Wir sind ja schon einiges gewohnt, aber der jüngste G7-Gipfel vom 26. und 27. Mai 2016 der Lenker der reichsten Wirtschaftsnationen, Bundeskanzlerin Angela Merkel und die EU-Spitzen eingeschlossen, kann einem schon die Zornesröte ins Gesicht treiben. Da gingen schöne Bilder um die Welt. Gehandelt wurde jedoch wieder in die falsche Richtung mit der Parole: „Wachstum und regionale Freihandelsabkommen. Und beides schnell“.

Dabei sind mehr und mehr Menschen auch bei uns durch die Kriege und Konflikte, die weltweit wachsenden Fluchtbewegungen und Katastrophen an immer mehr Ecken der Welt beunruhigt, und immer mehr von ihnen haben längst verstanden, dass falsche Politik gerade auch aus Kreisen der G-7-Staaten das alles verstärkt. Sie haben längst kein Verständnis mehr dafür, dass die Gipfel-Granden immer nur ihr Bekenntnis zu noch mehr neoliberaler Wachstums- und ebensolcher Freihandelspolitik wiederholen und damit die Fehlentwicklungen zu „marktkonformer Demokratie“ à la Merkel und zur völkerrechtlichen Fesselung der durch Bürgerwillen und Wahlen legitimierten Parlamente und Politik bestätigen und verstärken.

Man fragt sich: Ist das nur kurzsichtig oder schon zynisch? Gut, dass in den letzten Tagen in der Öffentlichkeit wenigstens etwas Widerspruch zu hören war: Der DGB-Vorsitzende, Reiner Hoffmann, rügte mit Recht die längst überfällige, aber wieder einmal ausgebliebene politische Kurskorrektur, obwohl Investitionen in Bildung, in Jobs für junge Leute und in die marode Infrastruktur nicht nur in Deutschland, sondern insbesondere auch für die Zukunft des Projekts Europa immer dringlicher werden.

Gut, dass auch der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel Zweifel anmeldete, wenn auch zunächst nur an einem schnellen Abschluss der „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP). Da muss endlich mehr kommen – auch inhaltlich. Schließlich machen auch die Vorträge vertrauenswürdiger EU-Politiker wie Bernd Lange über eine globale Welthandelspolitik immer deutlicher, dass CETA und TTIP dem Ziel einer durch mehr Gerechtigkeit, Solidarität und Demokratie geprägten Ordnung diametral zuwiderlaufen.

CETA und TTIP laufen dem Ziel einer durch mehr Gerechtigkeit, Solidarität und Demokratie geprägten Ordnung diametral zuwider.

CETA, das Umfassende Freihandelsabkommen zwischen Kanada und der EU („Comprehensive Economic and Trade Agreement“) wird vielfach als „Blaupause für TTIP“ bezeichnet, spielt jedoch derzeit in der öffentlichen Debatte kaum eine Rolle; es ist etwas in den Windschatten von TTIP geraten. Das ist außerordentlich problematisch, weil das Abkommen kurz vor dem Abschluss zu stehen scheint und gleichzeitig immer deutlicher wird, dass CETA für die US-Konzerne mit ihren kanadischen Niederlassungen und der Geltung von NAFTA ähnlich wichtig sein dürfte wie TTIP, weil sie ihre Anliegen auch über CETA durchsetzen können.

Umso wichtiger ist es, immer wieder klarzustellen, dass CETA mit seinem jetzigen Inhalt weder für die EU noch für Deutschland akzeptabel ist. Und dass die Bürgerinnen und Bürger auch Vorweg-Inkraftsetzungen nicht hinnehmen werden.

Viele der wichtigsten Kritikpunkte an CETA sind längst benannt worden:

Sie betreffen nicht allein das Kapitel über die Schiedsgerichte, das ja trotz der kosmetischen Malmström-Veränderungen am Grundübel der rechtsstaatswidrigen Paralleljustiz nichts ändert.

Sie erfassen vielmehr auch das mit „Transparenz“ überschriebene Kapitel, weil es den demokratischen Grundsatz der Öffentlichkeit staatlicher Planungen und Regulierungsvorhaben geradezu pervertiert: Völkerrechtlich soll CETA nämlich festschreiben, dass nicht die Bürgerinnen und Bürger frühzeitig informiert werden, um Einfluss nehmen zu können; die Transparenzverpflichtung für staatliche Regulierungsinstitutionen wird hier vielmehr zugunsten möglicherweise betroffener Wirtschaftskreise festgelegt, um deren Lobby-Einfluss weiter zu erhöhen.

Dass auch die begründete Kritik an dem problematischen Grundsatz des „science-based“ (wissenschaftlich fundiert) endlich ernstgenommen werden muss, soll hier nochmals ausdrücklich erwähnt werden.

Vor allem aber rückt die Tatsache, dass CETA auch die Planungs- und Regelungsrechte von Ländern und Kommunen einschränkt, durch ein wichtiges Gutachten in den Vordergrund. Der Tübinger Völkerrechtler Martin Nettesheim hat es im Auftrag der baden-württembergischen Staatskanzlei bereits Anfang 2016 erstellt, es wurde aber in der Öffentlichkeit bisher kaum bekannt. Mittlerweile ist es abrufbar.

Die klaren – und ausführlich anhand der Vertragstexte nachgewiesenen – Feststellungen dieses Gutachtens werden von den CETA-Befürwortern nicht mit ihrer üblichen Arroganz vom Tisch gewischt werden können. Vielmehr werden sie die Feststellungen berücksichtigen und – zumindest – die fundierten Empfehlungen von Nettesheim zur Veränderung des Vertragstextes aufnehmen müssen.

Eine berechtige Forderung ist, das bewährte System der Daseinsvorsorge durch CETA nicht antasten zu lassen.

Nettesheims wichtigste Feststellung ist, dass CETA den politischen Gestaltungsspielraum der Länder und Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland „nicht unberührt“ lässt, sprich: Er wird nachhaltig eingeschränkt. Auch seine Änderungsempfehlungen beziehen sich auf die Forderung, das bewährte System der Daseinsvorsorge durch CETA nicht antasten zu lassen.

Das entspricht den vielfach geäußerten Wünschen der Bürgerinnen und Bürger, die gerade in diesem Bereich weder ständig mehr Privatisierungen wollen noch gar eine völkerrechtliche Festschreibung, die verhindert, dass einmal privatisierte Dienstleistungen der Daseinsvorsorge wieder in öffentliche Verantwortung übernommen werden dürfen.

Die CETA-Formulierungen enthalten jedoch „eine umfassende Freistellung von Dienstleistungen des Allgemeininteresses“ (Nettesheim) gerade nicht, obwohl das zur Abwehr der Kritik der Öffentlichkeit häufig behauptet wird. Sie nehmen vielmehr nur Teilbereiche aus und bleiben unter anderem auch im Hinblick auf die sozialen Dienstleistungen unzulässig mehrdeutig.

Die politischen Folgerungen sind klar:

Auch CETA in der vorliegenden Form ist nicht akzeptabel. Dabei geht es nicht allein um rechtsstaatliche und demokratische Defizite, die auch mit CETA verbunden sind. Vielmehr sind auch die Einschränkungen und Gefährdungen der Planungs- und Gestaltungsrechte von Ländern und Kommunen nicht hinnehmbar. Darauf weisen viele Vertreter von Kommunen und Kommunalparlamenten schon lange hin. Jetzt wird es Zeit, dass auch die Zuständigen in der Bundesregierung und in den Ländern das zur Kenntnis nehmen. Und dass die Europäischen Institutionen sich endlich danach richten.