China

China hat die Pandemie seit dem 23. Januar 2020 allein mit den klassischen Mitteln des Seuchenschutzes eingedämmt; dieser Erfolg hat Politik und Staat einen Vertrauensschub beschert. Die Stimmung ist gut, denn beides zugleich ist gelungen: sowohl die Seuche einzudämmen als auch das öffentliche Leben und die Wirtschaftsleistung wieder nahe an den Normalmodus heranzuführen. Das bedeutet aber auch: Ein Strategiewechsel würde zunächst dazu zwingen, die stabile Wohlfühlzone zu verlassen und vorübergehend höhere Risiken einzugehen.

Da das Virus im Inland unter Kontrolle ist, können neue Infektionen nur aus dem Ausland kommen – deshalb sind internationale Reisen rar geworden, während der inländische Flugverkehr das Vorkrisenniveau wieder erreicht hat. Eine Öffnung Chinas scheint in dieser Lage erst wahrscheinlich, wenn Herdenimmunität erreicht ist – aber davon ist das Land weit entfernt. Geimpft wird bereits seit Juli 2020 auf der Basis von Sonderzulassungen, die aktuell für insgesamt vier Impfsubstanzen bestehen. Alle chinesischen Entwicklungen sind klassischer Natur, also abgetötete oder modifizierte Erreger oder Vektorimpfstoffe. Alle aktuellen Zulassungen gelten nur für Personen unter 60 Jahren, so dass gerade die besonders gefährdeten Altersgruppen nicht geschützt werden können.

Für keinen Impfstoff konnten Phase-3-Tests vorgewiesen werden (jedenfalls nicht öffentlich nachvollziehbar), alle Tests mussten in anderen Ländern erfolgen, da es in China mangels Infektionsfällen kein Umfeld gibt, das sich für einen Test der Wirksamkeit eignen würde. Im Gegenzug gegen die Testmöglichkeiten wurde den Partnerländern die vorrangige Versorgung mit Vakzinen zugesagt. Die in den USA und Europa verwendeten mRNA-Impfstoffe haben bislang – trotz wohldokumentierter Phase-3-Tests – keine Zulassung in China erhalten, obwohl es sogar eine Kooperation des deutschen Lizenzinhabers BioNTech mit dem chinesischen Pharmaproduzenten FOSUN gibt und dieser mit der Produktion bereits begonnen hat. Gesundheitspolitische Gründe sind dafür nicht zu erkennen.

Alle diese Aspekte lassen vermuten, dass China mit dem Impfen gemächlicher umgehen wird als Länder mit hoher Inzidenz – und damit auch, dass die Abschottung nach außen noch länger dauern wird.

Einerseits bekunden etwa 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Umfragen, sie seien zur Impfung bereit. Andererseits gab es in der Vergangenheit spektakuläre Impfskandale, und die chinesische Öffentlichkeit hat für Gesundheitsthemen ein Elefantengedächtnis. Zudem ist das persönliche Infektionsrisiko tatsächlich sehr niedrig – das legt nahe, zwar grundsätzlich impfbereit zu sein, aber keineswegs zu drängeln. Insgesamt liegt der Prozentsatz der geimpften Personen noch unterhalb der deutschen Marke. Allerdings: Wenn China Gas geben will, dann wird das auch gelingen.

Die Fachliteratur geht davon aus, dass mRNA-Impfstoffe leichter für den Einsatz gegen Mutantenstämme modifiziert werden können. Wenn das so ist, benötigen die chinesischen Produkte eine vergleichsweise lange Reaktionszeit, wenn neue Virusvarianten aus dem Auslandsverkehr drohen. Alle diese Aspekte lassen vermuten, dass China mit dem Impfen gemächlicher umgehen wird als Länder mit hoher Inzidenz – und damit auch, dass die Abschottung nach außen noch länger dauern wird.

Alexander Kallweit, FES Peking

Kasachstan

Kasachstan, das größte Land Zentralasiens, ist nicht immun gegen das Coronavirus. Mit knapp 265 000 Fällen – gemäß offiziellen Angaben –, bereits zwei Lockdowns und enormen ökonomischen Konsequenzen, ist wie überall auf der Welt die erfolgreiche Umsetzung einer Impfstrategie für das Land von enormer Bedeutung. Das möchte man zumindest meinen.
Doch das Impfen begann langsam: Am 1. Februar 2021 startete Kasachstan mit nur einigen Bevölkerungsgruppen der öffentlichen Versorgung – hier vor allem medizinischem Personal, der Polizei, der Feuerwehr und einigen Lehrerinnen.

Eingesetzt wurde der russische Impfstoff Sputnik V. Bisher wurden ca. 20 000 Impfdosen verabreicht. Nach dem Plan des kasachischen Gesundheitsministeriums sollen bis Ende 2021 etwa sechs Millionen Menschen – ein Drittel der Bevölkerung – geimpft werden. Neben dem russischen Impfstoff, der in kleinen Mengen beschafft wurde und in der Folge nun per Lizenz im Norden des Landes produziert wird, soll auch der in Kasachstan entwickelte QazCovid-in Impfstoff eingesetzt werden. Dieser befindet sich derzeit in der dritten Phase der klinischen Studien und wird spätestens ab dem Herbst 2021 zur Verfügung stehen.

Zudem verhandelt das kasachische Gesundheitsministerium mit verschiedenen Herstellern, darunter Sinovac, Sinopharm und Biontech/Pfizer. Ob, wann und wie diese Impfstoffe in Kasachstan eingesetzt werden, beziehungsweise wann die allgemeine Bevölkerung in welcher Reihenfolge geimpft werden soll, ist nicht so recht klar. Auch Daten zur Impfbereitschaft in der kasachischen Bevölkerung stehen nicht zur Verfügung, allerdings gehen diverse Verschwörungstheorien durch die sozialen Medien, die auf eine allgemeine Verunsicherung bzw. fehlendes Vertrauen schließen lassen.

Kasachstan scheint jedoch einen eigenen Weg zu gehen, der nur zu einem Teil auf schnelle Impfungen setzt. Ein weiterer Baustein mag eine bereits hohe Durchseuchung sein.

Kasachstan scheint jedoch einen eigenen Weg zu gehen, der nur zu einem Teil auf schnelle Impfungen setzt. Ein weiterer Baustein mag eine bereits hohe Durchseuchung sein. Inoffizielle Schätzungen gehen davon aus, dass bereits größere Teile der Bevölkerung (genannt wurde bis zu einem Drittel) im letzten Jahr erkrankt waren. Die Altersstruktur des zentralasiatischen Landes (Medianalter 29 Jahre) und die damit einhergehende niedrige Sterblichkeitsrate verhinderte wohl Schlimmeres. Diese Vermutung ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass sich die Fallzahlen nach zwei harten Lockdowns im letzten Jahr auf einem niedrigen Niveau mit nur wenigen Ausschlägen halten.

Derzeit sind große Teile des Landes im sogenannten „grünen Bereich“ und Einschränkungen des Lebens kaum noch vorhanden. Im vorläufigen Pandemiehöhepunkt im Sommer 2020 sah der zentralasiatische Staat anders aus: volle Krankenhäuser, ein überlastetes Gesundheitssystem und ein scharfer Lockdown, der von Straßen- und Ausgangssperren bis zur allgemeinen Maskenpflicht das volle Repertoire der Möglichkeiten ausschöpfte . Ob sich Kasachstan hier mit großen Schritten, wie in den sozialen Medien heiß diskutiert, der Herdenimmunität genähert hat, bleibt dennoch eine – wenn auch plausible – Spekulation.

Sicher ist jedoch, dass nach den harten wirtschaftlichen Schockwellen, die 2020 im Zuge der Lockdowns durch das Land zogen, erneute Einschränkungen für die Wirtschaft – vor allem den Dienstleistungssektor, kleinere und mittlere Unternehmen sowie Selbstständige – kaum zu stemmen wären. Fehlende Diversifikation und durch Ressourcenabhängigkeit bedingte Volatilität der Wirtschaft sorgen dafür, dass die kasachische „Bazooka“ (frei nach Olaf Scholz) schmaler ausfällt: Nachdem in den vorgenannten Lockdowns ein „Sozialgeld“ von knapp 95 Euro an Bedürftige, die immerhin bis zu 50 Prozent der arbeitenden Bevölkerung ausgemacht haben sollen, gezahlt wurde, ist der Staatshaushalt erschöpft.

Ein weiterer Lockdown würde die kasachische Wachstumspolitik nicht nur gefährden, sondern um Jahre zurücksetzen. Auch auf den sozialen Frieden und den gesellschaftlichen Zusammenhalt hätte ein solcher Weg, wie in allen Ländern, negative Auswirkungen. Der gegenwärtige Minimalkurs der pandemiebedingten Einschränkungen ist damit einer wirtschaftspolitischen und auch – derzeitig gültigen – epidemiologischen Bewertung geschuldet. Mit dem Hochfahren der Impfquote und der damit verbundenen Implementierung einer kohärenten Strategie könnte die zentralasiatische Republik sicherstellen, dass zwei Krisen mit einer Spritze gelöst werden.

Christoph Mohr, FES Almaty

Kirgistan

Für all diejenigen, die sich endlich nach der Rückkehr zur Normalität sehnen, ist Kirgistan derzeit so etwas wie das Traumziel. Bereits nach der Einreise findet man sich beim Verlassen des Flughafens in Bischkek in einer Menschentraube ohne Abstand und Masken wieder. Das gesamte öffentliche Leben scheint weitgehend ohne pandemiebedingte Einschränkungen auszukommen. Also zurück zum Status quo ante? Nicht ganz.

Nach dem es im Frühjahr 2020 zu einem mehrwöchigen restriktiven Lockdown inklusive Ausgangssperren kam, hatte sich die damalige Regierung entschieden, noch vor dem Sommer einen Großteil der Beschränkungen aufzuheben. Die wirtschaftliche Notlage der Menschen ließ angesichts leerer Staatskassen und unzureichender sozialer Sicherung für die politisch Verantwortlichen scheinbar keine andere Lösung zu – zumal die Parlamentswahlen im Herbst 2020 unmittelbar bevorstanden. Als Folge erfasste die Pandemie Kirgistan dann in den Sommermonaten des vergangenen Jahres mit großer Wucht: Viele Menschen fielen der Erkrankung zum Opfer, die hohe Zahl tödlicher Verläufe offenbarte die miserable Situation des Gesundheitssystems, das auch unter normalen Bedingungen an der Belastungsgrenze arbeitet.

Alle Vorsicht, die nach den Eindrücken des Sommers in der Bevölkerung vorhanden war, schien sich im Zuge der politischen Proteste nach den von Betrugsvorwürfen überschatteten Wahlen und der folgenden politischen Krise verflüchtigt zu haben. Heute sind die neuen Entscheidungsträger um Konsolidierung der Macht und politische Stabilität bemüht. Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hätten eine weitere Verschlechterung der ökonomischen Situation zur Folge und würden die politische Fragilität kurz vor den wichtigen Lokalwahlen, die mit der Abstimmung über eine neue Verfassung gekoppelt sind, verstärken.

Angesichts der offiziell niedrigen Inzidenzwerte mit derzeit landesweit unter 50 neuen Fällen pro Tag, verschreibt sich die Politik der Hoffnung, dass eine weitere Welle der Pandemie ausbleibt und die Bevölkerung durch die hohen Ansteckungszahlen im vergangenen Sommer zu weiten Teilen immunisiert ist. Eine Validierung der Daten ist nicht möglich, es existieren aber aktuell keine alarmierenden Berichte aus den Krankenhäusern, die die niedrigen Zahlen in Frage stellen würden. Gleichzeitig setzt man auf den Start der Impfungen.

Die kirgisische Regierung hat Anfang Februar eine Impfstrategie gegen das Virus vorgelegt. In einer ersten Phase, die etwa 200 000 Personen (etwa 3 Prozent der Gesamtbevölkerung) umfassen soll, ist beabsichtigt, die Beschäftigten im Gesundheitssektor sowie Personen, die durch ihre Tätigkeit in besonderem Maße einem Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind, zu impfen. In einer zweiten Phase ist die Impfung weiterer Risikogruppen vorgesehen. Bestenfalls ab Juni sollen dann Impfstoffe für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung stehen. Der Beginn der Impfungen der ersten Phase der Impfstrategie ist für März vorgesehen und soll vermutlich mit dem russischen Impfstoff Sputnik-V erfolgen.

Im Rahmen der Impfdiplomatie spiegeln sich die bekannten Muster der externen Einflussnahme auf das kleine zentralasiatische Land wider.

Präsident Sadyr Japarov, der seit Ende Januar im Amt ist, hat bei seinem Antrittsbesuch in Russland Ende Februar um 500 000 Dosen des Vakzins gebeten. Der russische Impfstoff ist bislang der einzige, der von der kirgisischen Arzneimittelbehörde zugelassen wurde.  Weitere 504 000 Impfdosen des Herstellers AstraZeneca werden im Rahmen der COVAX-Initiative erwartet. Auch der Nachbar China hat die Lieferung von Impfstoffen mittlerweile zugesagt, was durchaus auch auf die politische Dimension der Impfstoffbeschaffung und -verwendung verweist.

Im Rahmen der Impfdiplomatie spiegeln sich die bekannten Muster der externen Einflussnahme auf das kleine zentralasiatische Land wider: China versucht seinen Einfluss im kleinen Nachbarstaat weiter auszubauen, doch scheitert abermals an der mangelnden Soft Power. Zu weit verbreitet sind Sinophobie, Misstrauen und Skepsis gegenüber China in der kirgisischen Bevölkerung. So ist es wenig verwunderlich, dass eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Central Asia Barometer im Februar ergab, dass die Befragten mehrheitlich (75,5 Prozent) Russland für „am besten geeignet” halten, um dem Land bei der Bewältigung der Covid-19-Krise zu helfen. Gerade einmal 7,5 Prozent der Befragten gaben an, dass die Volksrepublik China hier der beste Partner für Kirgistan sei.

Anzunehmen ist also, dass es gegenüber dem chinesischen Vakzin weitaus mehr Vorbehalte geben wird als gegenüber dem russischen Fabrikat. Mit Blick auf die Impfbereitschaft in der Bevölkerung kann das ein entscheidender Faktor sein. Bis sich diese Debatte dann vielleicht auch öffentlich entfalten wird, muss aber erst einmal Impfstoff im Land sein. Bis dahin gilt: abwarten und gesund bleiben.    

Alexander Rosenplänter, FES Bischkek