Das Interview führten Pablo Stefanoni und Mariano Schuster.

Nach den Wahlen wurde spekuliert, dass sich die Republikaner zu einer konservativen Partei mit einem festen Wählerstamm in der Arbeiterklasse entwickeln könnten, die ethnisch viel breiter aufgestellt ist als bisher angenommen. Eine Analyse der sozialen Herkunft der Wählerinnen und Wähler in Florida, wo sich Trump durchsetzen konnte, scheint dies nahezulegen.

Es wurde viel über die „Latino-Stimmen“ diskutiert, insbesondere in Florida, wo es Trump mit Unterstützung eines Großteils der Latinos gelang, den Bundesstaat für sich zu gewinnen. Die Latino-Stimmen teilen sich in den Vereinigten Staaten auf ganz unterschiedliche Gruppen auf, wobei sich die kubanisch-stämmigen Wählerinnen und Wähler in Florida von denen mexikanischer Herkunft in Arizona deutlich unterscheiden. Insofern war der Sieg Bidens in Arizona durchaus eine Überraschung, da dieser Bundesstaat über lange Jahre hinweg eher als konservativ galt. Für den Sieg von Biden in Nevada waren wiederum die Stimmen der gewerkschaftlich organisierten Latinos aus diesem Bundesstaat besonders wichtig. Die Vorstellung, der Trumpismus habe sich zu einem multiethnischen Raum der Arbeiterklasse entwickelt, gehört wohl eher in den Bereich der Mythologie. Fest steht aber, dass Trump einen gewissen Grad an Unterstützung (30 bis 35 Prozent) unter den Wählerinnen und Wählern lateinamerikanischer und asiatischer Herkunft erhielt. Die Stimmen der Afroamerikaner gehen jedoch weiterhin mehrheitlich an die Demokraten.

Vor allem im Bundesstaat Florida schien der von Trump angeführte Diskurs starke Wirkung zu zeigen, demzufolge Biden entweder selbst ein Sozialist oder mit ihnen verbündet bzw. in ihrer Hand sei. Falschmeldungen, die über Facebook und WhatsApp verbreitet wurden, gingen in die gleiche Richtung. Es zeigte sich ganz deutlich, dass der antisozialistische Diskurs bei der Trump-Wählerschaft eine wichtige Rolle spielt. Auch wenn der Rassismus in den letzten Jahren zu Recht als ein Faktor für die Unterstützung Trumps ausgemacht wurde, lässt sich damit jedoch nicht alles erklären. Die Demokratische Partei behält ihren Vorsprung bei den so genannten „Minderheiten“, die im ethnischen und kulturellen Sinne in den USA bestehen. Sie hat aber auch nach wie vor einen stärkeren Rückhalt in der Arbeiterklasse.

Trotzdem ist der Eindruck entstanden, dass sich in den letzten Jahren etwas verändert hat: Das Bildungsniveau scheint ein zunehmend wichtiger Einflussfaktor zu sein. Bei einer gutsituierten Person mit Universitätsabschluss ist die Wahrscheinlichkeit viel höher, dass sie für die Demokraten stimmt. Dies ist so in der Vergangenheit nicht der Fall gewesen. Man ist schnell geneigt zu vereinfachen und zu behaupten, die Demokraten seien die Partei der Eliten, wogegen die Republikaner die Partei der weißen Arbeiterklasse seien. Die Realität ist jedoch weitaus vielschichtiger und derartige Kategorisierungen halten einer Prüfung nicht immer stand, denn mitunter ist auch genau das Gegenteil der Fall. Diese Veränderungen müssen jedoch erst noch einmal tiefergehend untersucht werden.

Dazu lohnt es sich, einen Blick auf die unterschiedlichen Territorien zu werfen.

Vor den Wahlen wurde viel darüber spekuliert, dass Trump einen höheren Stimmenanteil unter Afroamerikanern, insbesondere Männern, gewinnen könnte. Das Gleiche wurde auch bezüglich der Latino-Wähler behauptet. Man vermutete, dass Trump mit seinem Machismo gewisse Personengruppen aus diesem Umfeld anziehen könnte. Bei den afroamerikanischen Wählerinnen und Wählern scheint Trump nicht viele Stimmen hinzugewonnen zu haben, während er unter den verschiedenen Latino-Gruppen in einigen Bundesstaaten und Bereichen durchaus Erfolge erzielte. So finden die antisozialistischen Botschaften bei Kubanern und Venezolanern in Florida Rückhalt und kommen bei einem Teil dieser Bevölkerungsgruppen durchaus an. Allerdings unterstützen die Puerto-Ricaner, genauso wie die Haitianer und Mexikaner mit ihren Stimmen mehrheitlich Biden. Auch in New York ergibt sich ein ähnliches Bild.

Außerhalb Floridas entpuppte sich das Tal des Rio Grande an der Grenze zwischen Texas und Mexiko als eine der Überraschungen. Traditionell gehört dieses Gebiet zu den ärmsten Regionen im Land und die Wählerinnen und Wähler tendierten zur Unterstützung der Demokraten. Hier hat Biden jedoch viele Stimmen verloren. Im Zapata County hatte Clinton beispielsweise mit 30 Punkten vorn gelegen, während Biden die Wahl dort verlor. Dies kam überraschend, und viele überlegen, was dieser Stimmverlust in einem Ort bedeutet, der ganz spezifische Eigenheiten aufweist: Es handelt sich um ein Grenzgebiet, in dem ein Großteil der Arbeitsplätze an die für Grenzgebiete typischen Wirtschaftstätigkeiten gebunden ist. Die einwanderungsfeindlichen Botschaften finden bei den dortigen Einwohnern, auch unter den Latinos, einen gewissen Anklang.

Es ist zwar manchmal schwer nachzuvollziehen, aber man trifft durchaus auch Latinos, die für eine Begrenzung der Einwanderung plädieren und sich darauf berufen, dass sie auf rechtmäßige und legale Weise eingereist sind und dass die anderen dies ebenso tun sollten. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass viel über den Rassismus der Weißen gesprochen wird, weil diese Form des Rassismus die stärksten politischen Auswirkungen hatte. Weniger wird hingegen über den Rassismus unter einigen Latinos und Asiaten gegenüber den Afroamerikanern und den Rassismus einiger Afroamerikaner gegenüber den Latinos gesprochen. Diese Stimmungslage – auch wenn sie nicht vorherrschend ist – gibt es durchaus.

Welche Rolle spielt eigentlich die Religion dabei? Oft wird der Religion nur eine etwas oberflächliche Funktion zugeschrieben.

Im Diskurs der progressiven Kräfte in den USA, den ich unterstütze (ich störe mich nicht daran, wenn man mich als demokratischen Sozialisten bezeichnet), wurde immer wieder darauf verwiesen, das Grundproblem bei Trump bestünde im Rassismus und der Frauenfeindlichkeit. Daran ist auch nichts falsch. Es gibt aber auch viele Bürgerinnen und Bürger, die sich nicht als Rassisten betrachten (und oftmals sind dies keine Weißen), aber trotzdem Trump unterstützen. Dies wird teilweise auf die starke Unterstützung durch die evangelikalen Gemeinden zurückgeführt. Viele sind nicht mit der Persönlichkeit und dem Auftreten von Trump einverstanden, unterstützen aber seinen Widerstand gegen die Abtreibung. Das Recht auf Abtreibung ist in den Vereinigten Staaten das Ergebnis eines Beschlusses der Obersten Gerichtshofs von 1973.

Bei einer konservativen Mehrheit könnte nun das Argument angeführt werden, dieser Beschluss sei falsch und sollte nicht in der nationalen Gesetzgebung verankert, sondern den einzelnen Bundesstaaten überlassen werden. Teile dieser Gemeinden, für die dieser Punkt nicht zur Disposition steht, würden eine solche Entwicklung als Erfolg werten. Gleiches trifft auf die Ernennung konservativer Richter zu, nicht nur am Obersten Gerichtshof. Solche Positionen werden aber von Menschen vertreten, die nicht unbedingt Rassisten oder Anhänger eines weißen Überlegenheitsdenkens sind. Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Meinungen zu den Rechten der LGBTI-Gemeinde, die bei den progressiven Kräften stark im Vordergrund der Debatte standen. Solche Aspekte müssen berücksichtigt werden, zumal ein Großteil der Latinos in den USA einer festen Glaubensrichtung zuzuordnen ist.

Interessant ist, dass in Florida zwar Trump den Sieg errang, die Wählerinnen und Wähler jedoch gleichzeitig in einem Referendum mit breiter Mehrheit für einen Mindestlohn stimmten, der bei 15 Dollar pro Stunde liegen soll. Bis vor kurzem wäre eine solche Forderung nur von den linken Kräften vorgetragen worden. Wie lässt sich das erklären?

Es ist noch gar nicht so lange her, dass Fox News, einer der größten rechten Fernsehkanäle, eine Umfrage unter den Zuschauern durchführte, bei der das Ergebnis recht überraschend ausfiel. Eine Mehrheit sprach sich für einen staatlichen Eingriff in das Gesundheitswesen und die Einführung eines Mindestlohns aus. Diese beiden Themen waren systematische Angriffspunkte der Rechten und sind in der Tat Bestandteil der linken politischen Agenda. Daher müssen wir uns die Frage stellen, wie es kommt, dass trotz der Unterstützung solcher politischen Maßnahmen so viele Bürgerinnen und Bürger sich entschieden, ihre Stimme nicht den Demokraten zu geben, die diese Maßnahmen auf den Weg gebracht haben. Ich habe darauf keine eindeutige Antwort, aber möglicherweise handelt es sich um Reaktionen auf andere von den Demokraten befürwortete Themen und insbesondere auf bestimmte progressive Argumente in anderen Bereichen. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass unter bestimmten Gruppen im Land eine „Angst vor dem Sozialismus“ herrscht. Aber es gibt auch recht viele Leute, bei denen wir unterstellen können, dass sie generell „antiprogressive Einstellungen“ vertreten.

Solche Einstellungen haben in der Politik ein ernstzunehmendes Gewicht und führen dazu, dass der Widerstand beispielsweise gegen die Politik zur Förderung der Vielfalt stärker wiegen kann als die Zustimmung zur Rolle des Staates bei anderen Fragen. Das kann Wählerinnen und Wähler veranlassen, für Trump zu stimmen. Ich glaube, wenn Trump etwas cleverer gewesen wäre, hätte er sich im wirtschaftlichen Bereich für ein populistischeres Programm entschieden. Allerdings sind die Republikaner in wirtschaftlicher Hinsicht eben nicht populistisch, sondern eher neoliberal ausgerichtet. Doch wahrscheinlich hätte Trump hier die Richtung zumindest teilweise verändern können.

In diesem Falle hätte er sich in kultureller Hinsicht gegen die progressiven Kräfte richten können (unter Beibehaltung seines Widerstands gegen das, was er als „liberale“ Kultur bezeichnet), gleichzeitig aber populistisch im Sinne einer realeren Verteidigung der Arbeiterklasse auftreten können. Er hat dies aber nicht getan und konnte trotzdem seine politische Basis erweitern. Die Demokratische Partei wird die Chance haben, unter Beweis zu stellen, dass ihre Regierung dem Wohle der Mehrheit der Bevölkerung dienen kann. Der Trumpismus wird jedoch mit oder ohne Trump bestehen bleiben. Dies ist eine der enttäuschenden Schlussfolgerungen aus dieser Wahl. Wir haben einen Präsidenten mit autoritären Tendenzen der Macht enthoben. Das ist keine geringe Leistung. Die autoritären Tendenzen im Regierungssystem und in der Bevölkerung bilden jedoch weiterhin eine Gefahr.

 

Die ausführlichere Original-Version des Interviews erschien in der Nueva Sociedad