Bis zum 11. September 2001 betrachteten die meisten Amerikaner Muslime als Kuriosität. Nach Schätzungen des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center leben in den USA derzeit rund drei Millionen Muslime, das sind etwa ein Prozent der rund 323 Millionen US-Bürger – in Deutschland sind es fünf Prozent von 80 Millionen. Die Amerikaner hatten durch Sportlegenden wie Muhammad Ali und den Basketballspieler Kareem Abdul-Jabbar vom Islam gehört und kannten Nachbarn und Kollegen, die im islamischen Mondmonat Ramadan von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang fasten. Mit 9/11 änderte sich das schlagartig. Über Nacht wurden die muslimischen Amerikaner wegen der schrecklichen Taten einiger weniger Islamisten angefeindet und angegriffen. Plötzlich waren wir nicht mehr nur die Barbaren vor den Toren der Stadt, sondern der Feind innerhalb der Stadtmauern, und man schor uns alle über einen Kamm, der nicht zwischen Muhammad Ali und Muhammad Ata unterschied.

Egal, wie entschieden wir die Terroristen verurteilen, weil sie sich auf eine militante Interpretation des Islam berufen, die eine Mehrheit der 1,6 Milliarden Muslime auf der Welt ablehnt, bleibt das Etikett des Terroristen oder des Sympathisanten hartnäckig an uns kleben. „Warum wenden sich moderate Muslime nicht offen gegen den islamischen Terrorismus?“, lautet ein Refrain, den wir trotz aller deutlich vernehmbaren Beweise des Gegenteils immer wieder zu hören bekommen.

Die demoralisierende Folge dieses Etiketts ist, dass unsere amerikanischen Mitbürger uns oft wie einen Monolith behandeln, gerade so, als dächten und handelten wir alle gleich. Nichts könnte der Wahrheit ferner liegen. Wir sind ebenso uneinig wie Christen, Juden und Anhänger anderer Religionen auch. Die Schiiten und die Sunniten haben ihre jeweils eigenen Moscheen, und die beiden Glaubensgruppen treffen nur selten aufeinander; allerdings kommt es zwischen ihnen, anders als zum Beispiel in Pakistan, nicht zu Gewalttätigkeiten. Es gibt konservative Moscheen, liberale Moscheen und Moscheen, die irgendwo dazwischenliegen. Geleitet werden sie von Imamen, die sich kaum auf Englisch verständlich machen können, oder auch von solchen, die die Sprache fließend sprechen, und ihre Kenntnis des Islam bewegt sich auf der gesamten Skala zwischen 1 bis 10.

Unser Frust ist exponentiell gewachsen, seit Donald Trump die Bühne betrat. Der republikanische Präsidentschaftskandidat fordert „ein totales und komplettes Einreiseverbot für Muslime in die Vereinigten Staaten, bis die Vertreter unseres Landes herausbekommen, was eigentlich vor sich geht.“ Da wollte Senator Ted Cruz aus Texas nicht nachstehen und erklärte, dass „wir den Polizeivollzug ermächtigen müssen, muslimische Viertel zu patrouillieren und zu sichern, ehe sie radikalisiert werden“. Nach dem Attentat von Nizza erklärte der frühere Sprecher des Repräsentantenhauses Newt Gingrich: „Die westliche Zivilisation befindet sich im Krieg. Wir sollten wirklich jeden mit muslimischer Herkunft, der hier ist, überprüfen, und wenn er an die Scharia glaubt, sollte er abgeschoben werden.“

Eine weitere Quelle der Frustration, wenn auch unmerklicher und schleichender, sind die muslimischen Amerikaner selbst. Wir sind nicht nur Opfer von Stereotypen, sondern viele von uns haben auch eine stereotype Sicht unserer amerikanischen Mitbürger. Wir gehen reflexhaft in die Defensive, wenn sie uns zum Beispiel danach fragen, warum es meist unzufriedene Muslime sind (in San Bernardino, Orlando, Nizza), die zur Gewalt greifen, wo es doch in der Bevölkerung Tausende von Unzufriedenen gibt, die das nicht tun. Wir streiten das wahlweise komplett ab, schreiben es geistiger Verwirrung zu (die durchaus eine Ursache sein kann), behaupten in selbstgerechter Entrüstung, dass es in jeder Religion Terroristen gibt (als würde das Massenmorde rechtfertigen), oder fordern, dass die Dschihadisten einer Psychoanalyse unterzogen werden, um herauszufinden, warum solche Monster aus ihnen wurden.

Diese Denkweise ist ungerecht und inakzeptabel. Wir müssen die Selbstsicherheit entwickeln, uns einzugestehen, dass es gestörte Muslime gibt, die terroristische Anschläge planen. Selbst wenn es nur einer wäre, wäre es schon einer zu viel. Denken wir an die Morde durch Major Nidal Malik Hasan in Fort Hood, Texas (2009), die Tsarnaev-Brüder in Boston (2013), Muhammad Youssef Abdulazeez in Chattanooga, Tennessee (2015), das muslimische Bonnie-und-Clyde-Duo Syed Rizwan Farook und Tashfeen Malik in San Bernadino, Kalifornien (2015) und Omar Mateen in Orlando, Florida (2016).

Angesichts existenzieller Bedrohungen durch religiöse Eiferer haben die Amerikaner jedes Recht zu fragen, ob sie in unserer Gegenwart sicher sind.

Angesichts existenzieller Bedrohungen durch religiöse Eiferer haben die Amerikaner jedes Recht zu fragen, ob sie in unserer Gegenwart sicher sind. Das macht sie noch lange nicht intolerant, wie einige von uns voreilig behaupten. Wir müssen uns ernsthaft und auf verschiedenen Ebenen mit unseren Mitbürgern auseinandersetzen, ihnen ihre Sorge nehmen und sie davon überzeugen, dass wir den Terrorismus ebenso wie sie loswerden wollen.

Die Islamfeindseligkeit in Amerika ist eine Tatsache, und wir fürchten uns vor ihren Folgen. Frauen mit Hidschab wurden schon angespuckt, getreten und geschlagen, muslimische Studenten werden häufig schikaniert und als Terroristen beschimpft. Besonders akut ist das Problem in New York, wo 10 Prozent der Kinder und Jugendlichen an öffentlichen Schulen Muslime sind. „Dein Vater ist IS. Bist du auch IS?“, wurde kürzlich ein Junge von Klassenkameraden geärgert. In mehreren Fällen holte man bereits Muslime wegen ihres Glaubens aus dem Flugzeug. Moscheen wurden mit Brandbomben attackiert oder mit Schweineblut bespritzt.

Nichts spielt dem IS mehr in die Hände als ein Präsident Trump, weil die Islamisten dann eine Rechtfertigung haben, den Kampf der Kulturen zu entfachen.

Wir fürchten auch die Verbindung zwischen dem IS-Terrorismus und einer möglichen Präsidentschaft Donald Trumps. Nach jedem terroristischen Anschlag steigen Trumps Umfragewerte an. Nichts spielt dem IS mehr in die Hände als ein Präsident Trump, weil die Islamisten dann eine Rechtfertigung haben, den Kampf der Kulturen zu entfachen. Und nichts gefällt dem republikanischen Demagogen mehr, als seinen Anhängern nach einem Terroranschlag sagen zu können, er habe ja schon immer gewusst, dass Muslime Terroristen sind, und man müsse sie ausweisen, um „Amerika wieder groß zu machen“.

Doch Frust und Angst nehmen unser Denken nicht völlig in Beschlag. Ein Gegengewicht zu diesen negativen Gefühlen bilden die Sicherheit unserer verfassungsmäßigen Rechte und die grundlegende Fairness, die wir als Amerikaner von unseren gewählten Vertretern erwarten.

Hillary Clinton, die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, sagte zu Trumps Vorschlag nach den Morden von Orlando, die Muslime aus den Vereinigten Staaten zu verbannen: „Nicht eine einzige von Donald Trumps fahrlässigen Ideen hätte in Orlando auch nur ein Leben gerettet. Ein Einreiseverbot von Muslimen hätte dieses Attentat nicht verhindert.“ Präsident Obama reagierte auf Newt Gingrichs Vorschlag, eine „religiöse Prüfung“ einführen, mit den Worten: „Allein schon der Vorschlag ist widerlich und beleidigt alles, wofür wir als Amerikaner stehen.“

Diese Stimmen der Vernunft geben uns Hoffnung. Die meisten muslimischen Amerikaner dürften wohl für Hillary Clinton stimmen, obwohl ich in der San Francisco Bay Area auch Muslimen begegne, die Trump wählen wollen. Auf meine Bitte, das zu erklären, erwidern sie: „Nur Trump kann Terroristen von der Einreise nach Amerika abhalten.“

Doch insgesamt kann man sagen, dass wir Hillary Clinton mit sozialer Inklusion, Trump mit Exklusion verbinden. Das ist auch der Hauptgrund, warum Clinton für die meisten muslimischen Amerikaner die Kandidatin der Wahl ist.

Dieser Artikel ist zuvor ungekürzt und auf Englisch in der Serie „Spotlight elections“ der Friedrich-Ebert-Stiftung erschienen.