Selten hat ein wissenschaftlicher Beitrag einen so großen Einfluss auf die politische Debatte gehabt, wie Samuel Huntingtons „Kampf der Kulturen“. Auch die lange (Nach-) Wirkung ist außergewöhnlich. Einfluss und Langlebigkeit der Thesen sind jedoch nicht Ausdruck höchster wissenschaftlicher Qualität. Im Gegenteil: Fachkolleginnen und Kollegen haben schnell, analytisch überzeugend und empirisch belastbar aufgezeigt, dass Huntingtons Annahme vom Kampf der Kulturen nicht haltbar ist.

 

Die Zahl der Kritikpunkte und Gegenargumente ist groß. Die wichtigsten sind: Huntingtons zentrale Kategorie, der Kulturbegriff, bleibt vage und ist essentialistisch. Den Forschungsstand zu Kultur ignoriert er. Tatsächlich ist in den Kultur- und anderen Sozialwissenschaften ein konstruktivistisches Kulturverständnis verbreitet. Kultur ist demnach zugleich eine symbolische Struktur wie auch ein Produkt subjektiver Interpretationsleistungen. Sie ist veränderlich.

Wird der Blick weg von einem Kampf der Kulturen hin zu einer Kultur des Friedens gelenkt, dann kann dies ein Mehrwert der von Huntington angestoßenen Debatte sein.

Innerhalb einer Gesellschaft existieren immer auch unterschiedliche Kulturen. Huntington arbeitet dagegen mit gegebenen, scheinbar objektiv bestehenden Kulturen. Zudem ist die Einteilung in die acht Kulturkreise, zwischen denen er Bruchlinienkriege prognostiziert, wenig überzeugend. Während Huntington einerseits einzelne Staaten wie Japan mit Kulturkreisen gleichsetzt, definiert er andererseits viele Staaten umfassende Kulturkreise (wie „die“ westliche Kultur). Auch warum Religion der elementare Bestandteil von Kultur sein soll, erschließt sich nicht.

Empirische Analysen zeigen, dass bei den von ihm als „Bruchlinienkonflikte“ titulierten Kriegen kulturelle Differenzen kaum eine Rolle spielen. Wenn überhaupt, so sind sie nachweislich nur eine von mehreren Ursachen des Konfliktes. Ökonomische Differenzen, Umweltdegradation oder soziale Spannungen spielen eine ebenso große Rolle. Darüber hinaus ist die Betonung von kultureller Identität zumeist Ergebnis, nicht Ursache eines Konfliktes. So werden kulturelle Unterschiede konstruiert, um beispielsweise Kombattanten zu mobilisieren. Schließlich blendet Huntington die potenziell friedensfördernde Wirkung von Kulturen und kulturellen Austauschbeziehungen aus.

Wird der Blick weg von einem Kampf der Kulturen hin zu einer Kultur des Friedens gelenkt, dann kann dies ein Mehrwert der von Huntington angestoßenen Debatte sein. Dieses Potenzial erkennt die UNESCO in ihrer 1999 verabschiedeten Erklärung zur Kultur des Friedens. Darin will sie Wertvorstellungen, Einstellungen, Traditionen, Verhaltens- und Lebensweisen unterstützen, die dazu beitragen, dass das Leben geachtet und Gewalt beendet wird. Gewaltlosigkeit soll durch Erziehung, Dialog und Zusammenarbeit eingeübt und gelebt werden. Die UN-Generalversammlung hat nachfolgend das Jahr 2000 zum „Internationalen Jahr für eine Kultur des Friedens“ bestimmt, außerdem eine UN-Dekade für eine Kultur des Friedens eingesetzt.

Auch wenn die Ziele, Akzeptanz, Toleranz und Dialog zu fördern, natürlich nur in Ansätzen erreicht werden konnten, so kommt der Kultur des Friedens eine wichtige Funktion zu. Sie stellt ein alternatives Konzept zur quasi naturwüchsig erscheinenden Verbindung von Kultur und Konflikten dar. Kultur kann Frieden stiften, etwa auch durch Menschenrechtsbildung. Die Förderung von Toleranz und Dialog ist in den heutigen Zeiten, in denen in Deutschland gegen vermeintlich fremde Kulturen demonstriert wird, besonders wichtig. Die Kultur des Friedens kann so stellvertretend für einen Pluralismus von Kulturen, für ein konstruktives Neben- und Miteinander von kultureller Vielfalt, stehen.