Dieses Buch hat mich besonders berührt. Es zeichnet das Wirken des hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer nach, der den Auschwitz-Prozess erstritten und in Frankfurt am Main von 1963 bis 1965 durchgeführt hat. Fritz Bauer war einer der wirkmächtigsten Juristen. Ich hatte das Glück, ihn persönlich kennen und erleben zu dürfen: Er führte mit uns Studierenden in den Jahren des Auschwitz-Prozesses an der Universität Frankfurt ein Kolloquium zu diesem Thema durch. Wir alle wurden aufgerüttelt und für unser Leben geprägt. Ronen Steinke ruft diesen entschlossenen, engagierten, leidenschaftlichen Sozialdemokraten in unser kollektives Gedächtnis. Bauer hat das Denken in unserem Land in einer Zeit, in der die Verdrängung der Schuld noch lange vorherrschte, grundlegend verändert.Steinke erinnert an den sogenannten Remer Prozess, in dem Fritz Bauer, damals noch Generalstaatsanwalt in Braunschweig, in der deutschen Justiz und in der öffentlichen Meinung ein bedeutungsvolles Umdenken bewirkte:

Niemand konnte sich mehr mit seinen Verbrechen während der Nazi-Barbarei auf angeblich geltendes Recht berufen. Vor Gericht wurde unmissverständlich klargestellt, dass diese Verbrechen im Sinne des überpositiven Rechtes Unrecht waren. Die zentralen Passagen in Steinkes Buch sind natürlich die, die sich auf den Auschwitz-Prozess beziehen. Steinke zeigt uns Fritz Bauer in seiner Entschlossenheit, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die in ihren unterschiedlichen Funktionen für das Menschheitsverbrechen verantwortlich waren. Er zeigt uns Fritz Bauer in seiner Empathie und Leidenschaft für die Opfer – und bisweilen auch in seiner Verzweiflung über beharrende Strukturen.

Fritz Bauer ist bereits 1968 gestorben. Aber er hat für demokratisches Denken, für die demokratische Justiz und für die Überwindung autoritärer und obrigkeitsstaatlicher Einstellungen Großes für unser Land geleistet. Dass mit der 68er-Bewegung die verdrängte Schuld aufgearbeitet wurde, hat Fritz Bauer nicht mehr erleben dürfen, aber er hat zu dieser Bewegung beigetragen. Ronen Steinkes einfühlsames Buch verdient ausführliche Lektüre und vor allem nachhaltiges Engagement von jedem von uns gegen alte und neue Nazi-Parolen.

Jedes Jahr im Mai oder Juni publizieren die fünf deutschen Friedensforschungsinstitute ein umfangreiches Friedensgutachten, das sie auch den Parteien im Bundestag vorstellen. Ich habe diese Friedensgutachten immer als eine wichtige Quelle einer grundsätzlichen Orientierung verstanden. In manchen Fällen hat das Gutachten auch durchaus praktische Auswirkungen gehabt, so zum Beispiel bei der Schaffung von mehr Transparenz im Feld der Waffenexporte.

Das diesjährige Friedensgutachten umfasst sehr stark das Thema Europa nach der Europawahl und die Perspektive auf das europäische Friedensprojekt 100 Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges. Es geht aber auch auf aktuelle Brennpunkte wie Syrien oder Pakistan ein.

Beim Rückblick: Lehren aus der Geschichte? 1914 - 2014 würde man sich die Empathie für welthistorische Errungenschaften der Europäischen Union, die die Autoren zeigen, von manchen Politikern wünschen. Innerhalb der EU habe eine strukturelle Pazifizierung stattgefunden, mit der das System konkurrierender und kriegsbereiter Nationalstaaten überwunden wurde. Die Militarisierung des Denkens sei in der Europäischen Union überwunden: „Heute wissen die Menschen, dass Kriege von Menschen gemacht werden, also auch verhindert werden können. Das ist ein großer Fortschritt", schreibt der Autor. Weiter: „Die Konservativen haben gelernt, dass die Kriegsgegner von 1914 einen besseren Weg gewiesen haben als die Nationalisten und Bellizisten".

Gleichzeitig analysieren die Autoren die nicht zu leugnende fundamentale Krise der EU und formulieren damit auch einen Auftrag an die politisch Verantwortlichen. Unter anderem richtet sich diese Aufgabe an die künftige EU-Kommission. Sie ist gefordert, eine neue europäische Politik zu gestalten, die die Austeritätspolitik überwindet und das Friedensprojekt mit einem neuen Wohlstandsprojekt verknüpft. Auch appellieren die Autoren an die politisch Verantwortlichen in der EU, endlich mit konkreten Schritten ihre Flüchtlings- und Migrationspolitik zu verändern. Die europäische Grenzpolitik widerspreche den Werte- und Normvorstellungen der EU und nutze die Möglichkeiten und Chancen einer geplanten Migration nicht.

Im Gegensatz zu dem Eindruck, die aktuelle Krise im Irak sei urplötzlich eskaliert, weist das Friedensgutachten 2014 deutlich auf die Gefahr hin, dass sich aus dem syrischen Bürgerkrieg ein Flächenbrand entwickeln könne. Die Autoren warnen – wohlgemerkt schon zum Zeitpunkt der Niederschrift im Jahr 2013 – vor der Gefährdung eines „territorialen Revisionismus", der sich aus dem Bestreben von ISIS nach quasi-staatlichen Strukturen entwickeln könne.

Fazit: In vielen Fällen sollten die politischen Entscheidungsträger frühzeitig und präventiv handeln und dabei auf die wichtigen Ratschläge der Friedensforschungsinstitute hören. Es bleibt zu sagen, dass die Autoren Ines-Jaqueline Werkner, Janet Kursave, Margret Johannsen, Bruno Schoch und Marc von Boehmcken auch Unterschiede bei politischen Schlussfolgerungen deutlich machen, die zur Transparenz beitragen.

Warum empfehle ich das Buch „Breaking the Silence" zur heutigen Lektüre? In ihm berichten israelische Veteranen von ihrem Einsatz in den besetzten Gebieten im Westjordanland bis 2010. Das Buch war auch Anlass für eine vielbeachtete Ausstellung initiiert vom Freundeskreis des Willy-Brandt-Hauses und begleitet von engagierten ehemaligen Soldaten der israelischen Armee, die sich seit 2004 in einer Nichtregierungsorganisation zusammengeschlossen haben. In seinem Vorwort zum Buch schreibt Avi Primor, von 1993 bis 1999 israelischer Botschafter in Deutschland: „Diese jungen Frauen und Männer wollen niemanden verleumden... sie verbreiten keine Gerüchte. Sie erzählen nur das, was sie selbst gesehen haben oder sogar, was sie selbst getan haben.“ Die im Buch wiedergegebenen erschütternden Augenzeugenberichte stellen die Realität ihrer Einsätze dar. Und diese Einsätze beziehen sich nicht auf das Verhalten des israelischen Militärs im wenige Tage zurückliegenden Gewaltkonflikt in der Auseinandersetzung mit den Gewaltaktionen der Hamas in Gaza, sondern sie berichten aus dem Westjordanland in den zurückliegenden Jahren. Und die Berichte belegen: Die israelische Armeepolitik in der Westbank führt dazu, die politische Unabhängigkeit der Palästinenser zu verhindern.

Das Buch und die Ausstellung sind ein lauter Schrei nach einer Zweistaatenregelung, in der die Menschen dieser beiden Staaten einander respektieren und in Frieden leben können. Mein Eindruck ist: Die Regierung Netanjahu versucht durch immer neue Landnahmen und neue Siedlungsgebiete Fakten zu schaffen, die genau diese Zweistaatenregelung konterkarieren sollen.

Die Kritik von „Breaking the Silence" ist kein Antisemitismus. Wir dürfen auch nicht zulassen, dass berechtigte Kritik an der israelischen Regierung als Antisemitismus abgestempelt wird! Ich bin selbst politisch in der SPD in den 1960er Jahren aktiv geworden, weil ich dazu beitragen wollte, der Verdrängung der Schuld für die Nazibarbarei entgegenzutreten und niemals mehr Antisemitismus, Rassismus und die Abwertung von Menschen in unserem Land zuzulassen. Solchen Positionen werde ich immer entschieden entgegentreten.