Die Vereinten Nationen (UN) beginnen in diesem Monat damit, über den Globalen Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration zu verhandeln – inmitten eines politischen Klimas, in dem Rechtspopulist_innen gegen Flüchtlinge hetzen, Israel Asylsuchende als „illegale Eindringlinge“ bezeichnet und die Aufrüstung von Grenzen weltweit zum Milliardengeschäft wird. Diesem zunehmend einwanderungsfeindlichen Zeitgeist erteilt der erste Entwurf für den Globalen Pakt, der sogenannte „Zero Draft“, eine überraschend deutliche Absage. Seine Kernaussage: Migration ist Teil der Menschheitsgeschichte und eng verbunden mit nachhaltiger Entwicklung und Fortschritt. Das globale Rahmenwerk, das er entwirft, ist an vielen Stellen ein dringend nötiges Korrektiv zu den völker- und menschenrechtswidrigen Dimensionen der aktuellen, auf Kontrolle und Abwehr ausgerichteten Migrationspolitiken vieler Staaten.

Auf knapp 25 Seiten werden eine Vision, zehn Leitprinzipien, 22 Ziele und 166 Maßnahmen zum Erreichen dieser Ziele aufgelistet.

Was den „Zero Draft“ so stark macht, ist, dass er auch die Handschrift von internationalen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, vor allem Migrantenorganisationen, und Gewerkschaften trägt. Auf sechs thematischen und fünf regionalen Anhörungen sowie unzähligen weiteren Gesprächskreisen und Foren schufen diese gemeinsam mit Vertretern von Staaten und Privatwirtschaft die Grundlage für eine globale Migrationspolitik. Daran konnte auch der Rückzug der USA im Dezember 2017 nichts ändern, der die verbliebenen Delegationen eher disziplinierte als sie zu verunsichern. Es ist offensichtlich, dass nicht-staatliche Akteure nicht nur pro forma zu den Konsultationen eingeladen wurden. Vielmehr übernahmen die beiden Ko-Vermittler Schweiz und Mexiko ihre Eingaben und Stimmen vielfach in den Entwurf. Damit schreiben die UN die junge Tradition der globalen, inklusiven Konsultationsprozesse fort, von denen bereits die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung maßgeblich profitierte.

Entsprechend liest sich der „Zero Draft“ nicht wie ein gewöhnliches UN-Papier, sondern klingt an manchen Stellen wie eine Werbebroschüre, die verspricht, einen „360-Grad Panoramablick auf internationale Migration“ zu werfen. Doch das Papier hat es in sich. Auf knapp 25 Seiten werden eine Vision, zehn Leitprinzipien, 22 Ziele und 166 Maßnahmen zum Erreichen dieser Ziele aufgelistet. Zudem wird – zumindest ansatzweise – skizziert, wie eine zukünftige globale Migrationspolitik aussehen soll. Die Leitprinzipien rücken den Menschen selbst ins Zentrum, vertreten eine rechtebasierten Ansatz, versprechen die Stärkung von Frauen und treten für das Kindeswohl ein. Schnell wird deutlich, dass die vermeintliche „Werbebroschüre“ richten soll, was weltweit in der Praxis schief läuft.

Der Entwurf einer Migrationspolitik, die keine Menschenrechte verletzt

Beispielsweise sagt es viel über die aktuellen Missstände in der globalen Migrationspolitik aus, dass der „Zero Draft“ ausdrücklich fordert, Minderjährige nicht länger in Gefängnisse zu stecken. Die Initiative for Child Rights hatte sich während der Konsultationen dafür stark gemacht, die Rechte von Kindern explizit in den Entwurf aufzunehmen – mit Erfolg. Obwohl die Kinderrechtskonvention – die UN-Konvention, der die meisten Staaten weltweit angehören – klar festschreibt, dass das Kindeswohl an erster Stelle stehen muss, befinden sich unbegleitete Kinder in unzähligen Ländern in ungeeigneten Aufnahmeeinrichtungen oder gar in Haft. In Deutschland ist für zahllose Kinder, mit unsicherem Aufenthaltsstatus, der Zugang zu Bildung nicht sicher gestellt. Dem begegnet der „Zero Draft“, indem er festschreibt, dass geflüchtete Kinder alternativ untergebracht und ihr Zugang zu Bildung und Gesundheit garantiert werden sollen. Auch die in Deutschland viel diskutierte Familienzusammenführung sieht er vor – wenig überraschend angesichts der bestehenden menschenrechtliche Verpflichtung, Anträge auf Familiennachzug positiv zu entscheiden, wenn Kinder betroffen sind. Der „Zero Draft“ erfindet das Rad hier also keinesfalls neu, sondern erinnert die Staaten an Grundsätze, gegen die sie aktuell viel zu oft verstoßen.

In ähnlicher Weise fordert der „Zero Draft“ ein Ende der – längst völkerrechtlich verbotenen – Zurückweisungen (engl. Refoulement) in Länder, in denen den Asylsuchenden Folter oder andere erniedrigende oder unmenschliche Behandlungen drohen. Auch sogenannte „Pushbacks“, also das Zurückdrängen von Migranten an Land oder auf See in Länder mit schwacher Rechtsstaatlichkeit, ohne ihnen überhaupt erst das Recht auf ein Asylverfahren zu gewähren, finden an den europäischen Außengrenzen regelmäßig statt – und verstoßen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Staaten wurden während der Konsultationen für diese Praktiken scharf kritisiert. Erst Ende des Jahres 2017 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die sogenannten „heißen Abschiebungen“ nach Marokko aus der spanischen Exklave Melilla – ein kleiner Ort, der eine europäische Außengrenze auf dem afrikanischen Kontinent hat. Wenn der „Zero Draft“ auf Hoher See internationale Such- und Rettungsoperationen statt der Aufrüstung der Küstenwachen vorsieht, dann greift er nicht nur die Forderungen zivilgesellschaftlicher Organisationen auf, sondern trägt auch dem Völkerrecht Rechnung.

Bereits dieser kurze Blick in das umfassende Papier zeigt: Wenn der Entwurf so umgesetzt würde, wäre die Welt eine bessere.

Dass auch Gewerkschaften intensiv an der Entwicklung des „Zero Draft“ beteiligt waren, zeigt sich unter anderem darin, dass er im Bereich Arbeitsmigration einen Schwerpunkt auf Arbeitnehmerrechte legt. Faire und ethische Anwerbepraktiken sollen die Ausbeutung von Arbeitsmigranten verhindern, die heute oftmals unter prekären und unsicheren Bedingungen – bis hin zu modernen Formen der Sklaverei – beschäftigt sind. Um den Zugang zu Justiz, Gesundheit und Bildung zu gewährleisten wird das Prinzip der Firewall vorgeschlagen, mit dem die klare Trennung zwischen Einwanderungsbehörden einerseits und der übrigen öffentlichen Verwaltung und den Strafverfolgungsbehörden andererseits gemeint ist. Der „Zero Draft“ fordert die Staaten auf bestehende internationale Konventionen und Instrumente bezüglich Arbeitsmobilität umzusetzen. Zudem sollen bereits entwickelte Richtlinien operationalisiert und Unternehmen und Personalvermittler zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie gegen Menschen- und Arbeitsrechte verstoßen. Bei diesen und den anderen vorgesehenen Maßnahmen geht es darum, menschenwürdige Arbeitsbedingungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu garantieren und die Gewerkschafts- und Vereinigungsrechten aller Arbeitnehmer zu realisieren – unabhängig von ihrem Migrationsstatus.

Bereits dieser kurze Blick in das umfassende Papier zeigt: Wenn der Entwurf so umgesetzt würde, wäre die Welt eine bessere. Die positive Rahmung von Migration ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass eine breite Allianz von Akteuren an den Konsultationen mitgewirkt hat.

Vom „Zero Draft“ zum Globalen Pakt

Allerdings stehen nun noch sieben Verhandlungsrunden aus, in denen Staaten um diese Inhalte ringen werden. Erst Ende Juli 2018 soll das endgültige globale Rahmenwerk für Migration stehen. Die größten Streitthemen in den Verhandlungen wird die „Global Migration Governance“ und die Frage danach sein, wie die Umsetzung des Migrationspaktes überprüft werden soll. Gerade an diesem Punkt zeigt sich eine der Schwachstellen des „Zero Draft“. Statt eine neue Migrationsarchitektur zu entwickeln, sieht er lediglich kosmetische Veränderungen vor. Etwa soll der existierende Hochrangige Dialog der Vereinten Nationen über Internationale Migration und Entwicklung genutzt werden, um sich über den Fortschritt des Pakts auszutauschen. Um sicherzustellen, dass der Pakt tatsächlich vollständig umgesetzt wird, müssen sich die Staaten in den Verhandlungen jedoch auf eine grundsätzliche, normative und institutionelle Neuordnung der globalen Migrationspolitik einigen. Sonst droht der völkerrechtlich nicht bindend Pakt eine Wunschliste zu bleiben, aus der Staaten nach dem Prinzip „Rosinenpicken“ Maßnahmen herausgreifen. Angesichts der Tendenzen in Europa, die nationalstaatliche Kontrolle über die eigenen Grenzen zu betonen, ist fraglich, inwieweit das im Interesse aller Beteiligten ist.

Am Ende bleibt zu hoffen, dass die Verhandlungen transparent sein werden und wie die Konsultationen möglichst vielen Akteuren ermöglichen, ihre Positionen einzubringen. Dann bestünde immerhin die Chance, dass der Globale Migrationspakt den Anspruch des „Zero Draft“ beibehält, den grassierenden Menschenrechtsverletzungen an Migranten ein Ende zu setzen. Das wäre starkes Signal dafür, dass Abschottung, Migrationskontrolle und einwanderungsfeindlichen Populismus in der Weltgemeinschaft wie in einzelnen Staaten nicht mehrheitsfähig sind.