Aus den Parlamentswahlen in Israel ist überraschend erneut Benjamin Netanjahu als Sieger hervorgegangen. In deutschen Medien spricht man von einem „Sieg der Panik“. Weshalb hat es für die Linke nun doch nicht gereicht?

Netanjahu hat seinen Wahlkampf auf das Gefühl der Angst und der Bedrohung ausgerichtet. Die ist ja zumindest zum Teil durchaus real. Man denke nur an den Aufstieg des sogenannten Islamischen Staates oder an die Haltung islamistischer Gruppen wie Hamas oder Hisbollah und natürlich an das umstrittene Atomprogramm des Irans. Diese Strategie der Wählermobilisierung war äußerst erfolgreich. Auch Wählerinnen und Wähler, die eigentlich durchaus Probleme mit Netanjahu haben, hatten ganz offensichtlich das Gefühl, dass nur Netanjahu in der Lage ist, angesichts dieser regionalen Bedrohungslage die Sicherheit des Landes zu garantieren.

Die linken Parteien haben dagegen das Problem der ökonomischen und sozialen Ausgrenzung großer Bevölkerungsteile thematisiert. Diese Strategie war ja auch durchaus erfolgreich, nur hat sie eben nicht zum Sieg gereicht.

Es ist ja nicht das erste Mal, der der Trumpf „Arbeit & Soziales“ in israelischen Wahlen nicht sticht. Stets setzt sich Sicherheit gegen Gerechtigkeit durch. Weshalb erneut der Versuch?

Die Linke weiß, dass sie mit dem Thema Frieden und Zwei-Staaten Lösung derzeit keine Wahlen gewinnen kann. Aus diesem Grunde hat sie den Wahlkampf dezidiert auf soziale Fragen ausgerichtet. Der Friedensprozess mit den Palästinensern oder die Bedrohung durch den Iran wurde ganz bewusst nicht in den Vordergrund gestellt. Herzog hat am Rande einige Male darüber gesprochen aber zugleich gewarnt, keine falschen Erwartungen wecken zu wollen.

Ein partnerschaftliches Verhältnis der internationalen Gemeinschaft zu einer neuen Regierung unter der Führung von Netanjahu wird sehr schwierig.

Die Linke hat die Politik der Ausschließung aufgegriffen. Dafür gibt es durchaus gute Gründe: 20 Prozent der Israelis leben unter der Armutsgrenze, 30 Prozent der Kinder wachsen in armen Haushalten auf, die Preise steigen, Wohnungen sind knapp. Und vor diesem Hintergrund werden 20 Prozent der neuen Wohnungen in israelischen Siedlungen im Westjordanland gebaut. Die Linke hat vor diesem Hintergrund auf die einzige Stärke gesetzt, die sie hat.

Der Sieg Netanjahus beruht nicht zuletzt auf umstrittenen Äußerungen gegen israelische Araber, auf Kompromisslosigkeit gegenüber den Palästinensern und einem Affront gegen US-Präsident Obama in Washington. Was werden die Folgen sein?

Die Beziehungen Israels zum Rest der Welt sind mittlerweile nachhaltig gestört. Nicht nur zu den Vereinigten Staaten und dem Weißen Haus, sondern auch zu Europa. Netanjahu hat in den vergangenen Jahren durchgängig den Konflikt gesucht. Im Wahlkampf hat er sich jetzt klar positioniert. Er hat verkündet, mit ihm gäbe es keine Zweistaatenlösung. Man sollte ihm in diesem Punkt glauben.

Das Land wird in der Folge zunehmend isoliert sein. Das dürfte im Übrigen auch Auswirkungen auf die israelische Wirtschaft haben. De-investitionen nehmen zu und israelische Unternehmen haben erhebliche Probleme, neue Märkte zu erschließen und Investoren zu finden. Aus diesem Grund ist die Reaktion der Wirtschaft auf das Wahlergebnis auch verhalten.

Der Sieg bedeutet: Die Siedlungspolitik dürfte ungebremst weitergehen. Das wird ein partnerschaftliches Verhältnis der internationalen Gemeinschaft zu einer neuen Regierung unter der Führung von Netanjahu sehr schwierig machen. Dabei ist eigentlich klar, dass die nun fast 50 Jahre währende Besatzung des Westjordanlandes nicht weitere 50 Jahre fortgeführt werden kann und weder ökonimisch noch strategisch Sinn macht.

Was in diesem Wahlkampf deutlich wurde, ist, dass in Israel ein Richtungskampf über zwei Zukunftsvisionen geführt wird. Die Rechte setzt auf ein Großisrael und ist bereit zu akzeptieren, das das Land von der internationalen Gemeinschaft zunehmend als Festung wahrgenommen wird. Die Linke sieht die Zukunft Israels  dagegen als globale Drehscheibe und als fester Teil der westlichen Wirtschaft und der demokratischen Wertegemeinschaft.

Reinhold Robbe, der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, sagte heute morgen im Deutschlandfunk, er rechne damit, dass Netanjahu von „seinen starken Sprüchen ganz schnell wieder Abstand nehmen“ werde. Teilen Sie diesen Optimismus?

Ich teile diesen Optimismus nicht uneingeschränkt. Netanyahu hat sich im Wahlkampf klar von seiner Bar-Ilan Rede aus dem Jahr 2009 distanziert, in der er einen palästinensischen Staat in Aussicht gestellt hatte. Er hat nun argumentiert, dass sich die politischen Rahmenbedingungen in den vergangenen Jahren durch den Anstieg des Islamischen Staates und den Verfall der arabischen Nationalstaaten in der Folge des Arabischen Frühlings so stark verändert haben, dass das Westjordanland unter israelischer Kontrolle bleiben müsse.

Der arabische Faktor ist aus der israelischen Demokratie nach dieser Wahl nicht mehr wegzudenken.

Auch wenn man sich seine Taten als Premierminister seit 2009 anschaut, besteht wenig Anlass, seine Absage an einen Palästinenserstaat nicht ernst zu nehmen. Die Siedlungen wurden konsequent weiter ausgebaut, die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen für die Palästinenser in der Westbank und Gaza haben sich weiter verschlechtert. Auch die nun realistisch scheinende Koalition zwischen Netanyahu, Lieberman und Bennett gibt nicht gerade Anlass zu großer Hoffnung. Bennett hat im Wahlkampf offen die Annexion der C-Gebiete des Oslo-Vertrages gefordert, während Lieberman seinem Wunsch Ausdruck verliehen hat, sämtliche israelische Araber sollten ins Westjordanland umsiedeln. All das spricht nicht gerade für einen künftigen moderateren Kurs.

Das arabische Parteienbündnis ist überraschend drittstärkste Kraft geworden. Wie sehen Sie die Auswirkungen?

Auf die aktuelle Regierungsbildung dürfte das jetzt kaum Auswirkungen haben. Aber durchaus für die Zukunft der israelischen Demokratie. Das Ergebnis des arabischen Parteienbündnisses zeigt klar, dass israelische Araber mehr und mehr gleichberechtigt am politischen Prozess des Landes teilnehmen wollen. Der arabische Faktor ist aus der israelischen Demokratie nach dieser Wahl nicht mehr wegzudenken. Das wird auch längerfristige Änderungen zur Folge haben. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass es doch zu einer großen Koalition zwischen dem linken Lager und Netanjahu kommt, wäre der Vorsitzende der arabischen Fraktion offizieller Oppositionsführer. Das wäre wirklich ein Novum in der Geschichte Israels.