Griechenland war kaum aus den europäischen Schlagzeilen, als es auf anderem Weg schon wieder darin auftauchte. Während die griechischen Parlamentswahlen im September 2015 es noch einmal auf die Titelseiten schafften, dominierte bereits die europäische Flüchtlingskrise die Agenda und Griechenland war wieder mittendrin. Das Land mit seiner zerklüfteten maritimen Grenze mit den zahlreichen Inseln in Sichtweite der türkischen Küste wurde zum Hauptanlaufpunkt der Flüchtlinge, die es aus Syrien, Afghanistan, Irak und anderen Ländern nach Europa zog.

Während in 2014 gerade einmal 42 000 Menschen den Weg über die griechische Ägäis nach Europa suchten, kamen in 2015 bis Ende November bereits mehr als 750 000 Flüchtlinge auf diesem Weg in die EU. Die Hauptlast trugen dabei fünf Inseln der Ostägäis: Lesbos mit ca 434.000, Chios mit ca. 100.000, Samos mit ca. 90.000, sowie Kos und Leros mit 55 000 und 35.000. Wenn man sich vor Augen führt, dass diese fünf Inseln insgesamt von gerade mal 216.000 Einwohnern besiedelt werden, wird deutlich, wie überfordert diese mit den ankommenden Flüchtlingen waren.

 

Too little, far too late – die griechischen Reaktionen

Das ohnehin krisengeplagte Griechenland ist mit diesen Flüchtlingszahlen administrativ völlig überfordert. Im Registrierungs- und Identifizierungsverfahren gibt es erhebliche Defizite. Es mangelte besonders im Sommer an zentraler Koordination, Effektivität, an Finanzmitteln und Personal. Erst mit großer Verspätung hat die griechische Regierung begonnen, auf das stetig wachsende Flüchtlingsproblem zu reagieren. Noch immer gibt es zu wenig Aufnahmelager für Flüchtlinge, fast keine Hilfen für Rückkehrwillige und zu wenig staatliche Mittel für die Versorgung der Flüchtlinge mit dem Notwendigsten.

Die Politik reagierte verspätet auf die sich zuspitzende Flüchtlingskrise in Griechenland. Erst der zuständige Minister der Übergangsregierung, Yannis Mouzalas, begann sich ab dem 20. August systematischer um eine koordinierte staatliche Reaktion zu kümmern. Bis dahin hatten sich auf den Inseln informelle Allianzen aus vielen NGO's, teilweise den Kommunen, Frontex, dem UNHCR und den staatlichen griechischen Behörden gebildet, die sich darum bemühte, den bis zu 10 000 Menschen, die täglich strandeten, eine möglichst menschenwürdige Erstaufnahmen zu bieten. Obwohl dies gerade im Sommer nur unzureichend gelang, wirkte das Aufeinandertreffen zweier Motive positiv. Erstens: Die Flüchtlinge kommen nicht nach Griechenland, um dort zu bleiben, sie sind bestrebt,  Griechenland so schnell wie möglich wieder zu verlassen und in andere EU-Länder (vor allem Deutschland und Schweden) weiter zu reisen. Von Januar bis August 2015 stellten lediglich 6245 Personen – also ca. 2% der Ankommenden - einen Antrag auf Asyl, die meisten von ihnen kamen aus Pakistan oder Afghanistan. Zweitens: Die griechische Regierung betrachtet, wie die Mehrheit ihrer Bürgerinnen und Bürger, das Flüchtlingsproblem als eine Aufgabe, die international gelöst werden muss. Bis dahin bestand der wichtigste Part der griechischen Politik darin, die Weiterwanderung der Flüchtlinge von den Inseln über Athen und Thessaloniki in Richtung Norden nicht zu behindern. Griechenland als Drehtür Europas, war eine akzeptierte Rolle für die Links-Rechts-Regierung in Athen.

Gerade im ersten Halbjahr war diese Position verbunden mit einer wahrnehmbaren Veränderung im Umgang mit den in Griechenland befindlichen Flüchtlingen. Diese wurden nun nicht mehr in den von der konservativ/sozialistischen Vorgängerregierung errichteten "Zentren der geschlossenen Gastfreundschaft" – ein wahrhaft Orwell'scher Begriff für die unzumutbaren Lager – verfrachtet und dort festgehalten. Stattdessen durften sie diese Lager verlassen und sich frei in Griechenland bewegen. Damit war der Weg offen für die Weiterreise nach Deutschland, Schweden, oder andere Länder der EU.

Erst nach dem Amtsantritt der Regierung Tsipras II Ende September, in die der bis dahin interimsmäßig tätige Mouzalas übernommen wurde, veränderte sich die politische Reaktion. Dazu trugen auch der Druck der europäischen Partner und die Beschlüsse der EU bei. Die teils auf öffentlichen Plätzen im Zentrum von Athen campierenden Flüchtlinge wurden teilweise in Notunterkünfte, wie der olympischen Taekwondo-Halle untergebracht, die Registrierung auf den Inseln wurde schrittweise verbessert. Dennoch hat Griechenland nach wie vor erhebliche Probleme.

 

Griechenlands Probleme mit der Bewältigung der Flüchtlingskrise:

Die dem Land zur Verfügung stehenden EU-Mittel für Polizei, Grenzschutz und Flüchtlingsunterkünfte werden nicht ausreichend abgerufen. Dazu braucht es die Einrichtung einer neuen Behörde. Bisher wurden die Anträge zur Bewilligung der EU-Mittel von den einzelnen Ministerien verfasst. Dies soll umstrukturiert werden, so dass eine nationale Behörde für die Antragsstellung zuständig sein wird – sie existiert aber bisher nur auf dem Papier.

Es gibt in Griechenland nicht genügend Eurodac-Geräte zur Registrierung der Flüchtlinge. Deutschland hat Griechenland bisher etwa 30 solcher Geräte überreicht, insgesamt hat das Land etwa 50 davon, benötigt werden jedoch insgesamt etwa 150. An vielen Registrierungsstellen wird in Griechenland weiterhin mit dem Stempelkissen und Karteikarten registriert. Die EU hat Griechenland wegen Mängeln bei der Erfassung von Fingerabdrücken einreisender Flüchtlinge (Umsetzung Eurodac-Verordnung) inzwischen verwarnt.

Es gibt nicht genügend Unterkünfte für Flüchtlinge. Auf Lesbos gibt es zurzeit etwa 5.000 Schlafplätze. Dies reicht theoretisch nur für die täglich ankommenden Menschen, die jedoch länger als einen Tag auf der Insel verweilen. Die Folge sind unzumutbare Zustände für die Flüchtlinge, die vielfach im Freien campieren müssen. Die Realisierung der versprochenen 30.000 Unterkünfte in Griechenland bis Jahresende stockt und es ist fraglich, ob die für 2016 avisierten weiteren 20.000 Unterkünfte umgesetzt werden.

Die griechischen Asylbehörden funktionieren nur unzureichend, da sie neu eingerichtet wurden. Bislang war hierfür die Polizei zuständig. Die Kapazitäten der neuen Behörde sind begrenzt, gleichzeitig stellen nur wenige der Flüchtlinge einen Antrag auf Asyl in Griechenland.

Der Schutz der Grenze ist immer noch eine nationale Aufgabe, mit der Griechenland in der Ägäis aktuell jedoch deutlich überfordert ist. Bei der Flüchtlingskrise stellt sich nun auf europäischer Ebene die Frage: wie viele – eigentlich nationalstaatliche Kompetenzen – auf europäische Ebene gehoben werden sollen.

 

Fordern statt fördern – die Reaktion der EU

Die europäische Uneinigkeit im Umgang mit der Flüchtlingskrise wird auch in den zwiespältigen Reaktionen gegenüber Griechenland deutlich. Einerseits wird Druck aufgebaut, dass Athen die Registrierung der Einreisenden schneller und effektiver gestaltet und besonders seine Außengrenzen gegenüber der Türkei besser schützt. Dazu wurden immer wieder gemeinsame Grenzkontrollen der beiden Länder empfohlen, um den Schlepperbanden in der Ägäis ihre Arbeit zu erschweren. Zugleich wurde Tsipras aufgefordert, die vereinbarten Hotspots möglichst schnell einzurichten, um eine geregelte Aufnahme der Flüchtlinge zu ermöglichen. Zuletzt war die Unzufriedenheit offensichtlich so groß, dass ein Ausschluss Griechenlands aus der Schengen Zone erwogen wurde. Andererseits unterstützt die EU aber Griechenlands Bemühungen mit der Bereitstellung von Registrierapparaten, die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX ist in Griechenland tätig und unterstützt die lokalen Behörden bei ihrer Arbeit. Einige Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschland, haben Athen auch bilateral massiv unterstützt.

Dennoch pocht die griechische Regierung darauf, dass ihre Bitten um Unterstützung seitens der EU nur unzureichend erfüllt wurden. Sowohl der Einsatz von FRONTEX, als auch die Bereitstellung von Material sei nur schleppend erfolgt und ohne die bilateralen Hilfen stünde das Land nun sehr viel schlechter da. Daher hat Athen Anfang Dezember um die Aktivierung des Zivilschutzmechanismus' der EU gebeten, der es der Union ermöglicht, einem Mitgliedsland schnell Hilfen zukommen zu lassen. Zusätzlich dazu hat Griechenland um den Einsatz der RABIT-Teams von FRONTEX ersucht, einem Soforteinsatzteam zur Grenzsicherung, das in der Ägäis und an der Grenze zum Nachbarland Mazedonien eingesetzt werden soll.

Aus der Drehtür Europas, die Griechenland noch im Sommer darstellte, droht eine Art Windfang zu werden, nur dass Athen selbst weder Kontrolle über die Vordertür, noch über die Hintertür hat.

Die Verschärfung der Diskussionen in den Ländern Kerneuropas und die sukzessive Schließung von Grenzen für Flüchtlinge entlang der Balkanrouten, führen zu einer zunehmenden Besorgnis in Griechenland. Die Flüchtlingszahlen sind zwar leicht zurückgegangen, aber nicht in dem Maße, wie es angesichts des einsetzenden Winters und der verschärften Kontrollen der Türkei zu erwarten wäre. Gleichzeitig lässt die Regierung der benachbarten ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien nur noch Syrer, Afghanen und Iraker über die Grenze. Alle übrigen Flüchtlinge werden abgewiesen, so dass es Anfang Dezember bereits zu heftigen Ausschreitungen zwischen Polizeieinheiten und Zurückgewiesenen kam.

Griechenland sieht sich daher mit dem Problem konfrontiert, dass die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten zunehmend geringer werden. Die Zuwanderungen hängen maßgeblich von der Bereitschaft der Türkei ab, ihre Grenzen schärfer zu kontrollieren und die Flüchtlinge schon an der eigenen Küste aufzuhalten. Sind sie erstmal auf dem Wasser bleibt Griechenland nur noch die Wahl, diese Menschen aufzunehmen. Die Balkanroute wird mehr und mehr kontrolliert, viele Flüchtlinge drohen in Griechenland zu stranden und suchen alternative Routen über Albanien und Bulgarien, die jedoch deutlich beschwerlicher sind. Auch die Verteilung von anerkannten Flüchtlingen innerhalb Europa ist keine wirkliche Entlastung, da dieser Prozess kaum begonnen hat. Von den geplanten 66.000 Flüchtlingen aus Griechenland, die in andere EU-Staaten ausreisen sollen, haben weniger als 100 das Land verlassen. Und die dritte Entlastung, die Rückführung nicht anerkannter Flüchtlinge, droht ebenfalls an bürokratischen Hemmnissen gebremst zu werden. So wurden Anfang Dezember pakistanische Flüchtlinge, die in ihre Heimat zurückgeführt werden sollten, aufgrund nicht korrekter Papiere der pakistanischen Botschaft (sic!) wieder im gleichen Flugzeug zurückgeschickt.

Aus der Drehtür Europas, die Griechenland noch im Sommer darstellte, droht eine Art Windfang zu werden, nur dass Athen selbst weder Kontrolle über die Vordertür, noch über die Hintertür hat. Und auch alle anderen Auswegmöglichkeiten sind mit Hindernissen behaftet. Die zurückbleibenden Flüchtlinge werden die ohnehin schon überforderten griechischen Kommunen Athen und Thessaloniki – hier ballen sich die Migranten – weiter überfordern, die Fähigkeit, aber auch die Bereitschaft Griechenlands, diese Menschen im Land unterzubringen und zu versorgen ist sehr gering, eine Integrationspolitik schon gar nicht vorhanden. Eine Fortsetzung dieser Situation kann dazu führen, dass die von der Regierung schon seit Beginn des Jahres propagierte "humanitäre Krise" (der Griechen) sich nun tatsächlich entfaltet, dann aber vor allem für die Flüchtlinge, die nicht in Europa akzeptiert werden.