Eine „Hexenjagd“ nennt US-Präsident Donald Trump den medialen Aufruhr und die Empörung im politischen Washington nach der Entlassung von FBI-Direktor James Comey und den darauffolgenden Enthüllungen. Trump hatte Comey angeblich privat darum gebeten, die Ermittlungen gegen den früheren Sicherheitsberater Michael Flynn wegen seiner Russland-Verbindungen einzustellen; dies wäre Behinderung der Justiz und damit formal Anlass für ein Amtsenthebungsverfahren. Trump wird auch vorgeworfen, unmittelbar nach Comeys Entlassung Russlands Außenminister und Botschafter Erkenntnisse eines befreundeten Nachrichtendienstes (vermutlich des israelischen) über Pläne des „Islamischen Staates“ mitgeteilt zu haben. Dies ist nur deshalb kein Geheimnisverrat, weil der Präsident qua Amt Klassifizierungen aufheben kann. Trump ist nicht der erste, der sich einem Komplott ausgesetzt sieht (für ihn muss es natürlich „das größte“ sein, darunter macht er es nicht), auch die Clintons vermuteten einst, dass es eine „breite konservative Verschwörung“ auf sie abgesehen habe. Trump und andere Republikaner betrachten nicht nur die Mainstream-Medien zunehmend als „Feind des Volkes“, sondern verdächtigen auch den „deep state“, also die öffentlichen Bediensteten in Ministerien und anderen Behörden, ihre Agenda gezielt zu torpedieren. Neigen Amtsinhaber einfach strukturell zu Paranoia? Oder ist etwas dran am Vorwurf konzertierter Aktionen der „linksliberalen Medien“ und des Staatsapparats gegen gewählte Republikaner?

Die Aufdeckung vorgeblicher Geheimnisse ist bei vielen Amerikanern schon seit längerem beliebter als die Suche nach der Wahrheit. In einer komplexen Welt, die nur mühsam und unvollständig zu durchdringen ist, führen Anhänger von Verschwörungstheorien gerne alles Erklärungsbedürftige auf Strippenzieher im Hintergrund zurück. An die Stelle von systematischen Strategien zur Bestätigung oder Widerlegung von Hypothesen treten dabei Glaubenssätze, gegen die jeder Einwand zwecklos ist. Allerdings ist Wahrheitssuche wirklich schwierig, wie wir spätestens seit den postmodernen Einwürfen gegen allzu naive Rationalitätsannahmen wissen. Zudem geht es in den Wissenschaften immer auch um Macht und Interessen, insbesondere wenn es um die Verwertung von Ergebnissen geht. Nicht selten sind auch Missbrauchsvorwürfe berechtigt. Allerdings ist politischer Streit auf der Grundlage konkurrierender Ideologien und Interessen bei der Wahrheitssuche grundsätzlich unproblematisch, solange es eine gemeinsame Wertebasis gibt und die Bereitschaft zu Kompromissen besteht. Für Problemlösungen reichen vorläufige Wahrheiten und plausible kausale Erzählungen völlig aus.

An die Stelle von systematischen Strategien zur Bestätigung oder Widerlegung von Hypothesen treten Glaubenssätze, gegen die jeder Einwand zwecklos ist.

Die amerikanische Verfassung erfordert, mehr noch als parlamentarische Systeme, die Kompromissfähigkeit der politischen Akteure, weil die striktere Gewaltenteilung regelmäßig zu geteilter Regierungsverantwortung führt und die „Checks und Balances“ auch für die Minderheitenpartei Blockademöglichkeiten vorsehen. So soll eine „Tyrannei der Mehrheit“ verhindert und die politischen Akteure zu Kompromissen angehalten werden. Seit den 1990er Jahren sind der amerikanischen Politik allerdings gemeinsame Wertebasis und Kompromissfähigkeit abhandengekommen. Das Ergebnis ist eine zunehmend dysfunktionale Regierungstätigkeit, die wiederum zu immer größerer Unzufriedenheit mit dem politischen Establishment geführt hat. Früher als in anderen westlichen Demokratien sind in den USA kulturell und politisch so voneinander abgegrenzte Teilöffentlichkeiten entstanden, dass manche Beobachter von einer Tribalisierung der amerikanischen Gesellschaft sprechen. Der Vertrauensverlust gegenüber der jeweils anderen Gruppe und die parteiische Bereitschaft, Aussagen aus der eigenen Gruppe vorbehaltlos zu glauben, wird von den sozialen Medien und populistischen Politikern, die mit ihren Provokationen und Unterstellungen gegenüber der anderen Gruppe den „paranoiden Stil“ der amerikanischen Politik (Richard Hofstadter) anheizen, noch verstärkt. Es geht nicht mehr um die sachdienliche Aufklärung eines beliebigen Ereignisses, sondern um die Instrumentalisierung einer verschwörungstheoretischen Konstruktion, die dem politischen Gegner (oder einer anderen Gruppe) die Verantwortung zuschiebt.

Andererseits sagt man ja nicht zu Unrecht: „Dass ich paranoid bin, heißt ja nicht, dass sie nicht hinter mir her sind“. Selbstverständlich gibt es immer wieder Komplotte und strategische Absprachen zur Erreichung bestimmter Ziele; tatsächlich ist koordiniertes strategisches Handeln wohl eine Grundbedingung für politischen Erfolg. Wie steht es also mit der Verschwörung der „linksliberalen Medien“ und des „Staates im Staate“, die Trump und die Republikaner beklagen?

Umfragen zeigen, dass Journalisten den Demokraten zuneigen. Medieneigentümer, Herausgeber und Redaktionsleiter sind jedoch mehrheitlich konservativ.

Die empirische Basis für die Annahme einer linksliberalen Medienverschwörung ist, dass Umfragen immer zeigen, dass (ausgebildete) Journalisten den Demokraten zuneigen. Andererseits sind Medieneigentümer, Herausgeber und Redaktionsleiter mehrheitlich konservativ beziehungsweise zumindest wirtschaftsfreundlich. Da Letztere die Grenzen der journalistischen Freiheit der Ersteren setzen – mindestens im Konfliktfall – lässt sich der Vorwurf einer Verschwörung kaum erhärten. „Die Freiheit der Presse ist die Freiheit desjenigen, der eine Presse besitzt“, heißt es entsprechend auf der amerikanischen Linken. Es gibt zudem klar erkennbare konservative Medien und Medienunternehmen wie vor allem Fox News, bei dem die politischen Präferenzen des Eigentümers, Rupert Murdoch, stärker auf die journalistische Praxis durchschlagen als in den allermeisten linksliberalen Medien. Nicht zuletzt hat das Internet den Raum für selbsterklärte Journalisten aller Couleur geöffnet; hier besteht vermutlich sogar ein zahlenmäßiger Vorteil für konservative Stimmen.

Auch der Vorwurf einer Verschwörung des Staatsapparats hat eine empirische Basis. Im Zuge der „progressiven Reformen“ der Jahrhundertwende 1900 wurde die Möglichkeit für gewählte Politiker, Posten in Behörden nach Parteibuch zu vergeben, eingeschränkt (trotzdem kann der Präsident deutlich mehr Posten besetzen als europäische Regierungschefs). Die Professionalisierung und das spätere Wachstum der Bürokratie führten zu einer „permanenten Regierung“, weil viele Regierungsaufgaben im Rahmen standardisierter Verfahren von ausgebildeten Expertinnen und Experten erledigt werden. Den Republikanern sind nicht nur die vielen Staatsbediensteten ein Dorn im Auge, sondern auch viele der Programme, die sie verwalten, insbesondere im sozialen Bereich. Lange bevor Donald Trump versprach, den „Sumpf trocken zu legen“, hatte Grover Norquist (Americans for Tax Reform) schon gedroht, den Staat so zu verkleinern, „dass man ihn in der Badewanne ersäufen kann“.

Die Ideologie der Republikaner und die Interessen ihrer wohlhabenden Anhänger treffen sich mit einer grundsätzlich staatsskeptischen politischen Kultur, insbesondere was die Bundesregierung betrifft.

Die Ideologie der Republikaner und die Interessen ihrer wohlhabenden Anhänger treffen sich mit einer grundsätzlich staatsskeptischen politischen Kultur, insbesondere was die Bundesregierung betrifft. Zwar ist die Mehrheit der Amerikaner „pragmatisch linksliberal“, wenn es um bestehende Programme geht (insbesondere die staatliche Rentenversicherung Social Security und die Krankenversicherung für Menschen ab 65, Medicare), aber den Republikanern gelingt es immer wieder, Misstrauen gegen die Schaffung oder Ausweitung sozialstaatlicher Programme zu mobilisieren (etwa zuletzt „Obamacare“). Aus europäischer Sicht erscheint dies paradox, weil viele Wählerinnen und Wähler, die sich keine privaten Lösungen leisten können und von den Steuersenkungen wenig haben, gegen ihre ökonomischen Interessen abstimmen. Aber das Misstrauen gegenüber dem Staat kann eben auch deshalb mobilisiert werden, weil er aufgrund abnehmender Kompromissfähigkeit der politischen Akteure zunehmend dysfunktional geworden ist. Ein Bonmot unter Demokraten heißt: „Die Republikaner behaupten, die Bundesregierung funktioniere nicht. Dann werden sie gewählt und beweisen es“.

Verschwörungstheorien sind in der amerikanischen Politik weit verbreitet, nicht erst seit Donald Trump. Es sind vor allem Rechtspopulisten, die mit ihnen Wähler mobilisieren. Eine pessimistische Grundhaltung ist ein gemeinsames Kennzeichen konservativer Wähler; sie wird durch eine Politik der Angst und Wut und durch verschwörungstheoretisch unterfütterte Angriffe auf Eliten und Minderheiten geweckt, verstärkt und instrumentalisiert. Inzwischen ist daraus eine ernste Gefahr für das Gemeinwesen geworden, nicht nur in den USA.