Wie beurteilen Sie die ersten Monate von Macrons Präsidentschaft?
Insgesamt hat Macron einen sehr aktiven Start in die Präsidentschaft hingelegt und auch schon viel erreicht. Sein erster und wichtigster Erfolg war, dass er sich die parlamentarische Mehrheit sicherte, was zuvor unmöglich schien, weil seine Partei erst ein Jahr zuvor als Bewegung gegründet worden und noch nie zu einer Wahl angetreten war. Dank dieses Sieges machte er sich unabhängig von anderen politischen Parteien, und nach einer Scheinbeschäftigungsaffäre verließen auch die Vertreter der zentristischen Demokratischen Bewegung MoDem, die ihn in der Wahl unterstützt hatte, seine Regierung.
Auf der internationalen Bühne demonstrierte Macron seine Entschlossenheit, sich gegen Donald Trump zu behaupten, zunächst durch den ausgiebig dokumentierten eisernen Handschlag, dann, als er mit dem Tweet „Make the planet great again“ auf Trumps Drohung reagierte, sich aus dem Pariser Klimaschutzabkommen zurückzuziehen. Danach schlug Macron allerdings leisere Töne an und empfing Trump zu einem Staatsbesuch, weil ihm klar ist, dass er die USA als Verbündeten an seiner Seite braucht. Zuvor hatte er schon Wladimir Putin in Versailles empfangen und mit ihm über gemeinsame Interessen im Kampf gegen den Terrorismus gesprochen, allerdings nicht ohne Russlands Menschenrechtsverstöße anzuprangern. Im Inland hat er sein erstes größeres Gesetzgebungsverfahren durchgebracht, das darauf abzielt, im öffentlichen Leben Ordnung zu schaffen. Das war ein zentrales Wahlkampfversprechen, ausgelöst von dem Skandal, der François Fillon zu Fall brachte, und Bestandteil der Vereinbarung mit MoDem. Allerdings war auch seine eigene Regierung nicht immun gegen Korruptionsskandale, die seine Position geschwächt haben. Und schließlich hat er die Zustimmung des Parlaments erlangt, Arbeitsmarktreformen per Erlass durchzupeitschen.
Macrons Zustimmungswerte fielen dramatisch, von 64 Prozent im Juni auf 36 Prozent im August. Warum?
Seine anfänglichen Popularitätswerte waren nicht zu halten, denn sie illustrierten lediglich, dass die Leute ihn als Projektionsfläche für ihre eigenen Hoffnungen sahen. Als sie ihn besser kennenlernten, konnte er sie auch häufiger enttäuschen. Die schon erwähnten Skandale in seiner Regierung, der öffentlichkeitswirksame Rücktritt seines Generalstabschefs im Streit über Militärausgaben und sein reserviertes Verhältnis zur Presse haben seinem Image geschadet. Macrons Alleinstellungsmerkmal, nämlich das Spektrum der politischen Rechten und Linken abzudecken, ist potenziell auch seine größte Schwäche, weil er mit jeder politischen Maßnahme die eine oder andere Seite zu verprellen droht.
Er gibt recht offensichtlich den Platzhirsch.
Im Wahlkampf versprach Macron eine repräsentativere französische Politik, indem er Frauen und Menschen außerhalb des traditionellen politischen Establishments mehr Posten anbot. Ist ihm das gelungen?
Nur zum Teil. Seiner Regierung gehören 50 Prozent Frauen und zahlreiche Menschen an, die nicht aus der Parteipolitik kommen. Auch fast die Hälfte der Abgeordneten sind Frauen, und es herrscht eine größere Vielfalt als im letzten Parlament. Die wichtigsten Persönlichkeiten in der französischen Politik sind aber noch immer fast ausschließlich Männer. Männer besetzen die meisten Spitzenposten der Regierung, stellen die Top-Berater im Elysée-Palast und haben viele der Schlüsselpositionen im Parlament inne. Es reicht nicht, wenn Frauen präsent sind, sie müssen auch Macht erhalten, sonst wirken Macrons Bemühungen wie Alibiaktionen und Augenwischerei. Er hat auch sein Versprechen gebrochen, ein vollwertiges Frauenministerium zu schaffen, und die reduzierte Version wird von einer Frau mit recht zweifelhaften feministischen Referenzen geleitet. Die neuen Parlamentarier kommen zudem überwiegend aus sehr privilegierten Verhältnissen. So hat er zwar Fortschritte durchgesetzt, doch es liegt noch ein weiter Weg vor ihm.
In der Vorwahl präsentierte sich Macron als politischer Außenseiter. Doch im Amt wird er nun beschuldigt, elitär, ja autoritär zu sein. Was für ein Präsident will er eigentlich sein?
Er gibt recht offensichtlich den Platzhirsch und offenbart definitiv autoritäre Züge. So hat er seinen Premierminister brüskiert, als er - in Frankreich nie dagewesen - einen Tag, ehe dieser seine Regierungspolitik darlegen wollte, eine Rede zur Lage der Nation hielt. Er hat sich mit getreuen Anhängern und Neulingen umgeben, die seiner Autorität nicht gefährlich werden können. Die Medien hält er sich vom Leibe, und er hat die Absicht geäußert, das Parlament in ein technokratisches Gremium umzuwandeln, das statt seiner derzeitigen eher repräsentativen Funktion die Überprüfung der Gesetzgebung der Regierung übernimmt. Doch all das hat seinen Preis, denn eine Zentralisierung der Macht führt dazu, dass er allein die Verantwortung trägt. Geht etwas schief, kann er die Schuld nicht so leicht auf andere abwälzen.
Macrons größte Prüfung liegt vielleicht noch vor ihm, denn im Herbst will er die Reform des französischen Arbeitsmarkts durchbringen. Wie beurteilen Sie seine Chancen?
Politisch dürfte er keinerlei Schwierigkeiten haben, seine Reformen durchzusetzen. Die Zustimmung des Parlaments, die Reformen per Erlass zu verfügen, hat er bereits; selbst wenn er das nicht tun würde, hätte er eine loyale parlamentarische Mehrheit, die seine Wünsche bereitwillig umsetzt. Die viel größere Schlacht, die vor ihm liegt, findet auf der Straße statt, denn die Franzosen werden zweifellos gegen seine Pläne mobil machen. Eine solche Taktik hat schon manch einen Präsidenten zum Rückzug gezwungen, weil diese Demonstrationen Frankreich völlig zum Stillstand bringen können. Doch Macron weiß das, und ich erwarte, dass er die Nerven behalten und vielleicht ein paar kleine Zugeständnisse machen wird, damit das Land wieder in die Gänge kommt, dass er aber von den Kernprinzipien seiner Vorhaben nicht abrücken wird. Seine Präsidentschaft steht noch am Anfang, und die Reformen werden erst nach einiger Zeit Früchte tragen, daher muss er seine Chance jetzt nutzen. Da er gern Stärke und Macht demonstriert, wird er, glaube ich, die Reformen nach Thatcher-Vorbild durchboxen.
Man wirft ihm bereits vor, dass er mehr nach rechts als nach links tendiert.
Wie könnten die französischen Sozialisten die Unzufriedenheit mit den Reformen nutzen, um politischen Boden, den sie in der Parlamentswahl im Juni verloren haben, wieder gutzumachen?
Diese Wahl markierte den Tiefpunkt für die Sozialisten, und nun kommen sie entweder wieder auf die Beine, oder sie gehen endgültig unter. In der Linken wächst die Unzufriedenheit mit Macrons neoliberaler Politik, doch die Sozialisten können auf ein besseres Wahlergebnis nur hoffen, wenn sie zu größerer Einigkeit gelangen. Im Moment zersplittern sie in alle Richtungen und haben sich nach der massiven Niederlage noch nicht wieder aufgerappelt. Sie haben das Potenzial, in der französischen Politik wieder richtig Fuß zu fassen, doch die Erholung wird langsam und schmerzhaft sein. Die Schlüsselfrage lautet, ob sie ihre internen Spaltungen überwinden und ihre Ideologie festigen können, ehe ihre Wählerinnen und Wähler, die zur Mitte oder zur extremen Linken abgewandert sind, sie endgültig aufgeben.
Eine der umstrittensten politischen Maßnahmen Macrons bislang ist seine Entscheidung, das Wohngeld für Studenten und Arme zu streichen und gleichzeitig eine Steuerreform einzuführen, die in erster Linie den Reichen nützt. Begeht er damit politisch und wirtschaftlich einen Fehler?
Man wirft ihm bereits vor, dass er mehr nach rechts als nach links tendiert, und er weiß, dass er das mit eher linken Maßnahmen ausgleichen muss. Politisch ist sein Handeln nur logisch, weil die Linke in Auflösung begriffen ist und seine derzeitige Politik darauf abzielt, die Rechte zu spalten und zu erobern. Kurzfristig kann er damit durchkommen, aber langfristig muss er eine bessere soziale Agenda vorweisen, wenn er die Unterstützung von Mitte-Links behalten und sich von der breiten Rechten absetzen will.
Macron hat seine Bereitschaft signalisiert, etwa in der Verteidigung und der Eurozone eng mit Deutschland zusammenzuarbeiten. Wird das französisch-deutsche Bündnis, das in der EU so beherrschend war, wohl wieder gestärkt?
Ja. Macron und Merkel liegen politisch auf einer Linie, und beide haben ein starkes Interesse daran, die EU vor den verschiedensten Gefahren zu schützen. Angesichts eines flatterhaften US-Präsidenten, eines bedrohlichen russischen Präsidenten, der anhaltenden Migrationskrise und des anstehenden Brexit sind Frankreich und Deutschland mehr denn je aufeinander angewiesen. Macron ist ausdrücklich EU-freundlich und sehr an einer engen Zusammenarbeit mit Deutschland interessiert.
Die Fragen stellte Ellie Mears




