwarz-weiß. Die Mehrheit der Beiträge zum Schwerpunktthema zeigt auf, dass eine Theorie, die Konfliktursachen ausmachen will, weitaus komplexere Definitionen von Zivilisation und Identität, von Religion und Aufklärung zugrunde legen müsste. Auch die Inkonsistenz, die stetige Veränderung von Gesellschaften müsste berücksichtigt werden.

 

Huntingtons These unterschlägt zudem, dass es zahlreiche Konfliktursachen gibt, die sich häufig kumulieren. Er ignoriert mögliche Konfliktmotoren wie die Machtinteressen der Konfliktparteien, die Kompensation von verlorenem Status oder die Vortäuschung von Stärke vor der eigenen Bevölkerung. Darüber hinaus wird Huntingtons Definition von Gesellschaft als weitgehend homogen den vielfältigen Zivilgesellschaften, in denen wir leben, nicht gerecht. Das zeigt auch der jüngste Terroranschlag in Kopenhagen. Der Täter war nicht einfach ein radikaler Islamist – er war auch Teil der dänischen Gesellschaft, er gehörte zu ihr. Die Gesellschaften, in denen wir heute leben, werden immer komplexer – durch die Globalisierung, aber auch durch Flüchtlingsströme. Das ist keineswegs eine neue Erscheinung. Huntingtons These berücksichtigt dies nicht ausreichend.

 

Die aktuellen, komplexen Konflikte lassen sich also nicht auf den Aspekt der Zivilisation, auf das Aufeinanderprallen verschiedener Kulturen, reduzieren. Wer dies versucht, macht es sich entschieden zu einfach. Huntingtons These gar als „Prophezeiung“ zu betrachten, negiert die Möglichkeiten der Einflussnahme durch die unterschiedlichen Akteure und damit auch die der Politik. Außenpolitisches Handeln muss bedeuten, dass jeder Konflikt für sich, und nicht etwa pauschal mittels einer starren Hypothese, bewertet wird. Nur so können die vielfältigen und vielschichtigen Interessen, die jeden Konflikt beherrschen, analysiert werden. Und nur so kann in der Folge ein Weg gefunden werden, diese Konflikte auf diplomatische Weise beizulegen.