Der globale Süden gegen den globalen Norden – im August hat im Genfer Völkerbundpalast eine deutliche Mehrheit atomwaffenfreier Staaten gegen die Minderheit von Atomwaffenbesitzern und deren Alliierten aufbegehrt. Eine überwältigende Zahl an UN-Mitgliedstaaten forderte per Kampfabstimmung in den Vereinten Nationen ein Verbot von Atomwaffen und will hierzu bereits im Jahr 2017 Verhandlungen aufnehmen. Dass in der sogenannten Offenen Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen zu nuklearer Abrüstung (Open-ended Working Group on Nuclear Disarmament – OEWG), die von westlichen Medien kaum zur Kenntnis genommen wurde, per Mehrheitsprinzip abgestimmt wurde, war ohnehin ein Novum. Üblicherweise herrscht in solchen UN-Gremien striktes Konsensprinzip, und dies ist auch wichtiger Grund, warum es bei der Rüstungskontrolle in punkto Atomwaffen nicht vorangeht. Noch immer lagern weltweit mehr als 16 000 Atomwaffen – genug, um unseren Planeten gleich mehrfach auszulöschen. Über 90 Prozent dieser Bestände sind im Besitz der USA und Russlands. Daran hat sich auch seit Barack Obamas Ankündigung bei seinem Amtsantritt im Jahr 2009, sich für eine atomwaffenfreie Welt einzusetzen, nichts geändert.

Die letzten Sitzungsstunden am europäischen Sitz der Völkergemeinschaft verliefen dramatisch und endeten in einer offenen Revolte. Heraus kam eine förmliche Aufforderung an die UN-Generalversammlung, den Weg für ein Atomwaffenverbot frei zu machen. Für die Atomwaffenstaaten und ihre Verbündeten ist dieses Votum ein diplomatisches Fiasko. Sie stemmen sich schon lange gegen ein Verbot von Atomwaffen und hatten versucht, ein Aufbegehren der atomwaffenfreien Staaten zu verhindern. Bei Letzteren war die Frustration nach zwei Jahrzehnten stockender Abrüstung jedoch inzwischen so groß, dass sie sich nicht länger von den Atomwaffenstaaten vertrösten lassen wollten. Nachdem sich die mit Obama verbundenen Hoffnungen auf eine neue Dynamik in der Abrüstungspolitik nicht erfüllt hatten, waren sie nicht mehr bereit, weiter tatenlos zuzusehen, wie die Atommächte den Abbau ihrer Arsenale verweigern und stattdessen Waffenbestände modernisieren.

Die Nichtatomwaffenstaaten wollten nicht weiter tatenlos zuzusehen, wie die Atommächte den Abbau ihrer Arsenale verweigern und stattdessen Waffenbestände modernisieren.

Schon lang gor es in den verschiedenen internationalen Gremien der nuklearen Abrüstung und Rüstungskontrolle. Die letzte Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrags im Mai 2015 in New York war krachend gescheitert, das nukleare Nichtverbreitungsregime verliert zunehmend an Unterstützung. Entgegen ihrer Versprechungen und vertraglichen Verpflichtungen haben die Atomwaffenstaaten, allen voran die USA und Russland, jeden substanziellen Fortschritt blockiert. Dies taten sie stets mit dem Verweis auf innere und äußere Zwänge, das innenpolitische Korsett oder die außen- und sicherheitspolitischen Engpässe. Dabei schreckten die beiden größten Atommächte auch nicht vor demonstrativem Zynismus zurück. Moskau und Washington erklärten, dass die Spannungen und Animositäten zwischen ihnen für weitere Abrüstungsschritte zu groß seien. Im gleichen Zungenschlag übten sie aber den Schulterschluss und bildeten eine unzertrennbare Front gegen die immer lauter werdenden Forderungen der atomwaffenfreien Staaten nach einem Verbot und Abschaffung der Bombe.

Das bigotte Bündnis der Atommächte wurde von ihren Alliierten unterstützt. Auch von jenen, die sich immer wieder für Abrüstung einsetzten und offiziell für eine atomwaffenfreie Welt eintreten. Deutschland, traditionell Befürworter der nuklearen Abrüstung und prinzipiell deeskalierend unter den großen Playern der internationalen Politik, stimmte ebenso gegen die Aufnahme von Verhandlungen für ein Atomwaffenverbot und untermauert so den Wall der Nuklearstaaten. Damit übergeht die Bundesregierung nicht nur die Mehrheitsmeinung der internationalen Gemeinschaft, sondern auch die der eigenen Bevölkerung. 93 Prozent der Bundesbürger befürworten nach einer Forsa-Umfrage vom April 2016 ein generelles Atomwaffenverbot.

93 Prozent der Bundesbürger befürworten ein generelles Atomwaffenverbot.

Die Niederlage der Gegner eines Atomwaffenverbots bei der Genfer Abstimmung ist gänzlich selbstverschuldet. Während die Atomwaffenstaaten die Verhandlungen boykottierten, war es ihren Alliierten gelungen, in mehreren Verhandlungsrunden hinter verschlossenen Türen die Forderungen der Befürworter eines Verbots nahezu bis zur Unkenntlichkeit aufzuweichen. Es ist dem diplomatischen Dilettantismus und Alleingang der australischen Regierung zu verdanken, ihrer ebenso arroganten wie provokativen Verweigerung, den in nächtelangen Sitzungen errungenen Konsens mitzutragen, dass es zu einem machtpolitischen Showdown kam. Der Taktlosigkeit Australiens folgte ein Paukenschlag. Die Mehrheit der Staaten der südlichen Erdhalbkugel überstimmte eine Minderheit, der vor allem entwickelte Staaten aus dem Norden angehörten, und stieß damit die Atomwaffenstaaten erstmals förmlich und protokollgerecht in einem UN-Gremium von ihrem Sockel. Es war eine Revolte.

Dabei ging es nicht um irgendein weiches Politikfeld oder Handelsverträge. Nein, dieser Akt der Emanzipation berührte den wahrscheinlich sensibelsten Bereich der internationalen Politik. Es ging um nicht weniger, als die Aberkennung der Legitimität der Nuklearmächte und ihrer Privilegien, welche seit Ende des Kalten Krieges die sicherheitspolitische Weltordnung prägen. Der Beschluss der Genfer Arbeitsgruppe markiert einen Wendepunkt in der internationalen Abrüstungspolitik. Mit ihm hat der globale Süden ein Machtwort gesprochen und das nukleare Ancien Régime in Frage gestellt. Die bisherigen Nutznießer einer diskriminierenden Weltordnung müssen diese politische Realität anerkennen. Künftig werden Fragen der nuklearen Abrüstungspolitik nicht mehr allein zwischen den USA und Russland verhandelt, sondern zwischen dem nuklearen Norden und dem atomwaffenfreien Süden.

Künftig werden Fragen der nuklearen Abrüstungspolitik nicht mehr allein zwischen den USA und Russland verhandelt, sondern zwischen dem nuklearen Norden und dem atomwaffenfreien Süden.

Im Oktober 2016 werden die Unterstützer eines Atomwaffenverbots auf Grundlage der Empfehlung der OEWG der UN-Generalversammlung in New York eine Resolution zum Beginn von Verhandlungen im kommenden Jahr vorlegen. Aller Voraussicht nach wird sich nach der Genfer Abstimmung nun auch in New York eine Mehrheit hinter dieser Forderung versammeln. Ein Atomwaffenverbot, bei dem die Atomwaffenstaaten nicht mitmachen, wird natürlich nicht alle Probleme lösen und binnen weniger Jahre eine atomwaffenfreie Welt schaffen. Aber wie die Beispiele des Landminen- und Streumunitionsabkommens zeigen, bei denen die großen Besitzerstaaten ebenso fern blieben, können auch nicht-universelle völkerrechtliche Standards den Druck in punkto Abrüstung erhöhen und den Außenseitern einen gehörigen Imageschaden zufügen. Nicht nur Atomwaffen, auch Reputation stellt in der internationalen Politik eine entscheidende Machtressource dar.

Die endgültige Entscheidung über einen möglichen Beginn von Verhandlungen wird Ende dieses Jahres erwartet. Bis zur nächsten Abstimmung im für Abrüstung zuständigen Ersten Ausschuss der Generalversammlung im Herbst müssen die Atomwaffenstaaten und ihre Verbündeten auf die nuklearen Habenichtse zugehen, wenn ihnen wirklich am Erhalt des nuklearen Rüstungskontrollregimes gelegen ist. Sollten sie hingegen weiter für sich beanspruchen, gemeinsam vereinbarte Regeln eigenmächtig brechen zu können, bestimmen künftig andere die Regeln – ohne sie.