Der US-amerikanischen Wirtschaft geht es wieder blendend – so lautet jedenfalls das Mantra der Regierung von Barack Obama. Angesichts der desaströsen Ausgangslage nach der Finanz- und Wirtschaftskrise – als sich Wirtschaft und Arbeitsmarkt im freien Fall befanden – kann der amerikanische Präsident heute durchaus stolz auf das Erreichte sein: eine offizielle Arbeitslosenquote von fünf Prozent, sechseinhalb Jahre kontinuierliches Wachstum und Verdopplung des Dow-Jones-Index seit dem Tiefpunkt der Krise. Auch die globalen Unsicherheiten wie die schwächelnde chinesische Wirtschaft und der niedrige Ölpreis machen der Regierung momentan wenig Sorgen. Arbeitsminister Thomas Perez bringt die positive Haltung auf den Punkt: „[...] die US-Wirtschaft ist unglaublich robust.“

Diese Haltung verwundert nicht, liefern die guten Daten doch perfekte Voraussetzungen für den erneuten Einzug der Demokraten ins Weiße Haus. Noch immer spielt das Thema Wirtschaft eine entscheidende Rolle im Präsidentschaftswahlkampf.

Noch immer spielt das Thema Wirtschaft eine entscheidende Rolle im Präsidentschaftswahlkampf.

Doch irgendwann wird auch der lang anhaltende Aufschwung zu einem Ende kommen, und die US-Wirtschaft ist darauf schlecht vorbereitet. Überhaupt verbergen sich hinter den rosigen Zahlen strukturelle Probleme, die es anzupacken gilt: ein Arbeitsmarkt, der nicht nur Minderheiten und Frauen diskriminiert, eine niedrige Erwerbsquote, stagnierende Löhne, mangelnde Investitionen in Infrastruktur und Bildung, steigende soziale Ungleichheit und ein Finanzsystem, das immer noch auf zu wenige, große Banken konzentriert ist.

Zu den strukturellen Problemen kommen zwei weitere Herausforderungen hinzu: das Ende der „Nullzinspolitik“ der amerikanischen Notenbank und der politische Stillstand in Washington. Die weiterhin niedrige Inflation und der robustere Arbeitsmarkt waren Ende letzten Jahres der Anlass zur ersten, vorsichtigen Anhebung des Leitzinses seit 2006. Sollte es zu einer neuen Rezession kommen, hat die Fed ihr geldpolitisches Pulver weitgehend verschossen. Die festgefahrene Situation zwischen US-Präsident und Kongress bedeutet auch, dass eine antizyklische Wirtschaftspolitik in einer neuen Rezession unwahrscheinlich ist.

Es wird deutlich, warum trotz aller Erfolge wichtige Weichenstellungen vorgenommen werden müssen. Dies führt unweigerlich zur Frage: Wie stellen sich die US-Präsidentschaftskandidaten wirtschaftspolitisch auf? Hat ein Geschäftsmann wie Donald Trump die besseren Rezepte als Senator Bernie Sanders, der sich selbst als demokratischer Sozialist bezeichnet?

 

Das US-Finanzsystem oder „Nieder mit der Wall Street“

Eine der schärfsten Auseinandersetzungen des Vorwahlkampfs auf Demokratischer Seite lieferten sich die Umfragespitzenreiter Hillary Clinton und Bernie Sanders bei der Frage nach der Regulierung der Wall Street. Während Clinton die Finanzmarktreform Obamas, das sogenannte „Dodd-Frank-Gesetz“ verteidigte, warf ihr Senator Sanders vor, dass sie in einem Jahr mehr als 600 000 US-Dollar an Vortragsgage der Bank Goldman Sachs erhalten habe, die mit für die Finanzkrise verantwortlich war. Sanders möchte die sechs größten US-Finanzinstitute zerschlagen, die im Zuge der Krise mit 700 Milliarden US-Dollar an Steuergeld gerettet wurden. Daneben schlägt er die Wiedereinführung von „Glass-Steagall“ vor – dem Gesetz, das es Banken bis 1999 untersagte, reguläre Bank- und Investmentaktivitäten zu vermischen. Hillary Clinton bevorzugt schrittweise Reformen. Neben einer Bankenabgabe nach Größe und Risiko für das Finanzsystem sollen Banken weniger riskant agieren: Top-Manager erfahren finanzielle Einbußen, sollten systemrelevante Finanzinstitute bestandsgefährdende Verluste machen und Hedge-Fonds werden der sogenannten „Volcker-Regel“ unterworfen, die es Banken untersagt, staatlich abgesicherte Gelder in Risikoanlagen zu investieren.

Sanders möchte die sechs größten US-Finanzinstitute zerschlagen, die im Zuge der Krise mit 700 Milliarden US-Dollar an Steuergeld gerettet wurden.

Bei den Republikanern ist das Kandidatenfeld bekanntermaßen etwas unübersichtlicher. Von den Spitzenkandidaten Ted Cruz, Marco Rubio, Ben Carson, Jeb Bush und Chris Christie hört man zur Finanzmarktreform das genaue Gegenteil – ein Ende der Regulierung. Ted Cruz möchte die Finanzaufsichtsbehörde für Verbraucher abschaffen, Jeb Bush nennt die Finanzmarktreform „den falschen Ansatz“, der „die Wirtschaft schwächt“ und Marco Rubio hat als Senator vier Mal dafür gestimmt „Dodd-Frank“ außer Kraft zu setzen. Allein der republikanische Umfragespitzenreiter Donald Trump lässt die Investmentbanker zittern. Er hat zwar keine substanziellen Reformvorschläge, aber seine politischen Äußerungen wirken indirekt: Er ist unberechenbar – ein Problem für die Finanzwirtschaft – und gegen Einwanderung – ein Problem für Unternehmen auf der Suche nach Arbeitskräften. Zudem braucht er Geld der Finanzbranche im Wahlkampf nicht, denn davon hat er selbst reichlich. In seiner Kritik an der Wall Street steht Donald Trump dem Sozialisten Sanders näher als den republikanischen Kontrahenten.

 

Arm, dank Arbeit

Die Lohnentwicklung für US-Arbeitnehmer hält seit Jahrzehnten nicht mit dem Wachstum Schritt. Zwar sind die Reallöhne seit dem Ende der Krise gewachsen, aber legt man den Produktivitätszuwachs der letzten 40 Jahren zugrunde, so ergibt sich ein ernüchterndes Bild: Die Produktivität hat um 72 Prozent zugenommen, die Löhne sind im gleichen Zeitraum aber nur um neun Prozent gestiegen. Auch der bundesweit geltende Mindestlohn von 7,25 US-Dollar wurde inflationsbereinigt nicht angehoben. Wäre er angepasst worden, läge er heute bei elf US-Dollar pro Stunde. Das heißt auch, dass man mit einem Vollzeitjob zum Mindestlohn als Alleinstehender knapp über der Armutsgrenze liegt.

All dies hält die republikanischen Kandidaten nicht davon ab, zu argumentieren, dass eine Erhöhung des Mindestlohns nicht im Interesse der kleinen Einkommensbezieher sei. Ben Carson sagte bei einer der Debatten: „Jedes Mal, wenn wir den Mindestlohn anheben, steigt die Arbeitslosenzahl“. Abgesehen davon, dass diese Aussage empirisch widerlegt ist, sieht Carson zudem die Schuld für die hohe Arbeitslosenrate von Afro-Amerikanern in zu hohen Löhnen: „Nur 19,8 Prozent der afro-amerikanischen Teenager haben einen Job oder suchen nach Arbeit. Das liegt an den hohen Löhnen“. Carson ist in seiner Kritik eines höheren Mindestlohns nicht allein. Auch Donald Trump hält den niedrigen Mindestlohn für einen Wettbewerbsvorteil und sagt, dass „Steuern und Löhne zu hoch“ sind.

Bei den Demokraten herrscht dagegen Einigkeit, dass der Mindestlohn viel zu niedrig ist und dass Frauen für gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten müssen.

Marco Rubio lehnt einen höheren Mindestlohn zwar ebenso ab, sieht aber die Gewerkschaften als die Schuldigen für niedrige Löhne. In seinem wirtschaftspolitischen Konzept unterstützt er ein Gesetzesvorhaben, das „gewerkschaftliche Barrieren für höhere Löhne von Millionen von Arbeitnehmern beseitigen“ würde. Nach gegenwärtigem Arbeitsrecht dürfen Unternehmen einzelnen Angestellten nicht mehr zahlen, als in Tarifverträgen vereinbart ist. Der sogenannte „RAISE-Act“ würde es erlauben, leistungsabhängige Boni an einzelne Arbeitnehmer zu zahlen, ohne diese mit der Gewerkschaft für alle Arbeitnehmer der Tarifeinheit aushandeln zu müssen.

Bei den Demokraten herrscht dagegen Einigkeit, dass der Mindestlohn viel zu niedrig ist und dass Frauen für gleiche Arbeit den gleichen Lohn erhalten müssen. Uneinig ist man sich allein über die Höhe des Mindestlohns. Während Hillary Clinton bundesweit zwölf US-Dollar befürwortet, schlägt Bernie Sanders ein unteres Lohnniveau von 15 US-Dollar vor. Beide wollen zudem bezahlte Eltern- und Krankenzeit für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einführen, und der Sozialist aus Vermont will es ihnen erleichtern, sich gewerkschaftlich zu organisieren.

 

Republikaner – Steuern in die falsche Richtung

Der konservative Kolumnist Robert Novak ist für folgende Aussage bekannt: „Gott hat die Republikaner erschaffen, damit sie die Steuern kürzen. Wenn sie das nicht tun, dann sind sie zu nichts zu gebrauchen.“ Es überrascht deshalb nicht, dass durchweg alle republikanischen Präsidentschaftskandidaten Steuern kürzen wollen und viele ein regressives Pauschalsteuersystem befürworten. Den bisher umfassendsten Steuerplan hat Jeb Bush vorgelegt, und bei seiner Analyse kommen das unabhängige Tax Policy Center und der frühere wirtschaftspolitische Berater von US-Vizepräsident Joe Biden, Jared Bernstein, zu folgendem Urteil: „Der Bush-Steuerplan kostet Billionen und verschärft die Ungleichheit.“ Neben der finanziellen Belastung für den US-Haushalt würden die Steuererleichterungen vor allem den höchsten Einkommensbeziehern zugute kommen: 39 Prozent gingen an das reichste Prozent, und die niedrigen Einkommen würden mit gerade zwei Prozent von den Steuerkürzungen profitieren.

Die Demokraten plädieren hingegen für ein progressiveres Steuersystem. Hillary Clinton will die Steuerbelastung für vier Gruppen reduzieren: Arbeitnehmer, Studierende, Kleinunternehmen und für Firmen, die einen größeren Teil ihrer Gewinne auch an die Angestellten weiter geben. Zudem will sie die sogenannte „Buffett-Regel“ umsetzen, dass also Millionäre keine Steuerrate haben, die effektiv niedriger ist als die ihrer Angestellten. Mit diesem Geld sollen die Steuerentlastungen für die Mittelklasse finanziert werden. Ihr Kontrahent Bernie Sanders fasst seine Steuerpläne so zusammen: „Es ist Zeit, dass die Wall Street, die Reichen und große Unternehmen ihren fairen Beitrag leisten.“ Dazu möchte er unter anderem gesetzlich verhindern, dass große US-Firmen Steuerflucht betreiben. In einer Art Kampfansage an die „Milliardärsklasse“ will er die Erbschaftssteuerfreigrenze senken und die Rate für Vermögen über 50 Millionen US-Dollar von heute maximal 40 auf 55 Prozent anheben. Dazu soll es eine Finanztransaktionssteuer geben, die vor allem spekulative Transaktionen reduzieren soll. Die zusätzlichen Erlöse sollen die notwendigen Mittel für andere Programme aufbringen, wie die Abschaffung der Studiengebühren an öffentlichen Universitäten und neue Investitionen in den nächsten fünf Jahren im Umfang von einer Billion US-Dollar in Infrastruktur.

 

Der kleinste gemeinsame Nenner: Freihandel

Die Wirtschaftspläne von Demokraten und Republikanern könnten kaum weiter auseinander liegen. Doch gibt es einen Bereich, in dem sich Vertreter beider Seiten überraschend einig sind: Freihandelsabkommen. Donald Trump spricht davon, dass Amerika „fair trade“ und nicht „free trade“ brauche. Das gerade verhandelte Transpazifische Partnerschaftsabkommen (TPP) lehnt er auch ab. Er nennt es ein „furchtbares Abkommen“. Es erlaube China, alle anderen auszunutzen. China ist, wie den meisten bekannt, bisher nicht Teil des TPP. Auch Hillary Clinton lehnt, für politische Gegner wenig glaubwürdig, das TPP als Präsidentschaftskandidatin ab, das sie als Außenministerin noch unterstützt hatte. Der Senator aus Vermont ist ein grundsätzlicher Skeptiker von Freihandelsabkommen, da sie „nur multinationalen Unternehmen zugutekommen, aber amerikanischen Arbeitnehmern, Familien, Gewerkschaften und der Umwelt schaden“. Als Senator hat Sanders seinen Worten auch Taten folgen lassen und die Opposition gegen die Durchsetzung der Trade Promotion Authority (TPA) für Präsident Obama angeführt.

 

Kapitalisten, hört auf Bernie Sanders!

Für die immensen Herausforderungen der US-Wirtschaft haben die Demokraten die besseren Antworten, und im Grunde brauchen die USA beides, Evolution und Revolution: die progressive Agenda einer Hillary Clinton und die populistische Mobilisierung gegen die ungezügelte Macht des Geldes eines Bernie Sanders. Der bekannte Washington Post Kolumnist E.J. Dionne hat richtigerweise darauf hingewiesen, dass Sanders zwar selbst erklärter Sozialist sei, eigentlich jedoch unter das Label Sozialdemokrat falle. Und als solcher könne er stolz auf die Errungenschaften westlicher, kapitalistischer Demokratien sein, die es in der Vergangenheit schafften, Wohlstand zu erwirtschaften und gerechter zu verteilen. Genau deshalb sollte es in den kommenden Monaten darum gehen, wer die besseren Antworten auf die Herausforderungen der US-Wirtschaft des 21. Jahrhunderts hat. Bernie Sanders liegt da nach Punkten klar vor Donald Trump.