Die Krise in der Ukraine macht die grossen Herausforderungen deutlich, vor denen die Erweiterungspolitik der EU nach wie vor steht. Dies gilt auch für den in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund gerückten Kosovo. Auch dort zeichnet sich leider keine europäische Erfolgsstory ab.

Zwar ist das internationale Engagement in der ehemaligen serbischen Provinz nach wie vor groß, die zu erntenden Früchte bleiben jedoch klein. Der Kosovo hat nach der Unabhängigkeitserklärung 2008 keine entscheidenden Fortschritte in Richtung eines demokratischen Rechtsstaates gemacht. Eine Folge davon ist klar: Die internationalen Akteure haben in der kosovarischen Bevölkerung an Glaubwürdigkeit verloren, da sich trotz ihrer Präsenz und Einflussnahme die Lebensbedingungen nicht verbessern. Für Politik und Gesellschaft Kosovos bleibt der EU-Beitritt Ziel, der Weg dahin wird aber zur Geduldsprobe. Die kosovarische Politik droht deshalb künftig weniger Rücksicht auf ihre internationalen Unterstützer zu nehmen. Dies zu einem Zeitpunkt, da der zu erwartende Abgang von Premier Thaçi eine einmalige Chance für eine Annäherung zwischen Pristina und den Serben in Nordkosovo bietet.

Ein fragiles Abkommen als Hoffnung

Das Brüsseler Abkommen vom 19. April 2013 hat Hoffnung auf eine vollumfängliche Normalisierung der Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien gemacht. Zugleich wurden Perspektiven für einen EU-Beitritt der beiden Länder eröffnet. In den letzten zwölf Monaten konnten zwar weite Teile der Vereinbarung umgesetzt werden. Das wirklich kritische Unterfangen des Abkommens, die Schaffung einer Gemeinschaft serbischer Gemeinden im Kosovo, wurde jedoch noch nicht in Angriff genommen.

Dies soll erst nach den Parlamentswahlen im Kosovo, die voraussichtlich im Juni stattfinden werden, geschehen. Eines zeichnet sich aber jetzt schon ab: Diese Gemeinschaft wird auf Dauer Streitthema bleiben. Serbien und die serbischen Gemeinden im Kosovo interpretieren die Autonomie der Gemeinschaft sehr weitreichend. Kosovo aber will ihre Kompetenzen gering halten. Belgrads Zugang zu den serbischen Gemeinden im südlichen Teil des Landes hat sich im letzten Jahr bereits spürbar vergrößert. Zugleich hat sich Pristinas Verbindung zu den serbischen Gemeinden im Norden kaum entwickelt. Die Serben im Norden lehnen nach wie vor jegliche Integration in den kosovarischen Staat ab. Die Sicherheitslage im Nordkosovo bleibt weiterhin angespannt. Da zudem Serbien auf absehbare Zeit die Unabhängigkeit Kosovos nicht anerkennen wird, bleibt die Nachhaltigkeit der geschaffenen Rahmenbedingungen unklar.

Gleichzeitig wächst die Kritik im Süden des Landes. Das Brüsseler Abkommen wird von vielen Kosovaren als fauler Kompromiss gesehen. Zugleich haben die sozialen Spannungen im Land zuletzt zugenommen, da sich an der schwierigen Lage für die Bevölkerung wenig geändert hat. Die Wirtschaft bleibt unterentwickelt, die Arbeitslosigkeit schwindelerregend hoch. Auslandsinvestitionen stagnieren auf niedrigem Niveau. Ursachen dafür sind Korruption, Klientelismus, schlechte Infrastruktur und ungenügend funktionierende Institutionen. Kosovo ist nach wie vor alles andere als ein attraktives Land für Investoren.

Sollte eine neue Regierung ins Amt kommen, hätte sie zwei Möglichkeiten: Sie kann sich entweder über eine harte Linie gegenüber Serbien profilieren oder im Sinne eines Neuanfangs eine Annäherung an die Serben in Nordkosovo suchen.

Auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik ist geschwunden. Bei den Lokalwahlen im Herbst 2013 wurden parteiübergreifend Amtsinhaber abgestraft. Der Wunsch nach einem Politikwechsel ist offensichtlich. Sollte eine neue Regierung ins Amt kommen, hätte sie zwei Möglichkeiten: Sie kann sich entweder über eine harte Linie gegenüber Serbien profilieren oder im Sinne eines Neuanfangs eine Annäherung an die Serben in Nordkosovo suchen.

Entscheidet sie sich für Konfrontation, bliebe eine einmalige Chance ungenutzt. Hinzu kommt, dass die EU und die USA demnächst ein Sondertribunal einrichten wollen, das Kriegsverbrechen im Kosovokrieg, insbesondere im Zusammenhang mit Organhandel, untersuchen soll.

Dies wird von vielen Kosovaren als Beleg dafür angesehen, dass die internationale Gemeinschaft dem Land eine Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit nicht zutraut. Das Gericht wird auch als potenzielle Attacke gegen die ehemalige Befreiungsarmee UÇK gesehen. Dem Image der internationalen Akteure wird das Tribunal daher zumindest kurzfristig nicht zuträglich sein. Es droht ein Narrativ, in dem die internationale Präsenz mit einer Erniedrigung Kosovos gleichgesetzt wird. Eine unabhängigere Politik mit weniger Rücksicht auf internationale Akteure, ist in dieser Logik die schlüssige Folge. Das nationale Selbstbewusstsein soll gestärkt, der Handlungsspielraum erweitert werden. Einem schon früher immer wieder diskutierten Anschluss an Albanien könnte so größere Unterstützung zuteil werden. Auch die angekündigte Gründung einer eigenen Armee kann in diesem Zusammenhang gesehen werden.

Schlüsselrolle der EU

Trotzdem wird der EU im Westbalkan weiterhin die Schlüsselrolle zukommen. Hauptanreiz für die Kompromissbereitschaft Serbiens und Kosovos in Brüssel waren und sind Fortschritte Richtung EU. Mit Kosovo begann Brüssel im Oktober 2013 Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen. Mit raschen Schritten Richtung EU darf jedoch nicht gerechnet werden. Zugleich aber muss die EU darauf achten, dass sich die Stimmung im Kosovo nicht noch stärker gegen ihr Engagement richtet. Brüssel wird so ins Dilemma zwischen strikter Anwendung der Kriterien für eine Annäherung an die EU und einem weiteren Vertrauensverlust in der kosovarischen Bevölkerung geraten.

Die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung durch die EU muss endlich breiteren Schichten im Kosovo zu Gute kommen.

Aus dieser Ausgangslage lassen sich einige Anhaltspunkte für ein erfolgreicheres internationales Engagement im Kosovo ableiten: Erstens muss die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung endlich breiteren Schichten zu Gute kommen. Prestigeprojekte kosten viel Geld, kommen aber nicht der breiten Bevölkerung zugute. Die vom Kosovo geforderten politischen Kompromisse werden nur durch eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage Rückhalt in der Bevölkerung finden. Zweitens sollte die Schaffung der Gemeinschaft der serbischen Gemeinden unterstützt, jedoch eng begleitet werden. Es gilt, eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden. Dies ist momentan nicht gegeben. Die Lösungsfindung den beiden Ländern zu überlassen, wird nicht zu einer gütlichen Einigung führen. Drittens sollten die EU die Verhandlungen zwischen Serbien und Kosovo weiterhin mit Nachdruck moderieren. Der direkte Dialog scheint nur dank der EU-Vermittlung Ergebnisse zu erzielen. Viertens muss bei der momentan zwischen der EU und Kosovo verhandelten Verlängerung des Mandats der EU-Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX die Rechenschaftspflicht für kosovarische Institutionen im Zentrum stehen. Die kosovarischen Behörden sollten zu selbstverantwortlichen Akteuren werden, jedoch vorerst einer Kontrollinstanz unterstehen.

Die Transformationskraft der EU wird groß bleiben. Das wirtschaftliche Versprechen der Union eint Politik und Bevölkerung Kosovos. Die internationalen Akteure müssen ihr Engagement jedoch stärker fokussieren. Es gilt nicht dem kosovarischen Staat, sondern seiner Bevölkerung zu dienen, um tiefgehende Veränderungen zu erreichen.