Im Dezember 2024 soll es endlich soweit sein: Die Bürgerinnen und Bürger des seit 2011 unabhängigen Südsudan sollen endlich ihre politische Vertretung wählen können. Dass es diesmal wirklich so kommt, ist allerdings ungewiss. Frühere Pläne für Wahlen fielen erst zwei Bürgerkriegen zum Opfer, dann nicht enden wollenden Verzögerungen in der Umsetzung des 2018 geschlossenen Friedensabkommens. Im August 2022 einigten sich die Vertragsparteien, die fünfjährige Übergangsphase unter einer ernannten Regierung der nationalen Einheit um zwei weitere Jahre zu verlängern, um das Abkommen vollständig umzusetzen. Zuviel stand noch aus, was vor Wahlen und der Vereidigung einer gewählten Regierung zu erledigen war – darunter eine neue Verfassung zu schreiben, die ehemaligen Widersacher in einer nationalen Armee zu vereinigen und eine Volkszählung durchzuführen. 

Doch trotz Verlängerung hat die Regierung weniger als neun Monate vor dem gesetzten Wahltermin kaum Fortschritte bei wichtigen Aufgaben gemacht. Die Wahlkommission ist zwar endlich neu eingesetzt, aber noch immer fehlen Ressourcen: In den meisten der zehn Bundesstaaten hat die Wahlkommission keine funktionierenden Büros, geschweige denn Personal. Der Verfassungsprozess kommt nur langsam in Gang. Es gibt kein Wählerregister. Die Grenzen der Wahlbezirke sind noch nicht gezogen – ein Unterfangen mit massivem Konfliktpotenzial in einem Land, in dem auch nach Unterzeichnung eines Friedensvertrags gewalttätige und oftmals tödliche Auseinandersetzungen das Leben vieler Bürgerinnen und Bürger prägen. Millionen bleiben aus ihrer Heimat vertrieben, viele leben noch immer in Lagern oder Nachbarländern. In dem im vergangenen Jahr verabschiedeten Wahlgesetz sind so viele technische Fehler enthalten – darunter in der Errechnung der Mandate –, dass eine Wahl mit diesem gesetzlichen Rahmen eigentlich nicht durchführbar ist. Nichtsdestotrotz hat es bisher keine Bemühungen gegeben, die Fehler durch eine Wiedervorlage des Gesetzes im Parlament zu beheben.

Internationale Partner des Südsudan verlieren zunehmend die Geduld.

Internationale Partner des Südsudan verlieren zunehmend die Geduld. Zudem schwinden die Ressourcen, die man angesichts der vielen Krisen anderswo auf dem Kontinent und der Welt noch bereitstellen will oder kann, um der Regierung bei der schleppenden (oder verschleppten) Umsetzung des Friedensvertrags unter die Arme zu greifen. Allen voran sieht der Geburtshelfer des jungen Staates, die USA, das Problem vorrangig in einem mangelnden politischen Willen. Öffentlich sprechen sich internationale Partner meist deutlich für termingerechte Wahlen aus. Hinter vorgehaltener Hand dagegen ziehen viele eine weitere Verschiebung vor. Zu groß ist die Sorge, dass Wahlen zu einer Eskalation der Gewalt führen, wenn nicht sogar zu einem neuen Bürgerkrieg. Zugleich möchte man den Druck auf die Regierung aufrechterhalten, den Friedensvertrag endlich vollständig umzusetzen. Unter dem Vorzeichen der Ungewissheit hatte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Mitte März das Mandat der Peacekeeping-Mission UNMISS (United Nations Mission in South Sudan) zunächst nur bis Ende April unverändert verlängert. Man wollte den Bericht des Leiters der Friedensmission zum Stand der Vorbereitungen der Wahlen Anfang April abwarten, bevor das Mandat in der Tiefe diskutiert wird.

Nun aber kommt bereits Bewegung in die Debatte: Angesichts des mangelnden Fortschritts forderte die internationale Kommission zur Überwachung des Friedensabkommens, der Reconstituted Joint Monitoring and Evaluation Mechanism (R-JMEC), die Vertragsparteien auf, sich entweder auf reduzierte Bedingungen für das Abhalten der Wahlen zu einigen, oder aber die Wahlen zu verschieben. In beiden Fällen erfordert dies ein Nachverhandeln des Friedensvertrags. Die Opposition verlangte daraufhin nach einem extern vermittelten Dialogprozess. Die Regierungspartei dagegen schlug vor, in diesem Jahr nur Präsidenten und Gouverneure der Bundesstaaten zu wählen und legislative Wahlen auf das nächste Jahr zu verschieben. Man kann dies als guten Willen werten, endlich mit dem Wählen zu beginnen und dabei die Herausforderungen der fehlenden Wahlbezirksgrenzen und Parlamentsmandate zu umschiffen. 

Nun dürfte eine neue Runde von Verhandlungen zwischen den Vertragsparteien eingeläutet und alle Wahlen dürften verschoben werden.

Allerdings besteht kaum Zweifel, dass Präsident Salva Kiir Mayardit die Wahlen gewinnen würde. Somit würden exekutive Wahlen einerseits einen bereits übermächtigen Präsidenten weiter stärken, während das immense Gewaltpotenzial des (Wahl-)Kampfs um die Gouverneurssitze noch wachsen dürfte. Schwer abzusehen ist, inwiefern eine dann durch Wahlen legitimierte Exekutive Anreize hätte, zeitnah weitere Urnengänge durchzuführen. Auch deshalb ist es unwahrscheinlich, dass die Opposition dem Vorschlag zustimmt. Eher dürfte nun eine neue Runde von Verhandlungen zwischen den Vertragsparteien eingeläutet und alle Wahlen dürften verschoben werden.

Jedoch dürfte es der Regierung inzwischen selbst bei bestem Willen und mit juristischer Akrobatik schwerfallen, alle Wahlen im Dezember durchzuführen. Denn zu all den logistischen, institutionellen und juristischen Herausforderungen kommt nun erschwerend hinzu, dass die Pipeline, die Südsudans Öl über den Sudan an die Weltmärkte liefert, schwer beschädigt ist. Vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Kriegsgeschehens im Sudan gehen Experten nicht davon aus, dass eine Reparatur in den kommenden Monaten absehbar ist. Der südsudanesische Staatshaushalt ist zu mehr als 90 Prozent von Öleinnahmen abhängig. Auch wenn davon wenig bis kaum etwas in die Bereitstellung öffentlicher Güter fließt, sind desaströse wirtschaftliche und politische Auswirkungen zu erwarten. Es sei denn, es findet sich ein Gönner, der bereit ist, die Verluste zumindest zeitweise auszugleichen, ohne Rechenschaft über Ausgaben einzufordern. Ansonsten wird es dem Präsidenten schwerfallen, den freien Fall der Währung aufzuhalten und rebellische Kommandeure und politische Konkurrenten weiter in Schach zu halten. Der Dollar-Wechselkurs des südsudanesischen Pfund stürzte seit Jahresbeginn von 900 SSP auf 2100 SSP ab.

Nur eine breite gesellschaftliche und politische Übereinkunft über die Voraussetzungen und Spielregeln für Südsudans erste Wahlen können neuer Gewalt vorbeugen.

Selbst unter den besten Umständen wäre in dem von Konflikten gebeutelten Land die Durchführung von Wahlen eine immense Herausforderung. Im jüngsten Staat der Weltgemeinschaft ist selbst rudimentäre Infrastruktur kaum existent, Millionen sind ihrer Heimat entflohen und Institutionen mit Schlüsselrollen wie Wahlkommission und Gerichtsbarkeit verfügen weder über adäquate Ressourcen noch über substanzielle Erfahrung. Um bei der Durchführung eines Wahlprozesses ein Vertiefen der gesellschaftlichen und politischen Spaltung zu verhindern, ist daher das kontinuierliche und aufrichtige Bemühen um einen politischen Konsens zwischen den Vertragsparteien unerlässlich, der von breiten Teilen der Bevölkerung mitgetragen werden muss. Nur eine breite gesellschaftliche und politische Übereinkunft über die Voraussetzungen und Spielregeln für Südsudans erste Wahlen können neuer Gewalt vorbeugen und den jungen Staat auf dem Weg zu einer Demokratie einen Schritt voranbringen.