Als sich die Staatschefs der Welt zur Eröffnung der UN-Vollversammlung im September trafen, beherrschte die sich verschärfende internationale Reaktion auf die Siege und Barbareien des selbst ernannten Kalifats des „Islamischen Staates“ im Irak und in Groß-Syrien (IS) die Schlagzeilen.
Die Militäraktionen der Koalition aus westlichen und arabischen Staaten unter Führung des US-Präsidenten Barack Obama, mit denen die Dschihadistenhorden „zersetzt und zerstört“ werden sollten, waren natürlich Tagesgespräch. Die Vollversammlung bot Obama eine wichtige Bühne für seine Bitte um weltweite Unterstützung. Doch er erwartete von den Vereinten Nationen auch eine beständigere, institutionalisierte Gegenleistung: ein Mandat des Sicherheitsrats für die innerstaatliche Eindämmung der Bedrohung durch „ausländische terroristische Kämpfer“. Er bekam diese Resolution in einem einstimmigen Beschluss.
Bindende Resolution
„Sie ist rechtlich bindend“, betonte Obama gegenüber dem Rat. „Sie legt neue Verpflichtungen fest, denen die Staaten nachzukommen haben.“ Einmal mehr hat somit der Sicherheitsrat mittels seiner außergewöhnlichen Durchsetzungsbefugnis nach Kapitel VII der UN-Charta alle Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, ihre nationale Gesetzgebung an die Vorgaben des Sicherheitsrats anzupassen. Damit soll eine unmittelbare Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit eingedämmt werden. Die Einhaltung dieser Vorgaben wird über einen offenbar dauerhaften Überwachungsprozess durchgesetzt.
Manche sehen in der Hinwendung der USA zu einem für staatliche Regierungen bindenden „Recht“ des Sicherheitsrats eine gewisse Ironie. Immerhin sind in Washington die argwöhnischen Stimmen zu Eingriffen in die staatliche Souveränität durch die UNO, die bei den Konservativen regelmäßig Empörung auslösen, besonders laut.
Allerdings war es ausgerechnet die konservative Regierung unter Präsident George W. Bush – die später, als sich der Sicherheitsrat gegen ihre Invasionspläne für den Irak sperrte, bekanntlich die „Relevanz“ der Vereinten Nationen infrage stellte –, die Gesetzgebungsaufträgen des Rats an seine Mitgliedsstaaten den Weg bereitete. Angestoßen von den Briten und den Franzosen, die die heftige Reaktion der neuen Regierung auf die Angriffe des 11. September 2001 in eine multilaterale Richtung lenken wollten, forderten die Amerikaner den Sicherheitsrat nur zwei Wochen nach der Tragödie auf, sämtlichen Staaten eine Reihe atemberaubender Antiterrormandate aufzuerlegen.
In Resolution 1373 beschloss der Sicherheitsrat „dass alle Staaten a) die Finanzierung terroristischer Handlungen verhüten und bekämpfen werden; b) die vorzeitige Bereitstellung oder Sammlung von Geldern […] zur Ausführung terroristischer Handlungen […] unter Strafe stellen werden; c) unverzüglich Gelder und sonstige finanzielle Vermögenswerte […]einfrieren werden“. Dass sie „denjenigen, die […] den Tätern Unterschlupf gewähren, einen sicheren Zufluchtsort verweigern werden“ und dass sie „die Anwerbung von Mitgliedern terroristischer Gruppen unterbinden“.
Zwölf Jahre später drängt der Ausschuss zur Bekämpfung des Terrorismus, der vom Sicherheitsrat eingerichtet wurde, um die Umsetzung der Resolution zu überwachen, die Staaten noch immer auf Beantwortung seiner Anfragen. Das Sekretariat sorgt dafür, dass die staatlichen Bürokratien den Terrorismus weiter auf dem Schirm haben, auch wenn die Staats- und Regierungschefs ihre Aufmerksamkeit anderen Themen zuwenden.
Einige der 174 Mitgliedsstaaten, die 2001 im Sicherheitsrat keine Stimme hatten, beschwerten sich, die Resolution greife zu tief in ihre Souveränität ein. Doch als die Generalversammlung in jenem Herbst in der Sache der längst ins Stocken geratenen umfassenden Antiterrorkonvention wieder in ihre übliche Lähmung verfiel, war klar, dass es schlicht nicht machbar war, in einer Sicherheitsnotlage wie den aggressiven al-Qaida-Anschlägen allgemeine Zustimmung zu finden.
Ausbreitung von Massenvernichtungswaffen verhindern
Schon wenige Jahre später war eine neue aufkommende Bedrohung für den internationalen Frieden und die Sicherheit Anlass für ein zweites Mandat für die innerstaatliche Rechtsprechung. Obwohl die Regierung Bush Rufe nach einer Reduzierung des eigenen Atomwaffenarsenals hartnäckig abblockte, widmete sie sich voller Eifer der Aufgabe, die Ausbreitung von Massenvernichtungswaffen zu verhindern, zumal, wenn sie in die Hände terroristischer Gruppen zu gelangen drohten. Mit anderen Ratsmitgliedern, die diese Befürchtungen teilten, beschloss der Sicherheitsrat 2004 einstimmig eine Verpflichtung der Staaten, sich der Bedrohung durch die Verbreitung von Waffen zu stellen.
Resolution 1540 war womöglich noch aggressiver als ihre Vorgängerin, denn sie verpflichtete alle Staaten dazu, dass sie „geeignete wirksame Rechtsvorschriften erlassen und anwenden werden, die es jedem nichtstaatlichen Akteur untersagen, nukleare, chemische oder biologische Waffen und ihre Trägersysteme herzustellen, zu erwerben, zu besitzen […] weiterzugeben oder einzusetzen, insbesondere für terroristische Zwecke“. Darüber hinaus wurde allgemeiner beschlossen, dass „alle Staaten wirksame Maßnahmen ergreifen und durchsetzen werden, um innerstaatliche Kontrollen zur Verhütung der Verbreitung von nuklearen, chemischen und biologischen Waffen und ihren Trägersystemen einzurichten“. (Mit Rücksicht auf US-amerikanische Empfindlichkeiten spricht die Resolution achtzehnmal von der „Verbreitung“ von Waffen, jedoch nur einmal kurz von „Abrüstung“ – und fügt kein neues Mandat hinzu, sondern erwähnt lediglich bestehende „Abrüstungsverträge“.)
Diese Mandate nach Kapitel VII werfen natürlich die Frage auf, wie nachdrücklich der Rat sie durchsetzen wird. Die Bedrohung durch al-Qaida und später die mögliche Weitergabe von Massenvernichtungswaffen an Fanatiker stellte die allgemeine Zustimmung sicher. Im Jahr 2011 berichtete beispielsweise der Überwachungsausschuss für Resolution 1540, die Zahl der Staaten, die über Gesetze für eine Verhinderung der Verbreitung verbotener Waffen verfügten, sei innerhalb von fünf Jahren von 65 auf 140 hochgeschnellt. Immerhin 168 Staaten reichten einen Bericht beim Ausschuss ein.
Die umfassende Einhaltung der Resolution bestätigt, dass die Mandate des Sicherheitsrats dem Willen der internationalen Gemeinschaft insgesamt durchaus entsprachen.
Die umfassende Einhaltung der Resolution bestätigt, dass die Mandate des Sicherheitsrats dem Willen der internationalen Gemeinschaft insgesamt durchaus entsprachen. Unter den Staaten, die keinen Bericht zu Resolution 1540 einreichten, befanden sich beispielsweise zwanzig arme Länder in Afrika und weitere zwei kriegsgeschüttelte, in denen UN-Friedenstruppen für Zusammenhalt sorgen. Der Sicherheitsrat würde wohl kaum gegen eines dieser Länder vorgehen. Der einzige echte Verweigerer ist Nordkorea, dem der Rat bereits schmerzhafte Sanktionen für einen erheblich schwereren Verstoß auferlegte, nämlich den Aufbau eines Atomwaffenarsenals, den das Land nach seinem Beitritt zum Atomaffensperrvertrag betrieb.
Bedrohung durch ausländische terroristische Kämpfer
Die in diesem Herbst beschlossene Resolution 2178 erlegt der innerstaatlichen Rechtsprechung keine weitreichenden Mandate auf. Sie konzentriert sich entschieden aber bescheiden auf die, wie Obama es nannte, „reale und wachsende Bedrohung durch ausländische terroristische Kämpfer“. Darüber hinaus ruft sie den Staaten wiederholt in Erinnerung, dass ihre Vorgaben den internationalen Menschenrechtsgesetzen unterliegen, anders als die Antiterror-Resolution im Jahr 2001, in der die Menschenrechte fast völlig unter den Tisch fielen.
Unter dieser bemerkenswerten Einschränkung heißt es, alle Staaten seien gehalten, zu „verhüten“, dass Personen „in einen Staat reisen, der nicht der Staat ihrer Ansässigkeit oder Staatsangehörigkeit ist, um terroristische Handlungen zu begehen“ oder „sich zu Terroristen ausbilden zu lassen“. Zudem müssten sie die „Durchreise jeder Person […] verhindern, über die dem Staat glaubwürdige Informationen vorliegen, die hinreichende Gründe […] liefern“ für die Annahme, dass sie terroristische Handlungen plant.
Gemeinsam mit Washington unterstützten 103 Mitgliedsstaaten die Resolution, die sich besonders gegen die IS und die al-Nusra-Front wendet. Als wollten sie Beschwerden wegen eines Übergriffs auf die staatliche Souveränität vorbeugen, setzten sich zwölf Staatsoberhäupter und Regierungschefs, gemeinsam mit den Außenministern Chinas und Russlands, zu Obama an den Verhandlungstisch und unterstrichen die Unterstützung der Maßnahme auf höchster politischer Ebene.
Generalsekretär Ban Ki-moon berichtete dem Rat, über 13 000 ausländische Kämpfer aus achtzig Ländern hätten sich unter der IS-Flagge versammelt.
Hinter der Resolution standen peinliche Enthüllungen, nach denen die IS wie auch andere bewaffnete Gruppen, die den Sturz der autoritären säkularen Regierung in Syrien betrieben, einen unablässigen Strom radikaler Muslime mit Wohnsitz in Westeuropa rekrutierten. Generalsekretär Ban Ki-moon berichtete dem Rat, über 13 000 ausländische Kämpfer aus achtzig Ländern hätten sich unter der IS-Flagge versammelt. Der Franzose François Hollande und der Brite David Cameron räumten ein, dass 1 000 beziehungsweise 500 Kämpfer aus ihren Ländern stammten.
Doch ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass die überwältigende Mehrheit der ausländischen Kämpfer, die nach Syrien und nun in den Irak strömen, durchaus nicht aus dem Westen kommt. Sie stammen aus arabischen Staaten und werden von der Türkei begünstigt. Es ist die Politik dieser Länder, nicht Großbritanniens und Frankreichs, auf die Resolution 2178 besonders abzielt.
Bliebe es ihnen überlassen, würden viele dieser Dschihadisten-Exportländer – vor allem jene, die gegenüber Baschar al-Assad eine tiefe Feindschaft hegen – wohl weiterhin die Augen vor der Rekrutierung und Durchreise von Dschihadisten verschließen und gleichzeitig behaupten, dass sie diese ja nicht aktiv unterstützten. Die Abhängigkeit Washingtons von ihrer sicherheitspolitischen Kooperation und ihren militärischen Einrichtungen mag diese Länder vor allzu großem Druck vonseiten der USA schützen, doch die Anforderungen der UNO-„Papierfabrik“ üben mit der Zeit schwachen, aber doch spürbaren Druck aus, da immer die Gefahr besteht, öffentlich bloßgestellt und blamiert zu werden. Die langfristige Überwachung durch den Rat könnte diese Länder dazu animieren, Inschallah, ihr Verhalten entsprechend zu ändern.
Der Überwachungsprozess für Resolution 1373 – der natürlich auf Informationen der Geheimdienste und die Rückverfolgung der Finanzströme zurückgreift –, hat die Golfstaaten langsam, aber methodisch dazu gebracht, die Zahlungen an al-Qaida zurückzufahren. Die Ausweitung auf ausländische IS-Kämpfer kann eine ähnliche Wirkung entfalten. Befürchtungen, nach denen der Sicherheitsrat unter dem Deckmäntelchen der internationalen Sicherheit die nationale Souveränität kassieren könnte, haben sich nicht bestätigt. Die Legitimität seiner Mandate hängt stark vom Einvernehmen ab, sowohl bei der Verabschiedung wie auch bei der Überwachung der Sanktionen durch den Ausschuss – aber auch von der Ernsthaftigkeit der Sicherheitsbedrohungen selbst.




