Handelsabkommen wie die Handels- und Investitionspartnerschaft TTIP zwischen der EU und den USA sind ein verbraucherfreundliches Abkommen, wenn sie dazu führen, dass Preise sinken und das Angebot in den Geschäften steigt. Diese Argumentation wird von der Bundesregierung und der Europäischen Kommission vorgetragen, um die Vorteile eines Handelsabkommens für Verbraucherinnen und Verbraucher zu unterstreichen. Ähnlich hat sich in der vergangenen Woche <link schwerpunkt-des-monats welchen-welthandel-wollen-wir artikel detail mehr-gute-jobs-1424>an dieser Stelle auch der Leiter des ifo Zentrums für Außenwirtschaft, Gabriel Felbermayr, geäußert. TTIP sei eine gute Sache für Verbraucher, weil Preissteigerungen durch mehr Wettbewerb gedeckelt würden und Unternehmen durch einen stärkeren Innovationsdruck ihre Produkte verbessern müssten, um weiterhin am Markt bestehen zu können.

Das Preisargument überzeugt nicht

Unbestritten ist: Handelsabkommen können in einigen Produktkategorien ein breiteres Angebot und geringere Preise nach sich ziehen. Das ist ein wichtiger Aspekt von Handelsabkommen vor allem für jene Verbrauchergruppen, die auf jeden Euro achten müssen. Trotzdem reicht das Preisargument allein für einen Verbraucherschützer nicht aus.

Doch schauen wir uns die Argumente im Detail an. Da ist zum einen der unterstellte Vorteil geringer Preise: Eine aktuelle vorläufige Nachhaltigkeitsprüfung des TTIP-Abkommens im Auftrag der Europäischen Kommission kommt genau zu einer gegenteiligen Einschätzung. Dort heißt es, dass TTIP voraussichtlich nicht zu niedrigen, sondern zu geringfügig höheren Verbraucherpreisen führen wird. Auch wenn gleichzeitig die Löhne steigen sollen – die Gleichung „Mehr Handel = geringere Preise“ scheint nicht aufzugehen. Ein für die Legitimation des Abkommens so wichtiger Aspekt sollte in jedem Falle evident sein und nicht etwa zu einer Glaubensfrage werden.

Auch wenn gleichzeitig die Löhne steigen sollen – die Gleichung „Mehr Handel = geringere Preise“ scheint nicht aufzugehen.

Befürworter von TTIP wie Felbermayr tragen vor, der Abbau von Handelsbarrieren wie etwa Zöllen, würde den Wettbewerb beleben und sei deshalb ebenfalls klar im Sinne der Verbraucher. Doch selbst wenn der Abbau von Zöllen und anderen technischen Handelsbarrieren zu einer Belebung des Handels und zu direkten Einsparungen bei Unternehmen führt, ist noch lange nicht garantiert, dass diese auch an Verbraucher weitergegeben werden. Dies zeigte schon 2015 eine Untersuchung des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) zur Weitergabe des niedrigen Ölpreises an deutsche Verbraucher. Diese hatte klar ergeben, dass Ersparnisse der Unternehmen durch niedrige Rohstoffpreise eben nicht an die Konsumenten weitergereicht wurden. Ähnliches hat The Economist kürzlich in einer umfassende Analyse des US-amerikanischen Marktes herausgefunden: In vielen Sektoren stieg der Unternehmensprofit stark an, Gewinne wurden jedoch auch dort nicht an Verbraucher oder Arbeitnehmer weitergegeben. Ein Grund hierfür ist die immer stärkere Konzentration von Märkten und die damit verbundene Marktmacht der Unternehmen – ein globales Phänomen, das nicht nur in den USA zu finden ist.

Zielmarke nachhaltiges Wirtschaften

Nun zum angeblichen Vorteil niedriger Preise: Selbst wenn TTIP schließlich zu geringeren Verbraucherpreisen führen sollte, ist das kein hinreichendes Pro-TTIP-Kriterium, da sind sich Verbraucherorganisationen in Deutschland, Europa und den USA weitgehend einig. Fairer Wettbewerb in Verbrauchermärkten, nachhaltige Produktionsweisen, eine klar verständliche Produktkennzeichnung, die Möglichkeit zur Durchsetzung von Verbraucherrechten sowie eine gute Bildung gerade für junge Verbraucher gehören ebenfalls zu einem modernen Marktgeschehen. Aus der Perspektive der Verbraucherschützer wäre es also unsinnig, eine Zustimmung zu Handelsabkommen allein auf Grundlage niedriger Preise und hoher Produktauswahl zu treffen.

Dies ist vor allem deshalb von Bedeutung, da Handelsabkommen immer mehr auch Regulierungsabkommen sind. Es geht nicht mehr allein um einen Abbau von Zöllen und einer Vereinfachung von transnationalem oder gar globalem Handel. Vielmehr geht es um eine Angleichung von Standards und Regulierungen. Und hier kommt wieder die Verbraucherpolitik ins Spiel: Viele Gesetze, die dem Schutz der Verbraucher dienen, können aus einer handelspolitischen Perspektive als „Handelshemmnis“ klassifiziert werden. Deshalb sagt auch der Verbraucherzentrale Bundesverband: Freihandel ja, aber bitte nicht auf Kosten der Verbraucher. Geltende Schutzstandards dürfen nicht als Handelshemmnis umdeklariert werden.

Verbraucherschutz ist kein Handelshemmnis

Einige Beispiele: Eine Kennzeichnung von Fleischprodukten, die darüber Auskunft gibt, wo die Tiere geboren, gemästet und geschlachtet wurden, wird von einer großen Mehrheit der europäischen Verbraucher unterstützt. Eine solche Herkunftskennzeichnung wurde auch in den USA eingeführt, die daraufhin jedoch prompt von der kanadischen Regierung verklagt wurden. Die Kennzeichnung sei eine „verdeckte protektionistische Maßnahme“ – eine Argumentation, die von der Welthandelsorganisation (WTO) bestätigt wurde. In einem weiteren Fall wurde auf der Grundlage der WTO-Vereinbarungen die Europäische Union von Peru verklagt, weil in der EU nur eine spezielle Fischart den Namen „Sardine“ tragen darf. Peru verstand dies als Diskriminierung. In der Folge wurden in der EU die strengeren Kennzeichnungspflichten gelockert, um mehr Fischarten den Titel „Sardine“ zukommen zu lassen. Diese Beispiele zeigen, dass Verbraucherinteressen gegenüber Handelsinteressen oftmals den Kürzeren ziehen. Wenn aber verbraucherschützende Regulierung durch Handelsabkommen eingeschränkt oder gar verhindert wird, verliert der europäische Verbraucherschutz insgesamt.

Viele Gesetze, die dem Schutz der Verbraucher dienen, können aus einer handelspolitischen Perspektive als „Handelshemmnis“ klassifiziert werden.

Zurzeit verhandelte Abkommen wie TTIP werden auf politischer Bühne gerne als neuer „Goldstandard“ bezeichnet, die neue Benchmarks im Welthandel setzen würden und den Verbraucherschutz unangetastet oder gar steigen lassen. So sagte der amerikanische Präsident Barack Obama kürzlich anlässlich seines Besuches der Hannover Messe: “The answer is to learn from the past and to trade the right way, with high standards for workers, and consumers, and the environment. And that’s the kind of trade that we’re pursuing in this partnership.” Auch Kanzlerin Angela Merkel unterstrich schon 2014: „Die EU hat [bei früheren Handelsabkommen] jedes Mal ein Mehr an Umweltschutz, ein Mehr an Verbraucherschutz herausgehandelt“. Nimmt man diese Aussagen beim Wort, bleibt festzuhalten: Es kann bei modernen Handelsabkommen nicht mehr nur noch darum gehen, freie Märkte um jeden Preis zu schaffen, sondern um einen sinnvollen Mehrwert für unsere Gesellschaften. Wenn also Preissenkungen durch Handelsabkommen mit niedrigeren Arbeitnehmer- oder Umweltstandards in den Herkunftsländern erkauft werden, ist dies nicht im Interesse einer nachhaltigen Wirtschaftsordnung. Der europäische Verbraucherschutz setzt sich deshalb für einen nachhaltigen Konsum ein, damit künftige Generationen dasselbe Angebot zu einem fairen Preis vorfinden können.

Rote Linie Verbraucherschutz

Handelsabkommen müssen sich also aus Verbrauchersicht an folgenden Punkten messen lassen: Setzen sie klare rote Linien, damit Regeln des Verbraucher-, des Arbeitnehmer- und des Umweltschutzes vor reinen Gewinninteressen stehen? Garantieren sie die Durchsetzung von Verbraucherrechten im transnationalen Raum? Haben sie den Mut zur Erkenntnis, dass in einigen Bereichen, die über stark unterschiedliche Schutzphilosophien verfügen, eine Harmonisierung von Standards schlicht nicht möglich ist? Schreiben sie klare Regeln fest, damit der Schutz personenbezogener Daten auch im internationalen Handel gesichert ist? Bekommen Investoren keinen Vorrang vor Interessen des Allgemeinwohls? Kurzum: Werden Verbraucherrechte wirklich ernst genommen? Handelsabkommen mit einem solchen Anspruch brauchen zum einen keine Geheimverhandlungen. Das Vertrauen von Verbrauchern in globale Produktions- und Lieferketten würde gestärkt. Zum anderen würden sie sie Standards nicht nur erhalten, sondern zum Maßstab machen und ausbauen.

Deswegen sind hohe Standards, die am Gemeinwohl und damit am Verbraucherschutz orientiert sind, die Treiber verbraucherfreundlicher Handelsabkommen. Sie sind letztlich Kernvorteile von Handelsabkommen aus Verbrauchersicht. Deshalb wären die Definition und Verankerung echter Goldstandards das entscheidende Pro-TTIP-Argument – und nicht niedrigere Preise. Wenn, wie zu erwarten ist, die TTIP-Verhandlungen an die Nachfolgerin oder den Nachfolger von Präsident Obama übergeben werden, dann wäre das eine Chance auf ein in diesem Sinne erweitertes Verhandlungsmandat.