Im Jahr 1998 bezeichnete Madeleine Albright die USA  als „indispensable nation“. Seit der Wirtschaftskrise 2008 wurde viel vom Niedergang der Vereinigten Staaten geredet. Doch die Unentbehrlichkeit der USA ist noch immer eine Tatsache, und das Land bleibt ein notwendiger, wenn auch bei weitem nicht der einzige Akteur bei der Bewältigung der größten globalen Herausforderungen.

Zwei Tendenzen beeinflussen heute die Welt und auch die USA. Zum einen sind Krisen globaler, komplexer und häufig schnelllebiger als in der Vergangenheit. Zum anderen haben die USA (und damit sind sie nicht allein) weniger finanzielle Mittel bei mehr Verpflichtungen und müssen daher harte Entscheidungen treffen, in welche Politikbereiche das Geld fließen soll – Infrastruktur, Bildung, Gesundheit oder Sicherheit.

Die Unentbehrlichkeit der USA ist noch immer eine Tatsache.

Warum aber sind die USA unentbehrlich? Für die Bewältigung der meisten, wenn nicht aller wichtiger Herausforderungen, denen sich die Welt heute stellen muss, ist die Beteiligung der USA auf die eine oder andere Weise notwendig.

Die Beurteilung, welche globale Problematik welchen Stellenwert hat, hängt vom jeweiligen Standpunkt ab, doch es dürfte unstrittig sein, dass zu den größten Problemen der heutigen Zeit Terrorismus, Pandemien (wie Ebola), die Klimaveränderung, knappe Rohstoffe (wie Energie, Nahrung und Wasser), traditionelle Konflikte zwischen Staaten in Osteuropa und im asiatisch-pazifischen Raum sowie Unruhen im Nahen Osten zählen. Dieser langen Liste lassen sich Probleme wie wirtschaftliche Instabilität, humanitäre Tragödien und Naturkatastrophen sowie der Einsatz von Massenvernichtungswaffen hinzufügen. In jedem dieser Bereiche ist ein effektives Agieren ohne Beteiligung von Unternehmen, Organisationen oder Regierungsstellen der USA nur schwer vorstellbar.

In der Ebola-Pandemie in Sierra Leone, Liberia und Guinea im letzten Jahr spielte die US-Pharmaindustrie bei der Suche nach einem Impfstoff und Medikamenten eine führende Rolle. Auch nach den jüngsten Erdbeben in Nepal engagierten sich unter anderem das US-Militär, USAID und nichtstaatliche amerikanische Organisationen (NGOs).

In Hinblick auf die Klimaveränderung wird den USA, die weltweit den größten CO2-Ausstoß zu verantworten haben, zwar eine Verschleppungstaktik vorgeworfen. Doch eine Lösung wird ohne die Amerikaner nicht möglich sein. Ein Fortschritt war im Jahr 2014 das gemeinsame amerikanisch-chinesische Klimaabkommen. Die US-Regierung mag in diesem Punkt keine treibende Kraft sein, doch amerikanische Unternehmen und Städte geben bei der Entwicklung neuer Lösungen oft den Ton an. Die Gasproduktion in den USA ist durch die Schiefergas-Revolution mittlerweile auf 20,6 Prozent der globalen Förderung empor geschnellt.

Bei der Bekämpfung herkömmlicher Sicherheitsgefahren stellt das US-Militär nach wie vor wertvolle Ressourcen. Großbritannien und Frankreich konnten im Jahr 2011 ihre Operationen in Libyen nur mit US-Unterstützung durchführen, die von Geheimdiensttätigkeit über Munitionsbeschaffung bis hin zum strategischen Lufttransport reichte. Unentbehrlich ist das amerikanische Militär auch im Bereich unkonventioneller Sicherheitsgefährdungen, etwa bei den Luftangriffen gegen den Islamischen Staat. Und eine Cyber-Abwehr ist ohne Mitwirkung US-amerikanischer IT-Konzerne völlig unvorstellbar.

Unentbehrlichkeit bedeutet nicht unbedingt, dass die USA immer die richtigen politischen Entscheidungen treffen oder diese immer mit den richtigen Mitteln durchsetzen.

All diese Beispiele illustrieren, dass die USA ihre Rolle als „unentbehrliche Nation“ auch künftig innehaben werden. Man sollte das jedoch nicht mit anderen Vorstellungen verwechseln, die mit dieser Unentbehrlichkeit gern in einen Topf geworfen werden. Unentbehrlichkeit bedeutet nicht unbedingt, dass die USA immer die richtigen politischen Entscheidungen treffen oder diese immer mit den richtigen Mitteln durchsetzen. Die Vereinigten Staaten sollten weder auf ihre CO2-Emissionen noch auf Teilbereiche ihrer Außenpolitik stolz sein.

Unentbehrlichkeit gilt auch nicht bis in alle Ewigkeit. Wenn sich die USA gegen Veränderungen stemmen, etwa die Erneuerung langjähriger Institutionen wie des IWF und der Weltbank, dürfen sie nicht überrascht sein, wenn sich aufstrebende Mächte anderer Mechanismen bedienen, um ihre Ziele zu erreichen, wenn also etwa China die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) aufbaut.

Und zu guter Letzt heißt Unentbehrlichkeit nicht, dass die USA immer von vorn führen müssen. Das Land trägt entscheidend zur Lösung all der genannten Probleme bei, kann das aber nicht im Alleingang tun. Manchmal müssen die USA im traditionellen Sinne führen. In anderen Fällen sind sie aber nur ein Akteur unter vielen und sollten anderen die Führung überlassen. So hört man zuweilen, dass das jüngst vereinbarte Minsk-II-Abkommen mit Russland viel schwerer zu erreichen gewesen wäre, wenn die USA statt Deutschland und Frankreich das Heft in der Hand gehabt hätten. Auch in Asien könnte es sinnvoller sein, wenn Mitglieder des Verbands Südostasiatischer Nationen (ASEAN) die Vereinbarung eines Verhaltenskodex für die Seegebiete der Region vorantreiben, als wenn die USA das tun.

Die Vereinigten Staaten sind aktuell die einzige wirklich global agierende Nation. Das US-Militär sucht seinesgleichen, und das gilt (unter anderem) auch für Unternehmen, Universitäten und NGOs. Doch das wird nicht unbedingt so bleiben. In absehbarer Zukunft werden die USA noch unentbehrlich sein; in spezifischen Fragen gilt das auch für andere Staaten wie China, Deutschland, Großbritannien und Indonesien. Doch die Vereinigten Staaten müssen ihre Führungsrolle neu definieren und neue Wege beschreiten, um sich ihre Legitimierung zu bewahren und die Unterstützung anderer zu behalten – sie müssen, um mit Joseph Nye zu sprechen, auf ihre »sanfte Macht« setzen. Die Amerikaner müssen begreifen, dass sie, wenn sie anderen eine globale Führungsposition einräumen, ihren Einfluss und ihre Werte nicht beschneiden, sondern stärken.